Zukunft der Partei Die Sehnsucht der CDU nach dem Konservativen

Berlin · Angela Merkel hat die CDU so weit in die Mitte der Gesellschaft gerückt, dass der konservative Flügel gebrochen ist. Nun wird operiert. An der Basis wie auf der bundespolitischen Bühne.

 Angela Merkel im Gespräch mit Horst Seehofer. Rechts: Olaf Scholz.

Angela Merkel im Gespräch mit Horst Seehofer. Rechts: Olaf Scholz.

Foto: ap, SO

Angela Merkel wird diese Sehnsucht nicht mehr befriedigen. Erstens geht es um die Ziele einer Minderheit in der Union, zweitens hat die CDU-Vorsitzende nicht gerade damit vier Bundestagswahlen gewonnen und drittens gehört es einfach nicht zum Leben und Denken der Protestantin aus dem Osten: eine konservative Politik.

Dennoch ist die Ausgangslage für eine Kursänderung der Christdemokraten seit Merkels Amtsantritt als Kanzlerin vor 13 Jahren noch nie so offen gewesen wie jetzt. Zu Beginn ihrer vierten und sicher letzten Amtsperiode machen sich auf bundes- und landespolitischer Ebene Politiker an die Erneuerung der Partei. Die meisten wollen Merkels Kurs der Mitte beibehalten, aber sie wissen um Enttäuschungen und Wut.

"Konservatives Manifest" wird am Samstag verabschiedet

Nachdem konservative Köpfe der CDU mit Friedrich Merz, Roland Koch oder Wolfgang Bosbach die große Bühne verlassen haben, wünschen sich etliche Parteimitglieder solche Stimmen zurück. Merkels unbeirrte Bewegung in die Mitte der Gesellschaft hat innerparteilich eine Gegenbewegung zu den konservativen Wurzeln nach und nach verstärkt. Die vor einem Jahr gebildete "Werteunion", die sich als "freiheitlich-konservativer Aufbruch" von CDU und CSU versteht, kommt am Samstag zu ihrer ersten Bundesversammlung am Ort der Gründung, im baden-württembergischen Schwetzingen, zusammen und verabschiedet ein "Konservatives Manifest".

In dem unserer Redaktion vorliegenden Entwurf wird etwa eine restriktive Migrationspolitik, ein hartes Vorgehen gegen Straftäter, die Wiedereinführung der Wehrpflicht und die Bewahrung von Gottes Schöpfung gefordert. Der Vorsitzende dieser Gruppe, Alexander Mitsch, sagt: "Das Signal von Schwetzingen ist, dass der konservative und wirtschaftsliberale Flügel der Union organisiert und etabliert ist." Die Werteunion ist jetzt in allen Bundesländern außer Bremen aktiv, hat nach eigenen Angaben inzwischen eine vierstellige Mitgliederzahl und sieht die Junge Union, die Mittelstandsvereinigung, den Wirtschaftsrat sowie die Zusammenschlüsse "Berliner Kreis", "Konrads Erben" und "Christdemokraten für das Leben" als Partner an.

Einer, der Themen des konservativen Flügels verstärkt aufgreift, ist der neue Gesundheitsminister Jens Spahn. Und er bekommt von dort Beifall für seine offensichtlich bewusst scharf formulierten Äußerungen über Hartz-IV-Empfänger, Drogensüchtige, Kriminalität, Zuwanderung und Handlungsunfähigkeit des Staates bei der Durchsetzung von Recht und Ordnung. Er versteht sich keinesfalls nur als ein in Merkels Kabinettsdisziplin eingebundener Fachminister.

Tiefgründige Debatten über Richtungsentscheidungen fehlen

Der 37-jährige Spahn gehört zu der Riege CDU-Politiker, die jetzt die Zukunft der Partei gestalten wollen und womöglich in einen harten Konkurrenzkampf zueinander um die Erneuerung der Partei treten werden. Spahn hätte das lieber als Generalsekretär gemacht, aber für den Posten hatte Merkel bereits die Saarländerin Annegret Kramp-Karrenbauer gewonnen. Selbst ausländische Medien sehen in ihr und Spahn die beiden aussichtsreichsten Anwärter im Rennen um Merkels Nachfolge.

Auch die Katholikin Kramp-Karrenbauer ist konservativer als Merkel, gilt aber wiederum als viel liberaler als Spahn. Auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther mischt mit bei der Neuaufstellung der CDU - der überraschende Wahlsieger aus dem hohen Norden ist das frischeste Gesicht auf bundespolitischer Bühne. Und dann ist da noch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, der als Vorsitzender des größten CDU-Landesverbandes eine entscheidende Rolle bei der Suche nach Merkels Nachfolge spielen wird - wenn er nicht sogar selbst Ambitionen hat.

Was der CDU seit langem fehlt, sind offene, tiefgründige Debatten über Richtungsentscheidungen und Grundsätze. Parteitage verlaufen oft schematisch. Noch besteht Unsicherheit, wie die Union, die nie eine demokratisch legitimierte Partei rechts von sich zulassen wollte, mit der AfD umgehen soll.

Manche Christdemokraten finden die harte Kante von Innenminister Horst Seehofer (CSU) wie in der Islam-Debatte genau richtig. Andere empfinden es als Anbiederung an AfD-Wähler und Spaltung der Gesellschaft, zu der vier Millionen Muslime zählen. Denn mit dem Satz, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, werde kein Problem gelöst und erst recht keine Angst vor einem radikalen Islam genommen. Aber klar ist geworden, dass die Union die Debatte, den Streit sucht und braucht.

Merkel erwartet Strategien, wie Wahlen gewonnen werden

Laschet hat die Konservativen in der Union provoziert, indem er der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" dies gesagt hat: "Wir müssen deutlich machen, dass der Markenkern der Christlich Demokratischen Union eben nicht das Konservative ist, sondern dass das christliche Menschenbild über allem steht." Wolfgang Steiger vom CDU-Wirtschaftsrat sagt dazu: "Ich halte die programmatische Verknappung auf das Christlich-Soziale für eine Volkspartei für brandgefährlich."

Und NRW-CDU-Fraktionsvize Gregor Golland betont, das Konservative sei nicht der einzige, aber eben auch ein Markenkern der CDU. Golland fährt zur Bundesversammlung der Werteunion, um zu diskutieren. Das seien keine Abtrünnigen, sagt er. "Sie fühlen sich nur nicht mehr so zuhause wie früher. Deswegen müssen wir mit ihnen reden. Viele denken ähnlich wie sie, trauen sich das aber nicht öffentlich zu sagen." Merkel habe mit ihrer Flüchtlingspolitik die Partei und das Land verändert. "Politik muss man erklären, wenn man sie verändern will."

Eine Auseinandersetzung sei keine Majestätsbeleidigung. Das sieht Merkel auch so. Sie erwartet aber Strategien, wie Wahlen gewonnen werden. 2017 hat sie das trotz hoher Verluste noch einmal geschafft. Doch Zeiten ändern sich. Die CDU wird die Sehnsucht nach den konservativen Wurzeln bedienen müssen - nicht nur rhetorisch.

(kd)
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