Studie zur Integration Deutsche Jugendliche mögen Türken am wenigsten

Düsseldorf (RPO). CSU-Chef Horst Seehofer hat die Diskussion um die Integration von Ausländern mit seinen umstrittenen Äußerungen neu angefacht. Doch wie nah ist die Sicht der Politiker an der Realität? Eine Studie gewährt nun Einblicke in das Verhältnis der einzelnen, in Deutschland lebenden Bevölkerungsgruppen zueinander. Demnach sind Türken bei deutschen Jugendlichen besonders unbeliebt. Umgekehrt suchen türkische Heranwachsende Kontakt zu ihren deutschen Altersgenossen.

Jeder Fünfte in Deutschland hat Migrationshintergund
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Foto: RP/Anja Tinter

Während die Politik über die Integration speziell von muslimischen Mitbürgern streitet, haben deutsche Jugendliche ihr Urteils bereits gefällt. Das Kriminologische Institut Niedersachsen (KFN) hat für eine Studie rund 1600 türkischstämmige und über 20.000 deutsche Heranwachsende befragt. Ergebnis: Könnten sie sich die Deutschen ihre Nachbarn aussuchen, würden sie am liebsten unter ihresgleichen wohnen. Auf Platz zwei folgen die Schweden, während die Türken die rote Laterne erhielten - hinter Italienern, Schwarzafrikanern, Juden und Aussiedlern.

Umgekehrt ergibt sich ein anderes Bild: Jugendliche mit türkischem Migrationshintergrund wünschen sich Deutsche als Nachbarn. 40,9 Prozent fänden diese "sehr angenehm", weitere 16,3 Prozent kreuzten "angenehm" an. "Die Türken wünschen sich mehr Kontakt zu den Deutschen, aber die Deutschen zeigen ihnen die kalte Schulter", sagte Christian Pfeiffer, der Leiter des Forschungsinstituts, der "Süddeutschen Zeitung". Auch schlechte Erfahrungen deutscher Jugendlicher mit türkischen Altersgenossen hätten zu diesem Ergebnis beigetragen. "Es gibt eine Macho-Kultur, die hier Probleme macht", erklärte er.

Die Studie, die bereits im Juni veröffentlicht wurde und nun neue Brisanz bekommt, zeigt darüber hinaus zwei Auffälligkeiten: Sämtliche Gruppierungen würden lieber unter sich bleiben. Dieses in der Wissenschaft als "Homophilie" beschriebene Phänomen wird vor allem auf eine leichtere Kommunikation untereinandern sowie ähnliche Interessen und Einstellungen zurückgeführt.

Der zweite Punkt: Die Türken werden bis auf wenige Ausnahmen von allen befragten Gruppen als am wenigsten angenehme Nachbarn genannt. Dabei muss jedoch festgehalten werden, dass keine Gruppierung bei den befragten Viert- und Neuntklässlern als sehr unangenehm empfunden wird. Selbst vergleichsweise "unbeliebte" Nachbarn erhielten Beliebtheitswerte im Mittelfeld.

Phänomen "Deutschenfeindlichkeit"

Während die Deutschen in der Rubrik "Nachbarn" durchweg gut abschnitten, ergab eine weitere Frage ein ganz anderes Bild. Hier ging es um Übergriffe, die die Jugendlichen gegen Deutsche begangen haben. 23,7 Prozent gaben an, bewusst einen Deutschen beschimpft zu haben. 4,7 Prozent hätten bereits zugeschlagen. "In Anlehung an den Begriff der 'Ausländerfeindlichkeit' lässt sich hier auch von 'Deutschfeindlichkeit' sprechen", heißt es in der Studie.

Heinz-Peter Meidinger, Chef des Deutschen Philologenverbands, warnte am Montag vor dem Phänomen: Solche Formen von Mobbing hätten nicht persönliche, sondern in erster Linie ethnische und soziale Ursachen. "Wir stehen in Deutschland vor dem zunehmenden Problem einer sozialen Segregation von einzelnen Migrationsgruppen, einer Ghettoisierung bestimmter Stadtteile und in der Folge einer Ghettobildung im Schulbereich", mahnte er. Berliner Pädagogen hatten beklagt, dass Schüler aus Zuwandererfamilien immer wieder deutsche Kinder ausgrenzten und beschimpften. Auch Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) hatte am Wochenende auf dieses Phänomen verwiesen und erklärt, sie habe damit eigene Erfahrungen gemacht.

Bei den Zahlen der Studie muss jedoch genau hingeschaut werden. Türkische Jugendliche werden in dieser Kategorie vor Migranten aus dem ehemaligen Yugoslawien und Südeuropäern an der Spitze geführt. Ethnische Gruppen, die als gut integriert gelten, liegen in dem Rating am Ende. Allerdings haben 41,4 Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die Deutsche in irgendeiner Form angegriffen haben, selbst einen fremdenfeindlichen Übergriff erlebt.

Bildung ist ausschlaggebend

Pfeiffer verwies in dem Blatt auf einen Zusammenhang zwischen Bildung und den Vorurteilen zwischen den einzelnen Gruppierungen. Je enger der Kontakt sei, umso geringer sei die Abneigung gegeneinander. In Realschulen und Gymnasien ist das Problem weniger ausgeprägt. "Die sogenannte Deutschenfeindlichkeit von Muslimen ist ein Bildungsproblem", sagte Pfeiffer dem Blatt.

Die Ergebnisse der Integrationsstudie "Ungenutzte Potenziale", die Anfang 2009 für Aufsehen sorgte, stützen diese These. Von den rund 2,8 Millionen Türkischstämmigen in Deutschland haben 30 Prozent keinen Schulabschluss, berichtete das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung seinerzeit. Nur 14 Prozent hätten das Abitur, nicht einmal halb so viele wie in der deutschen Bevölkerung und weniger als bei den anderen Zuwanderergruppen. Damit landen die Menschen türkischer Abstammung auf dem letzten Platz.

Ein weiteres Ergebnis der Studie: 93 Prozent der in Deutschland geborenen Verheirateten führen ihre Ehe mit Personen der gleichen Herkunftsgruppe. Eine Vermischung mit der Mehrheitsgesellschaft findet also nur in geringem Umfang statt. Außerdem erschwere die große Zahl der Türken die Integration. So sei es möglich, unter sich zu bleiben und die Sprachbarriere zu umgehen. Bei anderen Migranten ist die Integration nach Ansicht der Autoren deutlich weiter fortgeschritten, Mischehen sind wesentlich weiter verbreitet.

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