Chaos nach Jamaika-Aus Die kommunikativen Missgeschicke der SPD

Berlin · Martin Schulz sieht keine Möglichkeiten für eine große Koalition, ein Beschluss des SPD-Vorstands stärkt ihm dabei den Rücken. Doch: Bundespräsident Steinmeier sieht das anders - und appelliert an die Offenheit der Partei. Also bleibt Schulz angezählt.

Da war es wieder, das Händchen der SPD-Führung für kommunikative Missgeschicke in entscheidenden Momenten. Ein für 10 Uhr angekündigtes Pressestatement mit Parteichef Martin Schulz musste am Montagmorgen kurzerhand Noch-Generalsekretär Hubertus Heil übernehmen, weil Schulz vor den wichtigen Gremiensitzungen auf einmal doch nicht vor die Kameras treten wollte. Heil sagte sinngemäß knapp: Man werde jetzt im Präsidium und Parteivorstand über die beispiellosen Folgen aus den gescheiterten Jamaika-Sondierungen beraten. Fertig. Fragen ließ er nicht zu.

Prompt wurde spekuliert, ob in der Vorstandsetage des Willy-Brandt-Hauses Fürsprecher einer großen Koalition jetzt den Druck auf Schulz erhöhen könnten, seine bisherige Verweigerungshaltung zu einem Bündnis mit der Union doch aufzugeben. Vor allem konservative Sozialdemokraten und einzelne prominente Genossen wie Außenminister und frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel hatten in der Vergangenheit immer wieder durchblicken lassen, dass sie das Ausschließen einer großen Koalition für falsch halten.

Am frühen Nachmittag folgte aber die Gewissheit. Die SPD-Führung fasste einstimmig diesen Beschluss: "Wir stehen angesichts des Wahlergebnisses vom 24. September für den Eintritt in eine große Koalition nicht zur Verfügung", heißt es darin. Neuwahlen scheue man nicht, betonte Martin Schulz bei einer Pressekonferenz. Er gehe davon aus, dass es dazu komme, sagte der SPD-Vorsitzende am Nachmittag.

"Beteiligte sollten ihre Haltung überdenken"

Und das nur eine halbe Stunde, bevor Bundespräsident Steinmeier in seiner Stellungnahme alle demokratischen Parteien dazu aufrief, offen für Gespräche zu sein. "Das ist der Moment, in dem alle Beteiligten noch einmal innehalten und ihre Haltung überdenken sollten", sagte Steinmeier und meinte damit auch klar seine Partei, wobei er die SPD-Mitgliedschaft qua Amt derzeit ruhen lässt. Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der dürfe sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen halte. Man trage Verantwortung und könne diese auch nach der Vorstellung des Grundgesetzes nicht einfach an die Wähler zurückgeben, sagte Steinmeier. "Diese Verantwortung geht weit über die eigenen Interessen hinaus und gilt insbesondere nicht nur gegenüber den Wählern der jeweils eigenen Partei", so Steinmeier.

Der frühere SPD-Chef Kurt Beck widersprach dem nun. "Eingedenk der Ausführungen des Bundespräsidenten haben wir auch eine staatspolitische Verantwortung dafür, den Willen unserer Wähler zu respektieren", sagte Beck unserer Redaktion. Und der laute klar, dass die große Koalition nicht weiter regieren solle. "Sondierungsgespräche sind also sinnlos", sagte Beck. Angela Merkel habe es zu verantworten, dass die Jamaika-Sondierungen geplatzt sind. "Sie hat die Gespräche nicht ausreichend geleitet. Das Ergebnis ist eine Schande für die deutsche Demokratie", sagte Beck. Es sei nicht die Aufgabe der SPD, die Folgen dieser Unkultur auszuputzen.

Auch Schulz stieß in dieses Horn, wenn auch etwas verklausuliert: Die Parteien der großen Koalition hätten bei der Wahl ein Minus von 14 Prozentpunkten eingefahren, damit habe das Bündnis aus Union und SPD klar die Rote Karte bekommen, sagte Schulz.

Teilnehmern der Sitzungen zufolge gab es aber durchaus Diskussionsbedarf zum Kurs. So wurde Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil wie folgt zitiert: "Wer jetzt die große Koalition ausschließt, könnte ihr schnell wieder begegnen." Irgendwann brauche das Land ja eine stabile Regierung, sagte Weil, der gerade erst eine große Koalition mit der CDU eingegangen ist.

Und auch in anderen Teilen der Partei tauchte das Argument auf. So plädierte Johannes Kahrs vom konservativen Seeheimer Kreis dafür, Schnellschüsse zu unterlassen: "In der Ruhe liegt die Kraft", sagte er. Der frühe Beschluss am Montag war indes das Gegenteil, ein Foulspiel auch an Steinmeier: Mit dem Papier sollten Diskussionen über eine große Koalition im Keim erstickt werden. Und selbst Weil fügte dem Vernehmen nach hinzu, dass er Neuwahlen für richtig halte, um glaubwürdig zu bleiben.

Dieser Zusatz könnte der SPD aber noch auf die Füße fallen: Dass man Neuwahlen vor allem deswegen anstrebt, um bei eigenen Anhängern glaubwürdig zu bleiben. Wo ist da die breite Staatsverantwortung, die Steinmeier anmahnte? Fraktionschefin Andrea Nahles hatte knapp zwei Stunden nach dem Auftritt des Bundespräsidenten Mühe, diesen Vorwurf abzuwehren und trat die Flucht nach vorn an. So sei die SPD für die vom Bundespräsidenten gewünschten Gespräche offen — jedoch nicht für den Eintritt in eine große Koalition. Die SPD werde nicht den Lückenbüßer spielen. "Jetzt, wo die selbstverschuldete Not groß ist, da sind wir gut als staatsmännische Reserve: das ist nicht unsere Haltung", sagte sie.

Wenn nicht Schulz, wer dann?

Unterdessen ist unklar, inwiefern sich nun der Leitantrag der SPD-Führung für den bevorstehenden Parteitag Anfang Dezember in Berlin noch ändern könnte. Schulz will indes weiterhin erneut als Parteichef zur Wahl antreten. Ob auch als Kanzlerkandidat im Fall von angesetzten Neuwahlen, ließ er am Montag aber offen und verwies lediglich auf sein Vorschlagsrecht als Parteichef.

Dabei gilt Schulz intern weiterhin als angeschlagen. Seine krachende Niederlage mit nur 20,5 Prozent bei der Bundestagswahl ist nicht vergessen, auch wenn ihm derzeit niemand den Parteivorsitz streitig macht und große Teile der Basis hinter ihm stehen. Gleichzeitig ist klar, dass sein parteiinterner Kritiker Olaf Scholz aus Hamburg durchaus Ambitionen hat, irgendwann die Geschicke zu übernehmen.

Auch Andrea Nahles — die übrigens ein hervorragendes Arbeitsverhältnis zu Scholz pflegt — ist als mögliche Spitzenkandidatin im Gespräch. Nun muss allerdings erst einmal Schulz am kommenden Mittwoch in einem Treffen mit Steinmeier seine Position verteidigen. Wie das dann auf die Union und andere Optionen wirkt, ist offen. Von einer Minderheitsregierung halten die Genossen jedenfalls auch nicht viel.

(jd)
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