160 Professoren verurteilen EU-Gipfelbeschlüsse Deutsche verlieren Glauben an Euro-Rettung

Berlin · Nicht nur führende deutsche Ökonomen verurteilen die jüngsten EU-Beschlüsse zur Euro-Rettung. Auch in der Bevölkerung wächst laut einer Umfrage der Unmut über die Rettungsmaßnahmen für die Gemeinschaftswährung.

Juni 2012 - die Ergebnisse des EU-Gipfels
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Foto: dpa, Ciro Fusco

Demnach hat die Bundesregierung bei ihren Bemühungen um die Rettung angeschlagener Euro-Staaten die Bevölkerung nicht vollständig hinter sich. Mehr als die Hälfte der Deutschen (54 Prozent) sieht kaum noch einen Sinn in weiteren Geldspritzen, geht aus einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage von TNS Infratest im Auftrag von "Spiegel Online" hervor. Für ein weiteres Engagement Deutschlands bei der Euro-Rettung sprachen sich 41 Prozent aus.

Die anhaltende Krise verunsichert demnach die Deutschen: So bejahten 69 Prozent die Frage, ob sie sich angesichts der Euro-Krise ernsthafte Sorgen um deutliche Preissteigerungen machen. Lediglich 30 Prozent verneinten die Frage, ein Prozent hatte dazu keine Meinung. Knapp die Hälfte der Bevölkerung (48 Prozent) macht sich auch Sorgen um die Ersparnisse. Eine knappe Mehrheit von 51 Prozent sieht hierfür aber keinen Anlass. Ähnliches gilt für die Altersvorsorge: 47 Prozent der Befragten machen sich ernsthafte Sorgen, 53 Prozent haben keine Angst.

Optimistischer sind die Bürger bei der Einschätzung, ob ihr Job durch die Euro-Krise gefährdet sein könnte. 64 Prozent der Bürger machen sich der Umfrage zufolge keine ernsthaften Sorgen um ihren Arbeitsplatz oder den von Angehörigen. Besorgt sind demnach lediglich 35 Prozent der Deutschen.

Keine Probleme hätten die Deutschen damit, wenn die Finanzhaushalte der Euro-Staaten auf europäischer Ebene besser kontrolliert würden, etwa durch einen europäischen Finanzminister mit entsprechender Entscheidungsgewalt. So vertreten 74 Prozent der Befragten die Auffassung, dass die Euro-Staaten stärker von zentraler Stelle aus kontrolliert werden sollten, 22 Prozent sind dagegen, drei Prozent antworteten mit "weiß nicht", ein Prozent machte keine Angaben.

Für die repräsentative Umfrage wurden den Angaben zufolge am 3. und 4. Juli 1000 Bundesbürger im Alter ab 18 Jahren befragt.

Ökonomen starten öffentlichen Aufruf

In einem öffentlichen Aufruf haben 160 Wirtschaftsprofessoren die jüngsten EU-Beschlüsse zur Euro-Rettung verurteilt. "Wir sehen den Schritt in die Bankenunion, die eine kollektive Haftung für die Schulden der Banken des Eurosystems bedeutet, mit großer Sorge", heißt es in dem Aufruf, der am Freitag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erscheint. Die Verfasser sind deutschsprachige Ökonomen um Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn.

Deutschland und die soliden Länder würden unter Druck gesetzt, ihre Haftungssummen immer weiter auszudehnen, warnen die Wissenschaftler. "Streit und Zwietracht mit den Nachbarn sind dann vorprogrammiert. Weder der Euro noch der europäische Gedanke als solcher werden durch die Erweiterung der Haftung auf die Banken gerettet." Ihrer Einschätzung nach wird nicht der Euro gerettet, sondern die Gläubiger der maroden Banken.

Beim EU-Gipfel vergangene Woche hatten besonders Spanien und Italien Druck auf Deutschland ausgeübt und erreicht, dass der künftige Euro-Krisenfonds ESM auch direkt Kapital an angeschlagene Banken vergeben kann. Zudem sollen Krisenländer Hilfskredite ohne allzu strenge Auflagen erhalten dürfen. Diese Entscheidungen, "zu denen sich die Kanzlerin (...) gezwungen sah", seien falsch und gefährlich, warnen die Professoren in dem Aufruf.

Die Bankschulden seien fast drei Mal so groß wie die Staatsschulden, heben die Wissenschaftler hervor. "Es ist schlechterdings unmöglich, die Steuerzahler, Rentner und Sparer der bislang noch soliden Länder Europas für die Absicherung dieser Schulden in die Haftung zu nehmen, zumal riesige Verluste aus der Finanzierung der inflationären Wirtschaftsblasen der südlichen Länder absehbar sind", heißt es weiter in dem offenen Brief, der mit den Worten "Liebe Mitbürger" eingeleitet wird.

Initiator des Protestbriefs ist der Dortmunder Wirtschaftsstatistiker Walter Krämer, der zusammen mit Ifo-Chef Sinn den Aufruf verfasst hat. Der Chef des Münchner Wirtschaftsforschungsinstituts zählt seit längerem zu den scharfen Kritikern der Euro-Rettungspolitik.

Zu den Unterzeichnern zählen demnach der Vorsitzende des Wissenschaftlerbeirats von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), Kai Konrad, außerdem der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen, der frühere DIW-Präsident Klaus Zimmermann und der ehemalige sächsische Ministerpräsident und Finanzprofessor Georg Milbradt. Auch mehrere deutsche Professoren, die im Ausland lehren, schlossen sich dem Aufruf an.

Die Kritiker der EU-Beschlüsse in den Reihen der schwarz-gelben Koalition sahen sich durch den Aufruf bestärkt und stellten sich hinter die Initiative. "Es ist gut, dass die vereinigte ökonomische Kompetenz des deutschsprachigen Raums mahnend die Stimme erhebt", sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch zu "Handelsblatt Online". Gemeinsam mit anderen Gegnern des Rettungsschirms ESM habe er bereits deutlich gemacht, warum der eingeschlagene Kurs ein "Irrweg" sei. Der FDP-Finanzexperte Frank Schäffler sagte: "Alle Dämme haben bisher nicht gehalten, sondern die Schuldenflut hat alles hinweggefegt."

(AFP)
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