Kommentar Die FDP lebt noch

Karl-Hermann Flach, der legendäre FDP-Generalsekretär, veröffentlichte 1971, auf dem Höhepunkt der sozialliberalen Ära, eine Streitschrift: "Noch eine Chance für die Liberalen", lautete der Titel. 40 Jahre später ist der Satz aktuell.

Und das inhaltliche Muster der Liberalen erinnert an die sanfte Öffnung der Partei damals zu neuen gesellschaftspolitischen Aspekten.

Die FDP hat auf ihrem Parteitag in Berlin erstmals seit Langem gezeigt, dass ein fairer, demokratischer Wettstreit um Köpfe und eine inhaltliche Rückbesinnung auf den ganzheitlichen Liberalismus ihr gut tun kann.

Ausgerechnet Rösler

In den meisten Reden der Spitzenpolitiker ging es um Aufstieg und Chancen, um Gleichstellung und faire Löhne, um eine liberale Geisteshaltung, die jenseits der Effizienz der Märkte ihre Anspruchsgrundlage sucht.

Ausgerechnet der so gescholtene, teils gemobbte Vorsitzende Philipp Rösler akzentuierte in einer klugen und umjubelten Rede die breite Bedeutung des Liberalismus in einer modernen Gesellschaft. Seine Botschaft: Freiheit ist mehr als die Freiheit der Märkte, sie ist alltägliche Emanzipation. Und muss immer wieder neu erkämpft werden.

Der alte Kern neu entdeckt

Die FDP wendet sich damit an jene Leistungsträger und Leistungsbereiten, die persönliches Fortkommen, Wohlstandsmaximierung und Gemeinsinn als gleichberechtigte Ziele anerkennen. Auch Rainer Brüderle und Christian Lindner konzentrierten sich in ihren Reden auf diesen Kern der Partei.

Dass die Basis sich nach Monaten der Selbstzerfleischung und einem öffentlichen Wettkampf der Parteiegoisten wieder nach Offensive und Inhalten sehnt, zeigen die Wahlergebnisse. Rösler ist bis zur Bundestagswahl unumstritten, sein schärfster Rivale Christian Lindner wurde sanft in die zweite Reihe beordert.

Nur der Chefkritiker Dirk Niebel wurde mit einer roten Karte versehen.

Ein starkes Trio

Die übrigen Wahlergebnisse stehen nicht im Widerspruch zu dem Parteitagswunsch nach Harmonie. Die Delegierten honorierten gerade jene, die sich und ihren Positionen stets treu geblieben sind. Das gilt für den bodenständigen Unternehmertypen Holger Zastrow genauso wie für den quirligen, sozialliberal denkenden Wolfgang Kubicki.

Zusammen mit dem wieder erstarkten Parteichef, dessen Nehmerqualitäten die Delegierten durchaus zu würdigen wissen, dem erfahrenen Wahlkampfprofi Rainer Brüderle und dem begnadeten liberalen Denker Christian Lindner kann die FDP nun ein Wahlkampfteam vorweisen, das unterschiedliche Charaktere, aber stets überzeugte und angriffslustige Liberale abbildet.

Sogar die Chaostruppe hat wieder Perspektiven

Das Totgesagte länger leben, muss man der FDP nicht sagen. Dafür hat die Partei schon zu oft ihre eigenen Nachrufe lesen müssen. Doch, dass sich die Liberalen nach den Monaten der Kabale und Hiebe so schnell wieder sammeln, ist dann doch erstaunlich.

Vielleicht haben die Liberalen einfach bemerkt, dass die Wahl im Herbst beileibe nicht entschieden ist, ja sogar die Chaostruppe Schwarz-Gelb eine Chance zur Wiederwahl hat.

Die FDP hat ein Alleinstellungsmerkmal

Dabei könnte es sich für die FDP besonders lohnen, im Bundestagswahljahr ihr Alleinstellungsmerkmal auszuspielen. Es sind nicht mehr viele Parteien, die Begriffe wie Verantwortung, Haftung und Maß in ihren Programmen Priorität einräumen.

Die neue Positionierung bei den Mindestlöhnen muss kein Umfallen sein. Sie zeigt vielmehr, dass die FDP bereit ist, die gesellschaftlichen Probleme nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch zu lösen.

Das könnte sie von Kanzlerin Merkel gelernt haben.

(brö)
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