92 Jahre nach der Niederlage Deutschland bezahlt letzte Kriegsschulden

Düsseldorf (RP). Das Ende des Ersten Weltkrieges (1914-1918) liegt 92 Jahre zurück. Am Sonntag, 20 Jahre nach der Wiedervereinigung, zahlt Deutschland seine finanzielle Restschuld.

 Ein Soldat im Ersten Weltkrieg auf dem Weg zur Front.

Ein Soldat im Ersten Weltkrieg auf dem Weg zur Front.

Foto: AP

Selten, wie in den atemraubenden elf Monaten vom Mauerfall bis zur Einheit, macht die Geschichte einen Tigersprung. Manchmal ist sie eine Schnecke. Wenn man hört, dass am Sonntag, zur 20. Wiederkehr der deutschen Vereinigung, die letzte deutsche Kriegsfolge-Zahlungsrate überwiesen wird, dass also das Schreckensbuch mit der Aufschrift "Erster Weltkrieg" nach 92 Jahren zugeklappt werden kann, drängt sich die Metapher vom Krieg als Kriechtier auf.

Am Anfang der scheinbar unendlichen Geschichte steht der bis heute umstrittene Versailler Vertrag von 1919. In dessen Artikel 231 wiesen die westlichen Siegermächte (die USA unterzeichneten "Versailles" nicht) der sogenannten "Ur-Katastophe" des 20. Jahrhunderts dem Deutschen Reich, das nun kein Kaiserreich mehr war, die Alleinschuld für den furchtbaren Totentanz zu. Das führte dazu, dass die erste deutsche Republik ("Weimarer Republik") ungeheure Reparationsleistungen tragen sollte.

Die endgültige Höhe wurde im Vertrag nicht festgelegt. 20 Milliarden Goldmark (entspricht mehr als sieben Millionen Kilogramm Gold) sollten jedoch bis April 1921 entrichtet werden. 1920 forderten die Alliierten (beispielsweise Großbritannien, Frankreich, Belgien) eine ungeheuer große Gesamt-Entschädigungssumme in Höhe von 296 Milliarden Goldmark, zu zahlen in 42 Jahresraten. Außerdem sollte Deutschland zwölf Prozent seiner jährlichen Exporterlöse an die Sieger abgeben.

Ein ökonomischer Seher wie der spätere Wirtschafts-Nobelpreisträger John Maynard Keynes (USA) erkannte früh die Unmöglichkeit der Leistung. Da sich die deutschen Reparationszahlungs-Pflichten unheilvoll mit der viel diskutierten Kriegsschuldfrage verknüpften, hetzten Extremisten von links und — mit den bekannt fürchterlichen Folgen — Hitlers Nazi-Partei gegen "Versailles" sowie diejenigen Demokraten der Weimarer Republik, die sich dem Vertrag notgedrungen gebeugt hatten.

Dass die Geschichte der Weimarer Republik eine solche der Krisen und Krisenregierungen wurde, lag nach Einschätzung von Fachleuten weniger an den finanziellen Sonderlasten, die Deutschland tragen sollte, als vielmehr an den permanenten politischen Brunnenvergiftungen, gegen welche die Demokratie ohne genügend Demokraten zu kämpfen hatte.

Wie nach dem Zweiten Weltkrieg, wie übrigens auch in den 329 Tagen zwischen dem Mauerfall in Berlin und der Wiedervereinigung, waren es in erster Linie die Vereinigten Staaten von Amerika, auf die Deutschland politisch zählen durfte: Die Reparationsforderungen wurden allmählich gemindert: zunächst auf 132 Milliarden Goldmark (umgerechnet 700 Milliarden Euro), zu zahlen in 66 Jahresraten zu jeweils zwei Milliarden Goldmark.

Im Dawes-Plan von 1924 und im Young-Plan fünf Jahre später lag die Zahlungspflicht bei jährlich 2,5 Milliarden Reichsmark bis zum Jahr 1988. 1931/1932, als Deutschland zahlungsunfähig war, wurden die Reparationen gestrichen. Gleichzeitig wurden internationale Anleihen zur Stützung der deutschen Wirtschaft gezeichnet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg verpflichtete sich die im Mai 1949 gegründete Bundesrepublik Deutschland (die im Oktober 1949 entstandene DDR hielt sich raus) im Londoner Schuldenabkommen von 1953, die aufgelaufenen Zinsen aus den Anleihen zu bedienen, aber erst nach der Wiedervereinigung. Die trat am 3. Oktober 1990 in Kraft. Zwanzig Jahre lang erhielten die überwiegend privaten Inhaber der Anleihen ratenweise insgesamt 200 Millionen Euro. Am Sonntag heißt es: Erster Weltkrieg in jeder Hinsicht beendet.

(RP)
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