Überbelegung und hoher Sanierungsbedarf Deutsche Gefängnisse sind überfüllt

Berlin/Düsseldorf · Bundesweit sind mehr als 3300 Zellen nicht in Ordnung. Mindestens 16 Haftanstalten sind überbelegt, davon drei in Nordrhein-Westfalen. Eine Modernisierung würde das Land 890 Millionen Euro kosten.

 3300 Zellen können in Deutschland nicht genutzt werden. In NRW sind es 1447 Zellen. (Symbolfoto).

3300 Zellen können in Deutschland nicht genutzt werden. In NRW sind es 1447 Zellen. (Symbolfoto).

Foto: dpa, obe;Fdt

Die Gefängnisse in Deutschland haben ein ernstes Platz-Problem. Mindestens 16 Justizvollzugsanstalten (JVA) sind überbelegt, wie aus einer Umfrage unserer Redaktion in den Justizministerien der Länder hervorgeht. In Nordrhein-Westfalen sind drei Anstalten betroffen, in Rheinland-Pfalz sieben. Einzig Baden-Württemberg wollte auf Nachfrage keine Angaben dazu machen, wie viele Gefängnisse mehr Gefangene als Kapazität haben — dabei ist die Belegungsquote im Südweststaat am höchsten, das Platz-Problem mit am größten.

Was die Situation weiter verschärft: Bundesweit können mehr als 3300 JVA-Zellen nicht genutzt werden. Sie werden entweder saniert oder entsprechen nicht den verfassungsrechtlichen Vorschriften. In NRW sind 1447 Zellen nicht nutzbar, in Berlin 716. In Bayern, das nach NRW die meisten Gefängnisplätze zur Verfügung stellt, erfolgen laufend Renovierungsarbeiten, wie es aus dem Justizministerium heißt — ohne Angabe der Zellenzahl.

Insgesamt teilen sich in Deutschland 64.291 Gefangene und Verwahrte 73.579 Gefängnis-Plätze. Das entspricht einer Belegungs-Quote von 87 Prozent. Darin ist aber auch der offene Vollzug eingerechnet. Würde man nur den geschlossenen Vollzug und erwachsene Häftlinge betrachten, wären die Zahlen noch gravierender.

Auch bei der Untersuchungshaft sei die Lage schwierig, wie es aus Justizkreisen heißt. Nach den Vorkommnissen der Kölner Silvesternacht sei zu beobachten, dass die Gerichte wieder härtere Strafen verhängen. Zum 30. November 2015 gab es in Deutschland noch rund 61.700 Gefangene und Verwahrte, im März dieses Jahres waren es 64.400.

Fast alle Bundesländer haben einen erheblichen Sanierungsbedarf in ihren Haftanstalten. "Die Zuständigkeit für das Justizvollzugsrecht ist vor einigen Jahren komplett in die Hand der Länder übergegangen. Sie stehen auch in der Verantwortung", sagt Ansgar Heveling (CDU), Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestages.

Das Thema sei aber nicht populär und werde deshalb von der Politik oft vernachlässigt, wie es aus Justizkreisen heißt. Alleine auf Nordrhein-Westfalen kommen in den nächsten Jahren Modernisierungskosten in Höhe von knapp 890 Millionen Euro zu. Die Landesregierung möchte für 740 Millionen Euro an vier Standorten neu bauen: Münster, Iserlohn, Willich I und Köln. Dadurch sollen 2700 Gefängnis-Plätze erneuert werden. Hinzu kommt die Grundsanierung der JVA Wuppertal-Vohwinkel mit geschätzten Kosten in Höhe von 149 Millionen Euro. Im Ergebnis werde die Zahl der Haftplätze leicht ausgebaut und die Qualität der einzelnen Zellen verbessert, heißt es aus dem Justizministerium.

Heftige Kritik gibt es vom Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands. "In den vergangenen 30 bis 40 Jahren ist nicht vernünftig investiert worden", sagte NRW-Landesvorsitzender Peter Brock. "Bei den vier neuen Standorten in Nordrhein-Westfalen gehen wir von einer Bauzeit von etwa 20 Jahren aus. Das Problem wird uns also noch auf absehbare Zeit begleiten", sagte er. "Warum das so lange dauert, ist für uns nicht nachvollziehbar."

Ein Viertel der Inhaftierten in NRW sei in Gemeinschaftszellen untergebracht. Brock: "Würden alle auf ihr Recht einer Einzelzelle bestehen, hätten wir ein Problem." Auch das JVA-Personal, so Brock, würde unter der dauerhaften Überlastung leiden: "Die Kollegen sind am Rande des Machbaren angekommen."

(lukra)
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