Neue Studie zu Ost und West Der lange Abschied von der DDR

Berlin · Blühende Landschaften im Osten? Eine Studie im Auftrag der Bundesregierung sieht eine stärkere Angleichung zwischen Ost- und Westdeutschland. Wahr ist aber auch, dass noch manche Widersprüche bleiben.

Diese Wörter sind mit der Wende verschwunden
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Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Nein, Willy Brandt könnte noch nicht zufrieden sein. Auch 25 Jahre nach dem Mauerfall und gut 22 Jahre nach Brandts Tod ist in Deutschland noch nicht zusammengewachsen, was der einstige SPD-Kanzler in seinem wohl berühmtesten Zitat als zusammengehörig erklärt hatte. Zwar nähern sich die Menschen in den ost- und westdeutschen Ländern in ihren Ansichten zunehmend an. Insgesamt aber ticken "Ossis" und "Wessis" noch immer anders und sind weiterhin mit unterschiedlichen Lebensbedingungen konfrontiert. Das hat jetzt eine Studie im Auftrag der Bundesregierung ergeben, die am Mittwoch von der Ost-Beauftragten Iris Gleicke (SPD) in Berlin vorgestellt wurde.

Was Brandt gefreut hätte: Nach Erkenntnis des Zentrums für Sozialforschung Halle genießt die Demokratie als Staatsform mittlerweile nicht nur im Westen, sondern auch im Osten eine hohe Akzeptanz. In den alten Bundesländern halten 90 Prozent die Demokratie für die beste Staatsordnung, seit 1990 ist dieser Wert im Westen weitgehend stabil. Im Osten hat es hingegen einen dramatischen Sinneswandel gegeben. Heute finden dort 82 Prozent die Demokratie allgemein gut und immerhin 72 Prozent speziell das deutsche Modell. Aber noch 2007 hatte nur eine ostdeutsche Minderheit von rund 35 Prozent zur bundesdeutschen Demokratie gehalten — ein Rekordtief. Denn selbst kurz nach der Wende hatten 41 Prozent der Ostdeutschen die Demokratie befürwortet.

Frauenbild im Westen dem des Ostens angepasst

Geeint sind Ost und West auch, wenn es um das miese Image von politischen Parteien und Politikern geht. Beide Institutionen genießen kaum Vertrauen in der Bundesrepublik. "Das ist schon eine ziemliche Klatsche für uns Politiker", sagte Iris Gleicke am Mittwoch in Berlin. Polizei und Gerichte hingegen halten die meisten Bürger in Ost und West für vertrauenswürdig — Mentalitätsunterschied Fehlanzeige. Die "Pegida"-Bewegung allerdings fand noch keinen Niederschlag in der Studie — es wurden Daten bis 2012 verwendet.

Bemerkenswert: Das gesellschaftliche Frauenbild im Westen habe sich über die Jahre eher dem des Ostens angepasst, so die Studienautoren. Berufstätige Frauen und ein breites Netz an Ganztags-Kindergärten waren schon zu DDR-Zeiten normal — heute gilt das für die gesamte Bundesrepublik. Im Westen des geteilten Deutschland habe man aber noch länger einem traditionellen Rollenbild von Mann und Frau nachgehangen, hieß es. Emanzipation kam später. Der Eindruck, dass sich nach der Wiedervereinigung ausschließlich der Osten verändern musste, trügt also offenbar.

Trotzdem bleiben sie, die regionalen Unterschiede. Auch das gehört zu den Ergebnissen der Studie. Differenzen gibt es etwa, wenn es darum geht, ob sich die Bürger in der Bundesrepublik "politisch zu Hause" fühlen: Drei Vierteln der Westdeutschen geht das so, aber nur knapp der Hälfte der Ostdeutschen. Parallel finden 60 Prozent der "Ossis", dass der Sozialismus eine grundsätzlich gute Idee ist, die in der DDR lediglich schlecht ausgeführt wurde. Und wirklich spannend wird es bei der Einschätzung der DDR. 70 Prozent der Ostdeutschen sagen heute klar, dass das politische System der DDR eine Diktatur war. Doch die Ansicht, dass die DDR auch ein "Unrechtsstaat" war — der seine Bürger willkürlich verfolgte und überwachte —, teilen nur 46 Prozent.

Eine Diktatur, die kein Unrechtsstaat ist? Geht das überhaupt? In Deutschland hatte es eine hitzige Debatte darüber gegeben, als in Thüringen mit Bodo Ramelow der erste linke Ministerpräsident nach der Wende gewählt worden war. "Natürlich war die DDR ein Unrechtsstaat", meint die Thüringerin Gleicke. Im Westen müsse jedoch endlich anerkannt werden, dass die große Mehrheit der Ostdeutschen einfach versucht habe, für sich und ihre Familien in der Diktatur etwas aufzubauen.

Die unterschiedliche Wirtschaftskraft

Gleicke beantwortete daher die Frage, ob wir 25 Jahre nach der Wiedervereinigung ein Volk sind, so: "Wir sind vereint, aber noch nicht eins." Immerhin empfänden 77 Prozent der Ost- und 62 Prozent der Westdeutschen die Wiedervereinigung heute als persönlichen Gewinn. Für Gleicke bedeutet die Studie aber auch, dass ihr Job noch nicht überflüssig geworden ist. Als Ost-Beauftragte der Bundesregierung ist es ihre Aufgabe, das Zusammenwachsen von Ost und West voranzutreiben. Wie viel noch zu tun ist, bis Willy Brandts Vision Wirklichkeit wird, haben in der Vergangenheit aber vor allem andere Studien schonungslos aufgedeckt. Regionale Unterschiede zwischen Ost und West sind immer noch allgegenwärtig — ob es der Politik passt oder nicht.

Die Bertelsmann-Stiftung etwa teilte jüngst mit, dass nach wie vor deutlich mehr ostdeutsche Frauen berufstätig seien als westdeutsche. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung wiederum konstatierte, dass das Lohn- und Einkommensniveau in Ostdeutschland deutlich geringer als im Westen sei. In der Konsequenz läge das durchschnittliche Vermögen ostdeutscher Haushalte bei nur 44 Prozent vom Vermögen westdeutscher.

Auf die unterschiedliche Wirtschaftskraft kam Gleicke am Mittwoch selbst zu sprechen. Die Ost-Wirtschaftskraft habe erst zwei Drittel von der des Westens erreicht, auch die Renten seien niedriger, sagte Gleicke. Union und SPD haben im Koalitionsvertrag eine Angleichung der Ost-Renten auf Westniveau bis 2019 zugesagt: "Die Koalition steht da bei den Ostdeutschen im Wort, und sein Wort muss man halten", forderte Gleicke. Dass sie sich die Ergebnisse ihrer Arbeit mit der jetzt veröffentlichten Studie schönfärben wolle, den Eindruck vermittelte Gleicke nicht. Allerdings muss sie auch erkennen, dass es mit dem Generationswechsel keine automatische und umfassende Angleichung von Ost und West geben wird. "Die Akte Aufbau Ost darf nicht zugeklappt werden", sagte Gleicke.

(jd)
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