Wie nah stand die junge Merkel dem SED-Regime? Die DDR-Vergangenheit der Kanzlerin

Berlin · Am Dienstag erscheint ein neues Buch über das "erste Leben der Angela M". Wie nah stand die junge Merkel dem SED-Regime? Diese oft gestellte Frage bekommt neuen Schwung. Die Kanzlerin selbst sieht keine neuen Fakten über ihre Zeit als FDJ-Funktionärin.

Gleich doppelt taucht die Kanzlerin in diesen Tagen in ihre eigene DDR-Vergangenheit ein. Sonntag geht Angela Merkel ins Kino und guckt noch einmal den DDR-Kultfilm aus dem Jahr 1973 "Die Legende von Paul und Paula", spricht anschließend auch mit den damaligen Hauptdarstellern Winfried Glatzeder und Angelica Domröse über Gedanken und Gefühle des später verbotenen Streifens. Am Dienstag erscheint ein neues Buch über das "erste Leben der Angela M". Und im Unterschied zum Film wird das kaum Anlass für Ostalgie bieten.

Im Gegenteil. Die Recherche der beiden Springer-Journalisten Ralf Georg Reuth und Günther Lachmann führt erneut zu Fragen, denen sich Merkel seit ihrem Aufstieg von der Pressesprecherin des winzigen "Demokratischen Aufbruchs" zur mächtigen CDU-Kanzlerin schon häufiger stellen musste: Wie nah stand die junge Merkel dem SED-Regime, dass sie Reisen machen, studieren und wissenschaftlich arbeiten durfte?

Auffällig ist an der öffentlichen Beschäftigung mit der Angela Kasner im blauen Hemd der SED-Massenorganisation "Freie Deutsche Jugend", dass sie in einem Vier-Jahres-Rhythmus erfolgt. Vor 2013 war Merkels Vergangenheit bereits 2009 und 2005 Thema von angeblich neuen Enthüllungen. Zur Erinnerung: 2005, 2009, 2013 wurde ein neuer Bundestag gewählt.

So sollte denn auch die jetzt wieder im Mittelpunkt stehende Tätigkeit Merkels als "FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda" bereits 2009 ein Wahlkampf-Thema werden. Linken-Spitzenkandidat Oskar Lafontaine stellte damals fest: "Sie war FDJ-Funktionärin für Agitation und Propaganda — damit gehörte sie zur Kampfreserve der Partei." Doch bereits 2005 hatte Merkel sich ausführlich dazu geäußert, dass sie "selbstverständlich und viele Jahre in der FDJ" gewesen sei.

Viele Unterlagen sind verschollen, aber man kann davon ausgehen, dass sie sich ungefähr zwischen 1968 und 1984 in der Staatsjugend engagierte. Sie habe "dazugehören" wollen, erläutert sie. Ihre "herausgehobene" Funktion (Lafontaine) beschreibt sie selbst als "Kulturreferentin", die etwa Theaterkarten besorgt habe. Möglicherweise war sie aber auch für die politischen Schulungen der FDJ-Mitglieder mitverantwortlich. Jedenfalls räumte sie wiederholt ein: "Ich war keine Heldin. — Ich habe mich angepasst."

Mit dieser Zusammenfassung macht sie klar, dass sie sich nicht auf einer Stufe mit den Bürgerrechtlern sieht. Dabei hält ihre Stasi-Akte angeblich Anzeichen von Unzuverlässigkeit fest, von "politisch-ideologischer Diversion". Sie stehe dem eigenen Staat kritisch und der polnischen "Solidarität"-Bewegung positiv gegenüber, soll darin stehen.

Von einem (gescheiterten) Anwerbeversuch für die Stasi fand sich darin offenbar nichts. Das enthüllte die Kanzlerin selbst: Ende der 70er Jahre habe sie sich für eine Assistentenstelle als Physikerin beworben — und sei vor einem Stasi-Offizier gelandet. Doch aus der Anwerbung als Inoffizielle Mitarbeiterin (IM) wurde nichts. "Ich habe dann sehr schnell gesagt, dass das für mich nichts ist, weil ich den Mund nicht halten könne und so etwas immer meinen Freunden erzähle", berichtete Merkel. Damit sei die Absicht durchbrochen worden, weil Schweigen die Grundvoraussetzung für eine Eignung gewesen sei. Freilich wurde sie danach für die Stelle ebenfalls als nicht geeignet angesehen.

Sie gehörte also nicht zum Prototyp der Angepassten. Als Schülerin sang sie provozierend die "Internationale" in Englisch, der Sprache des Klassenfeindes. Später klopfte sie mit Freunden in Gaststätten an die Lampe: "Wenn ein Mikrofon drin ist — einschalten!"

Das neue Merkel-Buch beschreibt, dass die DDR-Aktivistin Merkel nicht erst im Dezember 1989 in den Demokratischen Aufbruch (DA) eingetreten sei, sondern schon früher mitgewirkt habe — zu einer Zeit, als viele noch an die Reformierbarkeit eines demokratischen Sozialismus glaubten. Merkel könne deshalb auch eine "Reform-Kommunistin" gewesen sein. Tatsächlich wurde der DA offiziell erst im Dezember 1989 gegründet.

Die Vorläufer kreisten um einen Sozialismus mit liberalen Elementen. So wie Helmut Kohl ebenfalls zunächst vom Fortbestehen der DDR ausging und lediglich eine "Konföderation" als Ziel entwickelte. Die Einheit kam dann schneller als geahnt. Und damit der Aufstieg Merkels.

(RP/csi)
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