Analyse Die letzten Bastionen der SPD

Berlin · Die SPD steckt in einer Misere: Einerseits muss sie den Thüringer Tabu-Bruch kleinreden, andererseits erhofft sie sich dadurch eine Mäßigung der Linken. Gleichzeitig kämpft sie mit schwindendem Einfluss in einigen Ländern.

 Parteichef Sigmar Gabriel neben der Statue von Willy Brandt.

Parteichef Sigmar Gabriel neben der Statue von Willy Brandt.

Foto: dapd, Maja Hitij

25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer hat erstmals ein Politiker der SED-Nachfolgepartei beste Chancen, in das Amt eines Ministerpräsidenten gewählt zu werden. Um dieses Ziel in Thüringen zu erreichen, ist Linken-Spitzenkandidat Bodo Ramelow auf die SPD als Steigbügelhalter angewiesen - und die hat sich in dem ostdeutschen Bundesland gerade mit einer klaren Mehrheit von knapp 70 Prozent genau zu diesem Schritt entschlossen.

Doch was macht das mit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, die so stolz auf ihre Vergangenheit ist, auf ihr langjähriges Dasein als Volkspartei? Und was macht das mit den Sozialdemokraten, dass sie nun in mehreren Ländern nur noch in Regierungen kommen, wenn sie einstigen Randparteien zur Macht verhelfen?

Klar ist, dass die SPD derzeit in einer Misere steckt. Sie muss ihren Mitgliedern in ganz Deutschland einerseits erklären, warum der Thüringer Tabu-Bruch, einen Linken zum Ministerpräsidenten zu machen, weder ein solcher Tabu-Bruch noch ein Alarmsignal für die Bundespolitik ist. Was in Thüringen geschieht, fußt auf dortigen Entscheidungen und hat keinerlei Bedeutung oder Wirkung für die nächste Bundestagswahl, heißt es dazu lapidar aus dem SPD-Präsidium. Das ist die offizielle Linie, die vom Berliner Willy-Brandt-Haus rausgegeben wurde. Sie soll Sozialdemokraten davor bewahren, ihrer Partei aus Ärger über die Kooperation mit den Linken den Rücken zu kehren.

Andererseits hofft die SPD-Führung aber sehr wohl auf Signalwirkung aus Thüringen. Es wäre doch wunderbar, so heißt es dieses Mal hinter vorgehaltener Hand aus dem Parteivorstand, wenn die Linke in Thüringen ob ihrer künftigen Regierungsverantwortung in gemäßigteres Fahrwasser käme. Und wenn davon etwas auf die mitunter radikal anmutenden Abgeordneten der Linken im Bundestag abfärben würde. Denn eine stärker in die Mitte gerückte Linke wäre als möglicher Koalitionspartner nach der nächsten Bundestagswahl 2017 leichter zu verkaufen, so das offensichtliche Kalkül der SPD-Spitze.

Angesichts aktueller Debatten scheint eine solche Konstellation tatsächlich in weite Ferne gerückt. Vor allem in außen- und finanzpolitischen Fragen könnten SPD und Linke kaum weiter auseinanderliegen. Würde es bei den derzeitigen Positionen der Parteien bleiben, hätte SPD-Chef Sigmar Gabriel als möglicher Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten zudem ernsthafte Schwierigkeiten, einen Koalitionsvertrag mit Grünen und Linken zu vereinbaren, wenn die Grünen nach Bodentruppen im Irak rufen und linke Abgeordnete sogar gegen die Vernichtung syrischer Chemiewaffen stimmen.

Nein, eine echte zweite Machtoption neben Rot-Grün würde sich für die SPD nur mit einer deutlich veränderten Linke ergeben. Und selbst dann bliebe es für Gabriel wohl ein Kunststück, die Genossen zumal aus den konservativen Kreisen von einer gemeinsamen Regierung mit der Linken zu überzeugen.

Bisher scheint der SPD-Chef also in Warteposition zu verharren: Gabriel versucht zwar, seiner Partei ein wirtschaftskompetentes Profil zu verpassen - das kann nie schaden. Außerdem will er, dass die Menschen ihm endlich die vermeintlichen Erfolge seiner Partei in der großen Koalition anrechnen. Doch Rente, Mindestlohn und Co. wirken sich nach wie vor nicht positiv auf die Umfrageergebnisse der SPD aus. Im Gegenteil: Jüngsten Prognosen zufolge verharren die Sozialdemokraten auf dem schwachen Niveau der Bundestagswahl und sind von der Schallmauer jenseits der 30 Prozent weit entfernt.

Außerdem wird Gabriel abwarten wollen, wie sich Angela Merkel positioniert. Würde die Kanzlerin 2017 ein weiteres Mal für die CDU ins Rennen gehen, dürfte sich Gabriel kein weiteres Mal für eine Juniorrolle der SPD in einer großen Koalition stark machen - und er würde wohl kaum zum Duell mit Merkel antreten wollen. Die offizielle Strategie der SPD lautet daher: In der Wählergunst zulegen, um beim nächsten Mal Rot-Grün zu ermöglichen.

Bis dahin muss Gabriel aber zusätzlich um Einfluss in den Ländern fürchten. Zwar ist die SPD an 14 von 16 Landesregierungen beteiligt und auch in den meisten deutschen Großstädten die führende Kraft. Wer aber genauer hinschaut, registriert an vielen Stellen bröselnde Machtverhältnisse.

Auffällig ist dabei ein starkes Gefälle zwischen dem Nordwesten der Republik, wo die SPD noch recht sicher im Sattel sitzt, und den Bundesländern im Süden und Osten, wo sie bereits abgeschlagen ist oder zunehmend um Einfluss kämpfen muss: In den beiden Flächenländern Hessen und Bayern ist die SPD nicht in Regierungsverantwortung, im Saarland, in Baden-Württemberg, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt (künftig) nur als Juniorpartner beteiligt. Und selbst in Rheinland-Pfalz muss SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer derzeit die wohl schwerste Regierungskrise ihrer Amtszeit überwinden - gegen ihre hufescharrende CDU-Konkurrentin Julia Klöckner.

Dass die SPD also nur noch in Hamburg, Bremen und vielleicht in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg gut dasteht, kratzt an ihrem Selbstverständnis als Volkspartei. Denn in NRW darf sich Ministerpräsidentin Hannelore Kraft nicht auf eine Wiederwahl verlassen, in Schleswig-Holstein und Niedersachsen herrschen denkbar knappe Koalitionsmehrheiten und die Zukunft der Berliner SPD-Regierung steht nach dem Rücktritt Klaus Wowereits ebenfalls in den Sternen.

Wie man es dreht und wendet: Spricht der Wähler der SPD im Bund nicht mehr Erfolge zu, wird es stürmisch bei den Sozialdemokraten - und Kanzlerin Merkel wird dann ein weiteres Mal genüsslich betonen, dass die SPD-Rolle des Steigbügelhalters für einen linken Ministerpräsidenten in Thüringen ein strategischer Fehler war.

(jd)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort