Die Sozialwahl Deutschlands große Unbekannte

Berlin · Es darf wieder gewählt werden in Deutschland, doch kaum einer interessiert sich dafür. Es geht um die Sozialwahl 2011. Viele Deutsche wissen gar nicht, was eigentlich dahinter steckt. Und das trotz umfangreicher Werbung. So droht die Abstimmung sang- und klanglos unterzugehen - so wie vor sechs Jahren.

Sozialwahl 2011 - die Fakten
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Sozialwahl 2011 - die Fakten

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Foto: dapd

"Ich geh zur Wahl, weil mir wichtig ist, was mit meinen Beiträgen geschieht" - mit Aussagen wie dieser wird derzeit in TV-Spots für die drittgrößte Wahl der Bundesrepublik aufgerufen. Denn rund 48 Millionen gesetzlich Versicherte sind zur Abstimmung aufgerufen. Dazu kommen großflächige Werbeplakate auf Deutschlands Straßen, eine Facebook-Seite, ein Twitter-Kanal, sogar ein Clip auf Youtube.

Ob das bei den Wahlberechtigten selbst ankommt, ist fraglich. Viele von ihnen haben wohl die Briefwahlunterlagen, die sie in den vergangenen Tagen erhalten haben, gleich entsorgt. Ein teurer Spaß für den Papierkorb. Denn die Kosten werden auf insgesamt rund 50 Millionen Euro geschätzt. Der Bund der Steuerzahler kritisiert daher auch besonders die "sinnlose Reklame".

Bestimmung der Parlamente

Wenngleich der Werbeaufwand enorm hoch ist, so hat die Wahl doch vor allem ein Problem: Wirkliche Informationen darüber erfährt man dadurch nicht. Dabei geht es um Mitbestimmung in einem den Deutschen alles andere als unwichtigen Bereich - den Sozialversicherungen. Und so sagt auch der Bundeswahlbeauftragte der Sozialwahlen, Gerald Weiß: "Diejenigen, die Beiträge zahlen, sollen auch mitbestimmen, wofür das Geld ausgegeben wird."

Für viele Deutsche aber ist viel entscheidender, welchen Prozentsatz sie überhaupt in der Renten- oder Krankenversicherung zahlen müssen. Und diese werden von der Berliner Koalition bestimmt. Bei der Sozialwahl dagegen geht es um etwas ganz anders, es geht um Mitbestimmung innerhalb des Systems.

Konkret werden die Parlamente der Sozialversicherung gewählt. Bei der Deutschen Rentenversicherung nennt sie sich Vertreterversammlung, bei den großen Krankenkassen DAK, Barmer GEK, Techniker, KKH-Allianz und hkk Verwaltungsräte.

Die Versicherten können Organisationen oder Interessengruppen in diese Gremien wählen - und zwar für jeden Rat extra. Dazu zählen etwa Gewerkschafen wie IG Metall und Verdi. Und diese wiederum bestimmen dann etwa den Haushalt mit, welche Zusatzleistungen eine Kasse bezhalt oder ob ein Zusatzbeitrag erhoben wird.

Welche Personen allerdings genau in die Gremien gewählt werden, weiß der Versicherte nicht, denn die Abstimmung ist eine Listenwahl. Die Organisationen bestimmen diese Ehrenamtlichen, allerdings gibt es Kritik, dass die Einstiegshürden für neue Kandidaten viel zu hoch sind. Und es ist nicht die einzige Kritik, die an der Sozialwahl laut wird.

Kritik an den Listen

Der Politikwissenschaftler Bernard Braun etwa sagte dem "Spiegel": "Wir müssen weg von der Dominanz der Gewerkschaften und hin zu einer Betroffenenorientierung". Es müssten Listen her, die einzelne Gruppen vertreten, zum Beispiel Jugendliche und Berufsanfänger. Auch die sogenannte Friedenswahl ist ihm ein Dorn im Auge. Dabei geht es um jene Kassen, in denen keine wirkliche Sozialwahl stattfindet, weil es etwa nicht genügend Kandidaten gibt.

Kritisiert wird dabei, dass sich Arbeitgeber, die ebenfalls in den Gremien befinden, und die Gewerkschaften sich dabei die Posten gegenseitig zuschieben würden. Braun sagte dazu dem "Focus", viel zu oft werde die Verteilung der Sitze ausgekungelt. "In den Versicherungsparlamenten sitzen lauter alte Gewerkschaftsfunktionäre."

Der Wahlbeauftragte Weiß aber weist die Kritik an der Abstimmung zurück. So sei es etwa ein Vorurteil, dass die Gremien nichts Wesentliches zu entscheiden hätten. Allerdings sagt er auch, dass man beobachte, dass der Staat den Gremien immer mehr Aufgaben abnimmt. "Diesen Prozess muss man umkehren", so Weiß.

Und er argumentiert auch gegen den größten Kritikpunkt - die Kosten der Wahl. "Demokratie hat gewisse Betriebskosten. Das halte ich für angemessen", sagt er und betont, dass sonst immer gesagt werde, dass das Demokratieprinzip zu wenig realisiert werde. Ob die Wähler das ändern, wird sich nach dem 1. Juni zeigen, dem Stichtag der Wahl. Bei der letzten Wahl sah das weniger gut aus. Damals stimmte nicht einmal ein Drittel der Wahlberechtigten ab.

(RPO)
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