Interview mit Brandenburgs Ministerpräsident Woidke "Jeder sollte vor seiner eigenen Haustür kehren"

Berlin · Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) spricht im Interview über rechtsradikale Attacken auf Flüchtlingsheime, Abschiebungen und die Geldforderungen der Länder an den Bund.

 Dietmar Woidke ist Ministerpräsident in Brandenburg.

Dietmar Woidke ist Ministerpräsident in Brandenburg.

Foto: dpa, ppl;cse

Herr Ministerpräsident, hat der Osten tatsächlich ein größeres Problem mit Rechtsradikalen als der Westen?

Woidke Jeder sollte vor seiner eigenen Haustür kehren. Das Thema ist zu ernst, um auf andere zu zeigen. Es gilt, die Gefahr des Rechtsextremismus und der Fremdenfeindlichkeit überall ernst zu nehmen. Rechtsradikale Aktivisten gibt es überall. Aber tatsächlich haben auch wir in den ersten Jahren Fehler gemacht.

Welche genau?

Woidke Zu Beginn der 1990er Jahre wurde das Problem noch nicht in seiner ganzen Dimension erkannt. Da hieß es mitunter noch, mancher Bürgermeister sei ein Nestbeschmutzer, wenn er deutliche Worte fand. Dies hat schwer geschadet. Mitte der 1990er Jahre wurde der Kampf mit Ministerpräsident Manfred Stolpe an der Spitze dann mit Entschiedenheit aufgenommen. Die Zivilgesellschaft wurde mobilisiert, und es wurde deutlich, dass eine wehrhafte Demokratie mit den Mitteln des Rechtsstaats konsequent handeln muss.

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Müssen Sie das Personal aufstocken, um den Schutz auch für Flüchtlinge gewährleisten zu können?

Woidke Grundsätzlich sind wir insgesamt gut aufgestellt. Aber die vielen Flüchtlinge bringen natürlich neue Herausforderungen mit sich. Deshalb will ich nicht ausschließen, dass wir auch personell ausgleichen müssen.

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Was denken Sie: Sollten Flüchtlingsheime nicht erst recht dort entstehen, wo gegen sie demonstriert wird? Als Zeichen für die Willkommenskultur?

Woidke Die Brandanschläge sind für mich auch Verzweiflungstaten der rechten Szene, die sich auf politischer Ebene nicht durchsetzen konnte und in Brandenburg keine Wahlerfolge hatte. Das führt aus meiner Sicht zu höherer Gewaltbereitschaft. Wir hatten im Vorjahr unter den rund 1100 Rechtsextremisten einen harten Kern von etwas mehr als 400 Gewaltbereiten. Ich habe die große Sorge, dass der Gewalt gegen Häuser Gewalt gegen Menschen folgen kann. Deshalb muss unsere wehrhafte Demokratie wehrhaft bleiben. Die Gesellschaft darf sich von den Brandanschlägen nicht einschüchtern lassen.

Warum schafft es der Rechtsstaat nicht, diese rechten Gewalttäter einzusperren, wenn sie Ihnen schon bekannt sind?

Woidke Weil auch für sie Grundrechte gelten. Das zeichnet eine freiheitliche Demokratie aus. Wenn wir aber rechte Straftäter etwa für Brandanschläge haftbar machen können, habe ich schon den Wunsch an die Justiz, sie auch schnell und spürbar zu verurteilen. Denn es geht hierbei immer auch um ein klares Signal: Der Rechtsstaat muss klare Kante zeigen.

Braucht es Bannmeilen oder Polizeischutz vor jeder Flüchtlingsunterkunft?

Woidke Wir sollten nicht so viel über die Arbeit der Polizei reden. Die Polizei handelt. Und wenn es eine Bedrohungslage gibt, reagiert sie auch. Was wir aber vor allem und unbedingt brauchen, ist eine bessere Integration der Flüchtlinge in die Gesellschaft. Denn wir wissen, dass Vorurteile meist die erste Begegnung nicht überleben. Deswegen halte ich auch nichts davon, Flüchtlingsheime nur auf der grünen Wiese oder in leergezogenen alten Kasernen fernab von Stadtzentren zu errichten. Die Menschen gehören in die Mitte der Gesellschaft, nur so kann Fremdenhass bekämpft werden.

Wird Brandenburg nicht anerkannte Flüchtlinge künftig verstärkt abschieben?

Woidke Zunächst: Für mich ist die freiwillige Ausreise abgelehnter Asylsuchender die beste Lösung. Wir wissen: Die Anerkennungsquote von Menschen aus einigen Balkan-Staaten ist verschwindend gering. Unser Asylverfahren wird unglaubwürdig, wenn es nicht auch zu mehr Rückführungen käme. Beschleunigte Asylverfahren machen nur dann Sinn, wenn danach auch zurückgeführt wird.

Warum dauern die Asylverfahren so lange?

Woidke Die Dauer der Asylverfahren wird von den Ländern schon seit vielen Jahren kritisiert. Es hat viel zu lange gedauert, bis der Bund gehandelt hat. Hier muss dringend noch mehr getan werden. Die ausufernden Kosten für die Erstaufnahme tragen die Länder, der Bund hat derzeit keine Not. Wenn es für den Bund diesen finanziellen Anreiz gäbe, würden die Asylverfahren sofort schneller abgewickelt. Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass wir Kosten und Verfahren bei der Erstaufnahme zusammenbringen müssen. Asylverfahren und die komplette Erstaufnahme müssen in der Hand des Bundes liegen.

Neben der Erstaufnahme, die der Bund übernehmen soll, soll er zusätzlich auch noch für den Großteil der Integrationsleistungen der Kommunen aufkommen?

Woidke Ja, das sehen die Länder so. Wenn die Menschen in den Kommunen ankommen, entstehen Kosten. Vor allem Integration in Schule, Ausbildung und Arbeitsmarkt kostet Geld. Aber dieses Geld ist eine Investition, die notwendig ist, um die Menschen schnell in die Gesellschaft integrieren zu können. Wenn wir das gut machen, kann Deutschland von der großen Herausforderung, vor der wir stehen, mittel- und langfristig profitieren. Deshalb ist die Beteiligung des Bundes hier, genau bei dieser Frage, so wichtig. In der Erstaufnahme haben wir in Brandenburg monatlich ca. 1200 Euro Kosten pro Flüchtling. Das sollte auch die Grundlage für die Berechnung sein, was der Bund künftig pauschal pro Flüchtling den Kommunen überweisen sollte. Diese Summen müssen aufgebracht werden.

Sollten sich Bund und Länder diese Pauschale je zur Hälfte teilen?

Woidke Ich denke der Bund sollte von dieser Pauschale pro Flüchtling den größeren Teil übernehmen. Bedenken Sie: Die Länder tragen noch andere Kosten, etwa für mehr Lehrer und Erzieher in den Schulen und Kitas und z.B. für mehr für Sprachkurse. Wir können nicht einfach drei syrische Kinder in eine Grundschulklasse stecken, ohne dass sie dort besonders betreut werden. Und wir müssen unseren Bürgerinnen und Bürgern sagen können: Für eure Kinder verschlechtert sich durch die Integration der Flüchtlingskinder nichts.

Muss es einen Solidarpakt III für Länder und Kommunen wegen der vielen Flüchtlinge geben?

Woidke Klar ist: Was bisher vom Bund an die Länder und Kommunen gezahlt wurde, ist viel zu wenig. Es sind nicht mal vier Prozent, die der Bund leistet, wenn die Prognose von 800.000 Flüchtlingen in diesem Jahr zutreffen sollte. Seit Wochen und Monaten höre ich von der Bundesregierung, es werde eine strukturelle, spürbare und dynamische Unterstützung geben. Nun müssen endlich Fakten und Angebote auf den Tisch gelegt werden. Den Kommunen steht das Wasser bis zum Hals. Und die Diskussion um das Geld ist in einem reichen Land wie Deutschland wirklich absurd.

Wie viel Prozent der Flüchtlingskosten sollte der Bund denn übernehmen?

Woidke Wir haben am 24. September den Bund-Länder-Flüchtlingsgipfel. Ich wäre froh, wenn der Bund den Ländern schon deutlich davor einen konkreten Vorschlag unterbreitet, welchen Teil der Kosten er in welcher Höhe übernehmen wird. Von diesem Gipfel muss das klare und starke Signal ausgehen, dass wir gemeinsam diese Herausforderung schultern wollen. Im Moment haben die Länder den Eindruck, der Bund steht daneben und schaut zu, wie Länder und Kommunen von dem Problem überfordert werden. Wer die Flüchtlingsfrage als nationale Herausforderung deklariert, muss auch damit wie mit einer nationalen Herausforderung umgehen. Das vermisse ich bei der Bundesregierung.

Das Interview führten Jan Drebes und Birgit Marschall.

(mar)
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