Eine Analyse der Benotung von Pflegeheimen Der wirkungslose Pflege-TÜV

Berlin · Jahrelang stand die Benotung von Pflegeheimen in der Kritik. Nun wird sie reformiert. Doch das Defizit, wonach das Kerngeschäft der Pflege nicht ausreichend bewertet wird, bleibt bestehen.

Zum Pflegefall werden Menschen oft über Nacht. Die Angehörigen stehen dann vor der schwierigen Frage, wie sie den geliebten Menschen versorgen und pflegen lassen. Wenn eine ambulante Versorgung nicht möglich ist, müssen die Angehörigen ein Heim suchen, von dem sie hoffen, dass der zu Pflegende dort noch Lebensqualität behält. Doch das ist nicht einfach. Die bisherigen Noten, die Heime vom Pflege-TÜV erhalten haben, gelten als nicht aussagekräftig. Etliche Heime bekamen Bestnoten. Der Durchschnitt liegt bei 1,5 — was angesichts des Personalmangels in den Heimen die realen Verhältnisse ganz offensichtlich nicht zeigt.

Seit 2009 werden alle rund 10.000 Pflegeheime und 12.000 ambulanten Dienste in Deutschland jährlich vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen in Augenschein genommen und mit Schulnoten bewertet. Ziel war es, durch die Bewertung die Qualität der Pflege in den Heimen zu sichern und für Außenstehende transparent zu machen. Zudem sollte die Veröffentlichung der Noten dafür sorgen, dass ein Wettbewerb unter den Heimen die Qualität der Pflege und die Angebote für die Bewohner weiter verbessert.

Doch das Konzept ist wegen der laschen Kriterien nicht aufgegangen. Mit einem hübschen Garten oder einer besonderen Speisekarte konnten die Heime eklatante Mängel im Kerngeschäft der Pflege wie beispielsweise die zu geringe Vorbeugung vor Wundliegen oder die fehlende Versorgung mit Flüssigkeit ausgleichen.

Neue Kriterien

Nun haben sich nach dreijährigem Ringen Pflegekassen und Heimbetreiber auf neue Kriterien für den Pflege-TÜV geeinigt. Einige Regelungen werden verschärft. Aus Sicht der Kritiker reichen die Neuerungen, die Anfang 2014 in Kraft treten sollen, aber nicht aus, um für Angehörige zuverlässig die Qualität einer Einrichtung zu beschreiben. Der Pflege-TÜV bleibt ein zahnloser Tiger.

Von den bisher 82 Kriterien zur Bewertung eines Heims sollen die 21 wichtigsten Punkte künftig bei Darstellung im Internet stärker hervorgehoben werden. Allerdings hatten sich die Pflegekassen nicht mit ihrer Forderung durchsetzen können, dass die wichtigen Anhaltspunkte zur Bewertung der Qualität der Pflege auch in der Gesamtnote stärker gewichtet werden. Dafür sollen einige Punkte, die nicht unmittelbar mit der Versorgung zu tun haben, aus dem Kriterienkatalog herausfallen. Dazu zählt beispielsweise die Frage, ob ein Heim jahreszeitliche Feste ausrichtet.

Als Mangel in der Kontrolle der Pflegequalität galt bislang auch, dass es zu wenig direkte und spontane Kontrollen gibt, bei denen der Zustand der Heimbewohner bewertet wird. Die Pflegenoten basieren vor allem auf dem, was die Heimleitung an selbst erstellten Dokumenten und Aufzeichnungen über die tägliche Pflege präsentiert. Als Fortschritt gilt, dass nun die Versorgung von Schwerstpflegebedürftigen stärker kontrolliert werden soll. Bislang wurde der Gesundheitszustand von rund 85 000 Heimbewohnern pro Jahr begutachtet. In Zukunft sollen es 105 000 sein. "Es ist gut, dass sich die Verbände endlich geeinigt haben", sagte der Pflegeexperte der Unionsfraktion, Jens Spahn. "Nun müssen sich die neuen Regeln im Sinne besserer Transparenz für die Pflegebedürftigen bewähren." Vor allem müsse die Inflation an 1,0-Bewertungen aufhören: "Denn wenn alle eine Eins haben, dann ist das Volksverdummung."

Die Verantwortlichen gehen davon aus, dass sich der Notendurchschnitt durch die Reform um etwa eine halbe Note nach unten bewegen wird. Aus Sicht des SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach ist das Grundproblem nicht gelöst. Wenn ein Heim Kernkompetenzen der Pflege — die medizinische Versorgung, die Ernährung, den Schutz vor Wundliegen und die Versorgung mit Flüssigkeit — nicht ausreichend erfülle, müsse dies ein K.o.-Kriterium sein, sagt Lauterbach. Aber auch nach dem neuen System könnten die Heime Defizite in den Kernbereichen durch andere Felder ausgleichen. "Es werden mehr Dokumente als Patienten gepflegt", kritisiert Lauterbach.

Wie soll mit geistig Verwirrten umgegangen werden?

Als ein heikler Punkt gilt auch die Frage, wie schwierige, unruhige und geistig verwirrte Heimbewohner behandelt werden. Eugen Brysch, Vorsitzender der Deutschen Stiftung Patientenschutz, kritisierte, dass die Reform keine Verbesserungen bringe in Bezug auf "freiheitsentziehende Maßnahmen", wozu beispielsweise ein Bettgitter gehört. "Ich will wissen, ob das bei 30, 20 oder nur fünf Prozent der Bewohner vorkommt", sagt Brysch. Auch ob Patienten durch Medikamente ruhig gestellt würden, müsse offengelegt werden.

In den Heimen klaffen Theorie und Praxis vielfach weit auseinander: Viele Heime erstellen Pflegepläne, in denen sie individuell für jeden Heimbewohner auflisten, welche Ziele sie bei der Pflege verfolgen, wie der Einzelne zu behandeln sei und wie man ihn mobilisieren kann. Solche Pflegepläne sorgen bei Kontrollen für Pluspunkte. Allerdings kennen die unter erheblichem Zeitdruck arbeitenden Kräfte die detaillierten Pläne für die einzelnen Heimbewohner oft nicht und versorgen die zu Pflegenden mit dem offensichtlich Notwendigen. "Das ganze System ist zu sehr aufs Dokumentieren ausgerichtet", erklärte Lauterbach.

Aus Sicht der SPD lohnt sich ein weiterer Neuanlauf beim Pflege-TÜV aber erst dann, wenn das System durch einen höheren Beitragssatz für die Pflegeversicherung und deutlich mehr Personal gestärkt wurde. Danach sollte von der Regierung eine Kommission aus Fachleuten eingesetzt werden, die neue Kriterien für die Bewertung der Qualität der Heime aufstellt. Eine solche Kommission würde auch dafür sorgen, dass nicht mehr die Heimbetreiber selbst federführend ihre Qualitätskriterien aushandeln.

(qua)
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