Politischer Nachwuchs Diana Kinnert - jung, lesbisch, CDU

Düsseldorf · Wohin steuert die Union nach Merkel? Das wird auch davon abhängen, ob Frauen wie die 27-jährige Diana Kinnert gehört werden.

 Diana Kinnert - nicht ohne meine Kappe.

Diana Kinnert - nicht ohne meine Kappe.

Foto: Deniz Saylan

Das ganze Ausmaß des Problems zeigt ein Foto. Vier weiße Männer um die oder jenseits der 60 stehen in Anzug und Krawatte an einem Tisch vor einem Tennisheim, außerdem ein weißer Mann unter 40 ohne Krawatte. Sie strahlen in die Kamera, es ist der 70. Geburtstag der CDU Henstedt-Ulzburg in Schleswig-Holstein.

Nur die sechste Person fällt sofort auf zwischen den Abgeordneten und Wahlkreiskandidaten: eine junge Frau mit langen dunklen Haaren und dunklerem Teint. Sie hat die Ärmel ihres grünen Hemdes aufgekrempelt, auf dem Kopf trägt sie eine blaue Baseballkappe, der Schirm zeigt zur Seite. Auch Diana Kinnert ist CDU-Mitglied. Die Frage ist nur: Wie konnte das passieren?

Die Volksparteien haben ein Problem: Es mangelt ihnen an jungen Leuten, vor allem an jungen Frauen. Gerade in der CDU wird sich das bald bemerkbar machen, denn die Frage, wohin die Partei nach Merkel steuert, wird immer dringlicher. Die Antwort wird auch davon abhängen, welche Rolle Frauen wie Diana Kinnert in der Partei spielen werden. Vereinfacht ausgedrückt: Verschieben Leute wie Jens Spahn die Partei ein Stück zurück nach rechts, um zur AfD gewechselte Wähler wiederzugewinnen? Oder öffnet sich die Partei weiter zur Mitte? Dann braucht sie Frauen wie Diana Kinnert.

Die Fahrten mit der Schwebebahn politisieren sie

Kinnert vereint so ziemlich alles, was in der CDU unterrepräsentiert ist: Sie ist jung, 27, weiblich, lesbisch und hat einen Migrationshintergrund. Ihr Vater ist polnischer Spätaussiedler, die Mutter kommt von den Philippinen. Zwar hat sie kein wichtiges Amt in der Partei, aber einen guten Draht zum früheren Generalsekretär Peter Tauber. Sie hat ein erfolgreiches Buch geschrieben mit dem Titel "Für die Zukunft seh‘ ich schwarz" und sie spricht viel in der Öffentlichkeit, in Talkshows, bei Veranstaltungen, mit Medien, auch weil sie eben so anders auftritt. Wie kommt so jemand überhaupt auf die Idee, sich für die CDU zu engagieren?

Kinnert wächst am grünen Stadtrand von Wuppertal auf. Weil ihre Eltern eben keine Bio-Deutschen sind, muss sie ihre Identität erst zusammensuchen, wie so viele Menschen, die in Deutschland mit Migrationshintergrund aufwachsen. Es ist kein Ereignis, das sie politisiert, es sind die Fahrten mit der Schwebebahn. Die Verschiedenheit, die sie in ihrer Person vereint, sieht sie auch dort. Sie guckt in leerstehende Fabrikgebäude hinein, in Büros, Wohnungen von Arbeitslosen, in denen die Kinder auf Pappen klettern, sie sieht in zugemüllten Parks türkische Familien grillen, weil sie zu Hause keinen Garten haben. Wie hängt das zusammen? Was kann man da machen? Sie merkt, dass die Welt um sie herum nicht harmonisch ist. In Kinnerts Kopf fängt es an zu rattern. Sie engagiert sich, Amnesty, solche Dinge, Parteien kann sie sich zunächst nicht vorstellen, kommt dann aber doch zu der Erkenntnis, dass Parteien die Hauptakteure im parlamentarischen System sind. Mit 17 Jahren tritt sie der CDU bei. Zwar passt ihr vieles an der Partei nicht, aber sie findet dort mehr Übereinstimmungen mit ihren eigenen Positionen als bei den anderen. Kinnert ist katholisch, sie glaubt an die Marktwirtschaft, und links, das erscheint ihr zu unrealistisch, dogmatisch.

Lieber Unternehmerin als Berufspolitikerin

Doch auf diese junge Frau ist die Partei nicht eingestellt, sie scheint überhaupt nicht auf neue Mitglieder eingestellt. Erst als sie das dritte Mal am Stammtisch des Ortsverbandes teilnimmt, spricht sie ein Mann an. Er hält sie für die Kellnerin und bestellt zwei Bier. Dann lernt sie an einem 1. Mai die Arbeit der CDA kennen, der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft, quasi der linke Flügel der CDU. Dort fühlt sie sich willkommen. Ab jetzt läuft es besser. Sie gründet die Schüler Union in Wuppertal, richtet Whatsapp-Gruppen ein, arbeitet online an Positionspapieren und sie bloggt darüber, wie Parteien attraktiver für junge Leute werden können. Es ist eben nicht der übliche Weg über die Junge Union. Mit der hat sie über den Ortsverband hinaus kaum etwas zu tun.

Die Konrad-Adenauer-Stiftung wird auf sie aufmerksam, sie wird Mitgründerin des Jugendbeirates, Peter Tauber lädt sie ein, Mitglied einer Bundeskommission der CDU zu werden, die die Modernisierung und Öffnung der Partei vorantreiben soll. "Schon wenn ich sage, was ich denke, stoße ich bei der CDU Reaktionen an", sagt Kinnert. "Dadurch konnte ich mir eine emanzipierte Rolle aufbauen." Und die CDU ist froh über eine, die all das ist, was man mit der Partei nicht verbindet. Sie wird Büroleiterin von Peter Hintze in Berlin, dem Abgeordneten in ihrem Wuppertaler Wahlkreis. Sie bleibt es bis zu seinem Tod 2016. Danach bietet man ihr an, sich bei Wahlen aufstellen zu lassen, in NRW, im Bund, aber sie verzichtet darauf - vorerst. Berufspolitikerin ist nicht ihr Ziel, lieber ist sie Unternehmerin, sie betreibt eine Nachrichtenplattform für grüne Technologie.

Bloß Jungsein ist kein Inhalt

Doch was hat diese 27-Jährige zu sagen? Bloß Jungsein ist kein Inhalt. Wer denkt wie die Alten, hilft der Partei nicht weiter. Worauf Kinnert schon mal keine Lust mehr hat: Leitkulturdebatten. Gehört der Islam zu Deutschland oder nicht? Sie hat nichts dagegen, freiheitliche Werte als Leitkultur zu definieren, "aber so wie Jens Spahn zu sagen: Muslime wollen nicht nackt im Fitnessstudio duschen, das ist gegen meine Kultur – das finde ich Quatsch. Das schafft nur neue Feindbilder, anstatt zu gucken, was diese Leute mitbringen." Sie sagt das wie jemand, der einen Hit der CDU schon ein paar Mal zu viel gehört hat. "Wenn wir das festlegen, ist das niemals Kultur. Kultur ist, was von sich aus erwächst. Kultur ist, was eine Bedeutsamkeit entwickelt, ohne dass du darüber sprechen musst. Deshalb ist die Leitkulturdebatte Quatsch."

Dass Leute trotzdem darüber sprechen, zeigt für Kinnert, wie verunsichert sie sind. Der Nationalstaat bricht auf, Geschäftsmodelle verschwinden und mit ihnen Arbeitsplätze. Da suchen Menschen nach Identität, Tradition und Sicherheit. "Dann kommen Leute, die wir in der CDU haben und in der CSU, mit einer Strategie: Lasst uns folkloristisch umreißen, was die eigene Identität ist."

Sie hält das für die falsche Strategie, weil sie sich nur mit Symptomen beschäftigt, aber nicht mit Ursachen. Die verunsicherten Leute muss Politik einbinden, aber anders. Durch Debatten über Infrastruktur, Technologie, Pflege, Soziales und Bildung. "Da will ich einen Schwerpunkt der Debatte sehen." Sie nennt das "Agenda-Setting nach vorne".

Lieber Debatte über Datenschutz als Burka

Kinnert treibt die Sorge um, dass Deutschland den Wandel verpasst. Dass die Industrienation im dritten Jahrtausend abgehängt wird, weil es nicht mehr so entscheidend ist, Industrienation zu sein. Beispiel: WLAN. Deutschland hatte früh WLAN, überall ein bisschen. Andere Länder hatten das erst später, haben es dann aber überall gemacht und viel viel besser, sagt sie. Kinnert nennt es das "Schicksal des Privilegs", das auch andere Bereiche betrifft: "Dadurch dass wir einmal so richtig gut waren und eine starke Automobilwirtschaft hatten, sehen wir nicht, was andere Staaten alles tun, um das Geld in ihre Länder zu kriegen." Das, was Deutschland auszeichne, werde in der Zukunft nicht mehr so gefragt sein: "In Ordnung und Organisation sind wir Deutschen gut, beim Reformieren und Experimentieren, im Pragmatismus und Flexibilität sind wir schlicht schlecht. Genau das aber wird der Rohstoff des nächsten Jahrhunderts sein."

Sie möchte bei der Bildung ansetzen, und da kommen die jungen Politiker ins Spiel, weil deren Ausbildung noch nicht so weit zurückliegt. Manche Berufe werde es gar nicht mehr gaben, manche werden sich verändern, manche werden wir neu brauchen. Vielleicht brauche es bald Lotsen für automatisiertes Fahren. "Darauf ist unser Schulsystem nicht vorbereitet, die Ausbildung nicht, die Uni nicht, die IHK nicht, das Rentensystem nicht, Bafög nicht." Sie fordert neue Schulfächer wie Programmieren, mehr Lernen in Projekten als in Fächern. Und Alternativen für Leute, deren Job überflüssig geworden ist. Dann muss es eben nicht nur einmal Bafög geben. "Man muss sich an lebenslanges Lernen gewöhnen – dass ein 40-Jähriger mit einem 12-Jährigen in einem Coding-Kurs sitzt."

Technik ist ihr Thema. Gerade junge Leute könnten in ihren Augen das Bewusstsein dafür schaffen, was Daten alles leisten können. Zum Beispiel in der Gesundheitspolitik. Niemand habe so viele Gesundheitsdaten gesammelt wie Facebook und Google, da sähen die Uni-Kliniken alt aus. Google und Facebook könnten deshalb auch viel detailliertere Diagnosen stellen. "Länder und Kliniken könnten sich marktwirtschaftlicher begreifen und selbst Daten sammeln." Könne man kritisch sehen, klar, aber lieber möchte sie Debatten über Datenschutz als über ein Burka-Verbot.

Ihre Generation geht lieber zur Demo als in den Ortsverband

Dass diese Themen in der Groko angeschoben werden, glaubt sie eher nicht. Groko ist für sie eher Verwalten als Vorantreiben. Lieber hätte sie eine Jamaika-Koalition gesehen. Das entspricht auch eher ihrer Haltung, dass links und rechts keine so relevanten Kategorien mehr sind. Kinnert steht für Pragmatismus, für Kompromiss, wie sich an ihrer Position zur Frauenquote sehen lässt. Zunächst war sie jahrelang grundsätzlich dagegen, dann sah sie, dass sich wenig tat, ist nun aber nicht vorbehaltlos dafür. "Die Quote ist dort sinnvoll, wo es schon viele Frauen gibt, sie aber trotzdem durch eine gläserne Decke abgehalten werden." Für sie fängt das Thema aber schon viel früher an: "Nennst du das kleine Mädchen Prinzessin oder auch Forscherin?"

Doch damit junge Leute neue Themen in die Politik bringen, müssen sie erst mal Parteien beitreten. Kinnert hält ihre Generation nicht für unpolitisch, bloß engagiere diese sich anders, "punktuell, themenspezifisch, räumlich und zeitlich unabhängig." Also lieber eine Demo statt jede Woche Ortsverband. Kinnert sieht das nicht nur positiv: "Ich finde, dass meine Generation zu bequem geworden ist. Nur einmal zu Stuttgart 21 – und dann weg sein, wenn es um die Gremien geht. Man muss länger dabei bleiben. Konsense ausfechten. Das sind wir nicht mehr gewöhnt. Damals saßen Leute mit Tofu und Mettwurst nebeneinander und beides war okay – heute sind wir hysterischer, demokratie-ungeübter. Wir schreien sofort nach Schubladen: Der ist extremistisch und der ist extremistisch."

Doch sie verlangt auch, dass Parteien den jungen Leuten entgegenkommen. Themenspezifisches Arbeiten statt immer nur Ortsverband, Online-Gremien statt Regionalgebundenheit, mehr Mitbestimmung der kleinen Mitglieder, eine Internet-Ortsgruppe. Immerhin konnte man Angela Merkel im vergangenen Wahlkampf unterstützen, ohne CDU-Mitglied zu sein.

Nie die Volkstümliche in einer Volkspartei

Diese Möglichkeiten würden es auch anderen unterrepräsentierten Gruppen einfacher machen. Erziehungsleistende, Gründer, 17-Jährige und Leute über 70, Frauen, Arbeitslose. "Es fängt schon damit an, dass man nicht weiß, wie lange die Sitzung dauert, und ich deshalb nicht weiß, wie lange ich einen Babysitter bestellen muss."

Bei einer Gruppe ist sie selbst einigermaßen ratlos, wie sie sich stärker einbinden lässt: Nicht-Akademiker. Schwierig wegen der Fachsprache in der Politik. "Sie sehen ja, wie viele Millionen Likes sehr stark verkürzende Sprüche auf Facebook kriegen – das ist das normale Volk. Da muss man gucken, wie man politische Bildung schon in die Schulen kriegt."

Sie selbst wird nie die Volkstümliche in einer Volkspartei sein, denn auch ihre Sprache ist teilweise sperrig. Sie studiert Philosophie und Politik, einige Passagen ihres Buches klingen, als habe sie diese direkt aus dem Seminar mitgeschrieben. Das Problem ist ihr bewusst. "Eine frühere Lektorin grüßt mich heute quasi nicht mehr. Ich weiß nicht, ob mein Schreibstil aus einem psychischen Impuls kommt, dass ich mich immer beweisen wollte, oder ob das meine Gedankenstruktur ist."

Doch wer sich in politischen Kreisen bewegt, dessen Sprache wird eher noch sperriger als zugänglicher und damit werden häufig auch die Ideen konventioneller. Am Ende ist das die entscheidende Frage: Kann Diana Kinnert ihre Ideen einbringen, sich geltend machen, wie sie immer sagt - oder hat sie erst Einfluss in dieser Partei, wenn sie nur noch zu sagen hat, was alle anderen auch sagen? Dann kann man auch mit 30 schon sehr alt sein.

Diana Kinnert, Für die Zukunft seh' ich schwarz: Plädoyer für einen modernen Konservatismus (208 Seiten, Rowohlt, 9,99 Euro)

(seda)
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