Betriebe Pressestimmen zum Tarifeinheitsgesetz
So berichten die Medien über das umstrittene Tarifeinheitsgesetz in Deutschland - Nach fünf Jahren kehrt Deutschland zum Prinzip "Ein Betrieb - ein Tarifvertrag" zurück.
Rheinische Post: "Der Beschluss für ein Tarifeinheitsgesetz gestern im Bundestag markiert einen schwarzen Tag in der Geschichte der sozialen Marktwirtschaft. Mag der Unmut über das Machtbewusstsein und die zweifelhaften Expansionsmotive der Lokführergewerkschaft groß sein, der politische Eingriff in die Tarifautonomie birgt ein hohes politisches Risiko, dessen Wirkung schlimmer sein könnte als der Streik der Lokführer. Es sind nicht nur populistische Oppositionspolitiker, sondern auch namhafte Verfassungsjuristen, die das Gesetz für grundgesetzwidrig halten. Wenn die Verfassungsrichter in Karlsruhe dies ähnlich sehen - immerhin kann die Politik mit dem Gesetz Tarifverträge kleiner Gewerkschaften für nichtig erklären -, wäre dies ein herber Schlag für eine Koalition, die mit Union und SPD eigentlich von den Parteien der sozialen Marktwirtschaft und der Tarifautonomie getragen wird. Die Koalition muss auch eine Rechtsstaats-Koalition sein. Und der Streik gehört zu dem weltweit anerkannten System der Tarifautonomie dazu. Selbst wenn er unbequem und überzogen ist."
Mittelbayrische Zeitung: "Der zeitliche Zusammenhang ist auffällig. Gerade endete der neunte Streik der kleinen Lokführergewerkschaft (GDL), und gleichzeitig hat der Bundestag gestern dem Tarifeinheitsgesetz grünes Licht gegeben. Dennoch ist die Entscheidung des Parlaments keine Lex GDL. Die Notwendigkeit, für gesetzliche Klarheit im Fall von konkurrierenden Arbeitnehmervereinigungen in einem Unternehmen zu sorgen, besteht bereits seit 2010. Damals brach das Bundesarbeitsgericht mit der seit sechs Jahrzehnten bewährten Regel: ein Unternehmen - ein Tarifvertrag."
Trierischer Volksfreund: "Bis 2010 galt gewissermaßen als ungeschriebenes Gesetz: ein Betrieb, ein Tarifvertrag. Und niemand kann behaupten, dass Deutschland damit schlecht gefahren wäre. Die Republik steht auch deshalb wirtschaftlich so stark da, weil die Tarifpartnerschaft funktioniert, weil Gewerkschaften in aller Regel verantwortungsvoll handeln. Mittlerweile gibt es allerdings Anzeichen, dass kleine Spartengewerkschaften anderes im Sinn haben. Minderheiten werden so zu einer Macht, die Mehrheiten dominieren, um sie für eigensinnige Ziele zu missbrauchen. Der Bundestag will solche Gewerkschaften nun an die Leine legen. Fragt sich nur, ob das Gesetz zur Tarifeinheit dafür ein taugliches Mittel ist. Die Konstruktion ist verfassungsrechtlich heikel, weil am Ende ein Tarifvertrag durch einen anderen verdrängt werden kann. Eine Gewerkschaft aber, die nicht tariffähig ist, kann sich auch gleich selbst auflösen."
Stuttgarter Zeitung: "Die juristische Debatte, ob das jetzt beschlossene Tarifeinheitsgesetz verfassungsfest ist, muss in Karlsruhe geklärt werden. Auf der Sachebene ist die Entscheidung einfacher: Das Gesetz ist ausgesprochen sinnvoll, denn es schreibt den alten Grundsatz "Ein Betrieb, eine Gewerkschaft" wieder fest.
Wenn kleine Spartengewerkschaften um mehr Lohn und Einfluss streiken, bestreiken sie nicht nur ihren Arbeitgeber sondern auch ihre Kollegen im selben Betrieb. Das neue Gesetz kann den Betriebsfrieden auf eine bessere Grundlage stellen. Ja, die großen DGB-Gewerkschaften profitieren. Aber gerade diese haben in der Vergangenheit Arbeitnehmerinteressen und Augenmaß miteinander verbunden. Einheit macht stark - beide Tarifpartner."
Mannheimer Morgen: "Der beste Grund für ein Tarifeinheitsgesetz ist der Chef der Lokführergewerkschaft Claus Weselsky. Mit welcher Unverschämtheit dieses Abziehbild von einem ehrbaren Gewerkschafter Millionen Bahnreisende gleich mehrfach in Geiselhaft für seine Klientel genommen hat, ist kaum noch an Maßlosigkeit zu überbieten. Künftig wird es zu solchen Exzessen nicht mehr kommen. Gestern hat der Bundestag ein Gesetz verabschiedet, dem zufolge in Zukunft bei Tarifkonflikten zwischen Gewerkschaften in einem Unternehmen, wie das bei der Bahn der Fall war, nur noch die einen Tarifvertrag aushandeln dürfen, die die meisten Mitglieder haben. Der in Dresden geborene und aufgewachsene Weselsky mag das in der Schule nach den Lehrplänen der DDR nicht gelernt haben, aber so etwas nennt man Demokratie."
Braunschweiger Zeitung: "Das ist ein Rückschritt. Viel besser wäre es gewesen, die Gewerkschaften hätten untereinander geklärt, wie sie bei Konflikten miteinander umgehen. Befördert wurde das Gesetz zur Tarifeinheit vom Streik der Lokführer. Dabei ging es nicht nur um Geld, sondern vor allem um Macht. Sicher hätte die Politik den Gewerkschaften mehr Zeit geben können, ihren Streit zu schlichten. Verantwortlich für das Gesetz sind sie allerdings selbst. Sie haben ein Stück Tarifautonomie geopfert, weil sie den Grundsatz vergessen haben, dass zur Freiheit auch immer die Verpflichtung gehört, verantwortungsvoll damit umzugehen."
Volksstimme: "Andrea Nahles' Versuch, Tarifeinheit auf gesetzlichem Weg herzustellen, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit misslingen. Ganz abgesehen davon, dass nicht sicher ist, ob ihr Gesetz verfassungskonform ist. Es ist auch realitätsfern. Die Bahn AG besteht wie die meisten Großunternehmen aus vielen selbständigen Betriebseinheiten. In jeder einzelnen muss die jeweilige "Mehrheitsgewerkschaft" als Tarifpartner ermittelt werden. Der Arbeitgeber hat es also weiter mit mehreren Gewerkschaften zu tun, die alle streiken dürfen. Lokführer könnten auch nach verschiedenen Tarifen bezahlt werden. Das Durcheinander wird noch größer, wenn Lokführer innerhalb der Bahn wechseln oder die Bahn AG umstrukturiert. Der Gesetzgeber hätte besser Regelungen treffen sollen, die Streiks in Branchen von besonderer öffentlicher Bedeutung erschweren und berechenbarer machen. Längere Ankündigungszeiten oder Schlichtungszwang ließen sich verfassungskonform durchsetzen."
Kölner Stadtanzeiger: "Lange schon hat kein Paragrafenwerk die Gemüter so erhitzt wie das Tarifeinheitsgesetz. Nach seiner Verabschiedung durch das Parlament wäre es Zeit für etwas mehr Nüchternheit. Es ist absurd, wenn die Linkspartei der SPD vorwirft, sie verrate die Beschäftigten und schleife das Streikrecht. Immerhin hatten Arbeitgeber und DGB gemeinsam gefordert, das Prinzip "Ein Betrieb, ein Tarifvertrag" wiederherzustellen. Tatsächlich ist es höchst problematisch, wenn immer mehr konkurrierende Kleingewerkschaften nicht für höhere Löhne, sondern für die Ausweitung ihrer Einflusssphäre streiken. Das führt zu einer Entsolidarisierung, bei der Piloten, Lokführer oder die IT-Experten eines Unternehmens ihre Interessen durchsetzen können. Wer nicht am Schalthebel sitzt, hat den Nachteil."
Märkische Oderzeitung: "Das Prozedere, mit dem geklärt werden soll, wo welche Gewerkschaft zum Zug kommen kann, dürfte nicht dem Betriebsfrieden dienen. Dass sich etwa die Gewerkschafts-Streithähne GDL und EVG friedlich darauf einigen, wer für wen bei der Bahn zuständig ist, darf man wohl ausschließen. Dann soll gezählt werden. Doch wer ermittelt eigentlich, welche Organisation mehr Mitglieder hat? Doch nicht etwa die Unternehmensspitze? Sollen die Beschäftigten zu einem Bekenntnis gezwungen werden? Oder die Gewerkschaften zu exakten Angaben über ihre Stärke? Der blanke Irrsinn. Ob dieser Zustand überhaupt von Dauer ist, darf man bezweifeln. Schließlich ist es gerade fünf Jahre her, dass höchstrichterlich die Tarifeinheit als verfassungswidrig eingestuft wurde."
Schwäbische Zeitung: "Das Tarifeinheitsgesetz soll kleine Gewerkschaften der Aufgabe berauben, über Löhne und Arbeitsbedingungen zu verhandeln. Auch deren Streikrecht stünde zur Debatte. Unternehmen, Großgewerkschaften und Bundesregierung sind einig wie selten, dass das für mehr Ruhe in den Betrieben sorgen würde. Doch womöglich wurde die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Das Bundesverfassungsgericht könnte die Tarifeinheit kippen, da sie gegen die Koalitionsfreiheit verstößt. Sollten die kleinen Gewerkschaften in Karlsruhe siegen, müssten die großen ihren Mitgliedern nicht mehr nur erklären, warum sie in Tarifgesprächen weniger herausgeholt haben als die streiklustigere Konkurrenz. Sie müssten auch darlegen, warum die Menschen noch Mitglied bei ihnen sein sollen."