Akten vernichtet, Akten gefunden Die lange Liste der Verfassungsschutz-Pannen

Berlin · Plötzlich sind neue Akten im Zusammenhang mit den NSU-Ermittlungen aufgetaucht – diesmal in Thüringen. Drei oberste Verfassungsschützer mussten bereits ihren Hut nehmen. Und die Liste der Pannen beim Verfassungschutz wird immer länger.

Plötzlich sind neue Akten im Zusammenhang mit den NSU-Ermittlungen aufgetaucht — diesmal in Thüringen. Drei oberste Verfassungsschützer mussten bereits ihren Hut nehmen. Und die Liste der Pannen beim Verfassungschutz wird immer länger.

Am Wochenende hatte MDR Thüringen berichtet, dass bei der Kriminalpolizei tausende Dokumente gefunden worden seien, die Einzelheiten zu den Ermittlungen rund um den "Thüringer Heimatschutz" enthielten. Gleich 20 Ordner sollen sie füllen. Ein Umstand, der zeigt, wie lückenhaft die Aufklärung rund um das Zwickauer Neonazi-Trio ist.

Und der Aktenfund ist nur der jüngste Aufreger rund um den Verfassungsschutz und die Ermittlungen über die Neonazi-Terrorgruppe. Wir zeigen, welche weiteren Pannen bislang aufgedeckt worden sind.

Aktenvernichtung Nummer 1: Anfang Juli wird bekannt, dass ein Referatsleiter im November 2011 sieben Akten vernichtet hat, in denen es um den Versuch ging, V-Leute aus der Thüringer Neonazi-Szene zu gewinnen. Die Akten wurden allerdings geschreddert, nachdem Verfassungschutzpräsident Heinz Fromm angeordnet hatte, alles rund um die Neonazi-Gruppe zu bündeln.

Der Referent hatte zudem zwei Monate lang seinen Vorgesetzten erzählt, die Akten seien bereits im Januar vernichtet worden. Nachdem der Skandal entdeckt wird, muss nicht nur der Referatsleiter seinen Hut nehmen, sondern auch Bundesverfassungsschutz-Präsident Heinz Fromm. Beide müssen schließlich vor den NSU-Untersuchungsausschuss.

Aktenvernichtung Nummer 2: Die ARD-Sendung "Monitor" berichtet vor vier Tagen von einer weiteren Aktenvernichtung im Bundesamt für Verfassungsschutz. Demnach wurden nach der ersten Schredderaktion noch einmal V-Mann-Akten vernichtet. Ein Verfassungsschutzmitarbeiter habe einen weiteren Ordner entdeckt. Sein Vorgesetzer habe nach kurzem Durchblättern angeordnet, den Ordner sofort zu vernichten. Außerdem sollen über die anstehende Vernichtung von Akten viele Mitarbeiter im Verfassungsschutz informiert gewesen sein.

Aktenvernichtung Nummer 3: Nicht nur beim Bundesverfassungsschutz, sondern auch bei den Landesämtern schien im Zusammenhang mit den NSU-Ermittlungen vieles drunter und drüber zuzugehen. In Sachsen jedenfalls wurde vonseiten der Linken spekuliert, dass Unterlagen zu Unterstützern im Umfeld des Trios vernichtet worden sein könnten. Das Landesamt für Verfassungsschutz erklärte aber am Wochenende über eine Aktenvernichtung in seinem Bereich, dass Akten zur NSU davon nicht betroffen seien.

Neu aufgetauchte Akten: Bevor am Wochenende die neuen Akten entdecktz worden waren, gab es einen ähnlichen Vorgang bereits in Sachsen. Beim dortigen Verfassungsschutz war eine Geheimakte neu aufgetaucht, die bei der parlamentarischen Untersuchung zu den Ermittlungen gefehlt hatte. Darin ging es um eine Telefonüberwachung im Jahr 19998 zur NSU. In der Akte waren Protokolle der Überwachung durch den Bundesverfassungsschutz enthalten. Und dass diese Protokolle existierten, sei neu gewesen. Infolge der Entdeckung der Akte nahm Sachsens Verfassungsschutz-Präsident Reinhard Boos seinen Hut.

Entlassene Verfassungsschützer: Neben dem sächsischen Verfassungsschutzpräsidenten Boos und dem des Bundesamtes, Heinz Fromm, gibt es noch einen dritten Mann, der innerhalb der Affäre seinen Hut nehmen muss. Der Thüringer Verfassungsschutzpräsident Thomas Sippel. Er wird vor allem für seine Informationspolitik kritisiert, insbesondere im Zusammenhang mit der "Operation Rennsteig". Dies war jene Aktion, in der V-Leute in Thüringen angeworben und später sieben Akten darüber vernichtet worden waren.

Sippel muss aber auch gehen, weil eine Untersuchungskommission festgestellt hatte, dass die Thüringer Behörden massive Fehler gemacht hatten bei den Ermittlungen, sodass das Neonazi-Trio untertauchen konnte. So wurden etwa existierende Haftbefehle nicht vollstreckt.

Verfassungsschützer am Tatort: Auch in Hessen gibt es immer wieder Kritik im Zusammenhang mit den NSU-Ermittlungen. Insbesondere eine Sache wirft noch immer viele Fragen auf: Wieso hielt sich ein (inzwischen suspendierter) Verfassungsschützer genau an jenem Tag in einem Kasseler Internet-Café auf, indem die Neonazi-Mörder den türkischstämmigen Betreiber töteten? Bis heute kann niemand diese Frage nicht annähernd beantworten. Und es wird wohl auch nicht die letzte bleiben, die rund um die Verfassungsschutz-Affäre geklärt werden muss.

mit Agenturmaterial

(das)
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