Klassische Positionen werden aufgegeben Die Kehrtwende der Merkel-CDU seit 2009

Düsseldorf · Die CDU gibt klassische Positionen auf. Die Parteibasis reagiert irritiert und nörgelt. Ein Vergleich mit dem Wahlprogramm 2009 offenbart die drastische Kehrtwende, die die bürgerliche Partei unter Merkel vollzogen hat. Die Homo-Ehe ist nur ein Beispiel.

Das "volle" und das "vollste" Vertrauen der Kanzlerin
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Die CDU setzt auf Atomkraft. Sie ist für die Beibehaltung der Hauptschule und gegen die steuerliche Gleichstellung von homosexuellen Partnerschaften. Die Bundeswehr soll bei Terroranschlägen im Inneren eingesetzt werden. Und: Die Union spricht sich gegen Mindestlohn aus und gegen die Einführung einer Frauenquote. Diese Kernpunkte finden sich wieder im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2009.

Homo-Ehe - letzte Kernposition

Nicht einmal vier Jahre später, im Frühjahr 2013, steht die CDU kurz davor, eine ihrer letzten Kernpositionen aufzugeben: den Widerstand gegen die Homo-Ehe. Erstmals hatte sich der Führungszirkel der Partei am Wochenende dafür ausgesprochen, die steuerliche Gleichstellung von homosexuellen Partnerschaften zügig anzupacken. Beobachter gehen davon aus, dass die CDU-Spitze die parteipolitische Grundlage schaffen will, um das nahende Urteil des Bundesverfassungsgerichts aufzugreifen.

Dabei stand im Wahlprogramm der CDU/CSU aus dem Jahre 2009 wörtlich geschrieben: "Die Ehe soll ihre Sonderstellung behalten: Gleichgeschlechtliche Partnerschaften und nichteheliche Partnerschaften 'werden respektiert', für sie sollen aber nicht dieselben rechtlichen Grundlagen gelten."

Ein Einzelfall? Ein eingehender Blick ins Wahlprogramm 2009 offenbart eher das Gegenteil. Zum Thema Mindestlohn positionierte sich die Partei vor dreieinhalb Jahren wie folgt: "Die Union lehnt einen gesetzlichen Mindestlohn ab." Heute zeigt sie sich gesprächsbereit.

Atomausstieg? Klimafreundlicher Energiemix!

Und zur Atomkraft ließ das bürgerliche Lager wissen: "Das Ziel der Union ist ein 'klimafreundlicher Energiemix', bei dem die Atomenergie eine 'Brückentechnologie' darstellt, auf die vorerst nicht verzichtet werden kann. Für die bestehenden Atomanlagen strebt die Union deshalb eine Verlängerung der Laufzeiten an."

Atomausstieg, Bundeswehr-Reform, Mindestlohn, flexible Frauenquote, Bildungsreform — der CDU-Kern wird ausgehöhlt, argumentieren Kritiker. Die konservativen Vordenker sind über die Positionswechsel erzürnt, allen voran die CSU. Die bayerische Regionalpartei sperrt sich insbesondere dagegen, das geltende Ehegattensplitting zu ändern oder auf Lebenspartnerschaften auszuweiten.

Der Wortführer des konservativen Berliner Kreises der CDU, Hessens Fraktionschef Christean Wagner, sagte dem Radiosender hr-info, der im Grundgesetz verankerte Schutz von Ehe und Familie dürfe "nicht zugunsten der Homo-Ehe nivelliert werden".

CDU-Politiker sind verunsichert

Auch die CDU in Baden-Württemberg lehnt eine völlige Gleichstellung ab. Es herrsche breiter Konsens, Lebenspartnern nicht wie heterosexuellen Paaren die gemeinsame Adoption eines Kindes zu erlauben, sagte CDU-Landeschef Thomas Strobl nach einer Sitzung von Präsidium und Vorstand. Er gehörte zu den ersten Christdemokraten, die eine steuerliche Gleichstellung von Lebenspartnern forderten.

Die Debatte um die steuerliche Gleichstellung offenbart zwei Aspekte: Viele CDU-Politiker sind verunsichert ob des Kursschwenks. Sie haben Angst vor einer Aushöhlung des konservativen Kerns einer Partei, die fest verankert ist in Kirche, Staat und Familie. Schließlich hatte sich erst im Dezember 2012, also vor nicht einmal drei Monaten, ein CDU-Parteitag gegen die steuerliche Gleichstellung ausgesprochen.

Nun also droht ein radikaler Positionswechsel. Erneut. Es ist nicht das erste Mal, dass die CDU konservative Positionen aufgibt - auf Druck der Kanzlerin und Parteivorsitzenden Angela Merkel. Weite Teile der Basis spüren den Identitätsverlust, ja sie beklagen ihn. Welche christdemokratischen Kernpositionen können Wähler noch mit dem Logo der Partei verbinden?

Merkels machttaktisches Kalkül

Nicht erst seit der letzten Bundestagswahl 2009 zeichnet sich eine Neuordnung der politischen Landschaft in Deutschland ab. Lagerkämpfe zwischen den großen Volksparteien, zwischen SPD und CDU, zwischen links und rechts, verwischen zunehmend.

Merkels machttaktisches Kalkül: Die CDU will eine wählbare Alternative in den Großstädten und den Metropolregionen Deutschlands bleiben oder besser: sie muss es (wieder) werden. Hier sitzt ein Großteil der Wähler, der bei den vergangenen Wahlen zunehmend der SPD, aber vor allem den Grünen die Stimme gegeben hat. Da überrascht es nicht, dass sich die Befürworter einer schwarz-grünen Öffnung innerhalb der CDU Gehör verschaffen.

Für die CDU wird der Vertrauensverlust und Wählerschwund in den Großstädten zu einem ernst zunehmenden Problem. Das erfolgreiche Abschneiden bei Wahlen steht auf dem Spiel. Der kleine Führungszirkel der CDU, der bei entscheidenden Themen quasi im Alleingang über die murrenden Köpfe der Parteibasis hinweg entscheidet, sieht sich zum Handeln gezwungen.

(nbe)
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