Empörung über Sarrazin-Äußerungen Dobrinth: "Der Typ hat einen Knall"

Berlin (RPO). Die CSU geht auf Distanz zu den jüngsten Äußerungen von Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin. "Der Typ hat einen Knall", sagte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt in einem Interview.

Thilo Sarrazin liebt klare Worte
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Foto: AP

Dobrindt forderte im "Münchner Merkur" dennoch eine Debatte über Fehler bei der Integration. "Man muss über Integration in Deutschland diskutieren." Vor allem müsse man über "den mangelnden Integrationswillen von türkischstämmigen und muslimischen Migranten, wie ihn der Integrationsbericht der Bundesregierung offenlegt", sprechen, sagte Dobrindt.

Für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sind die Äußerungen Sarrazins "vollkommen inakzeptabel". "Sie sind auch ausgrenzend in einer Art und Weise, sie machen ganze Gruppen in einer Gesellschaft verächtlich", sagte Merkel am Sonntag in der ARD.

"Und was für mich das Schlimmste ist: Vermeintlich beschäftigt sich Herr Sarrazin mit einem Thema, aber er erschwert die Auseinandersetzung mit diesem Thema", fügte sie hinzu. Die Art und Weise, wie hier geredet werde, das spalte die Gesellschaft und das Volk und erschwere die Diskussion.

Auf die Frage, ob das SPD-Mitglied Sarrazin seinen Bundesbank-Posten räumen müsse, sagte Merkel: "Die Bundesbank ist unabhängig, und insofern kann ich nur sagen, dass ich mir ganz sicher bin, dass man auch in der Bundesbank darüber sprechen wird, dass es da ja nicht nur um Geld und Finanzprobleme geht, sondern dass die Bundesbank für uns alle, für unser ganzes Land, ein Aushängeschild ist, nach innen wichtig, aber auch nach außen wichtig, und ich denke, dass man das in der Bundesbank auch diskutieren wird."

Zentralrat: Linie überschritten

Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, verwahrte sich in scharfer Form gegen die jüngsten Äußerungen Sarrazins. Er warf ihm einen faktischen Rückgriff auf Elemente der Rassehygiene aus der Nazi-Zeit vor. Auch von Politikern mehrt sich die Kritik.

Selbst wenn dies von dem ehemaligen Berliner Finanzsenator nicht gewollt sein sollte, sei damit "endgültig eine rote Linie überschritten", sagte Graumann, der aller Voraussicht nach im November neuer Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland wird, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur DAPD.

Graumann warf Sarrazin vor, bei der Integration von Minderheiten Brücken abzureißen sowie Menschen zu verletzen und zu verunglimpfen. Was er sage, sei unhaltbar und tue ihm aus dem Munde eines Vorstandsmitglieds der Deutschen Bundesbank besonders weh, fügte Graumann hinzu, der vor Jahren selbst in der volkswirtschaftlichen Abteilung der Notenbank gearbeitet hatte.

Man müsse sich fragen, wie lange ein solcher Mensch noch in einem so herausragenden Amt tragbar sei, fuhr der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland fort. Zu seiner Zeit an der Bundesbank wären derartige Äußerungen aus der Führungsspitze des Hauses undenkbar gewesen. Und auch heute sei es problematisch, wenn jemand mit solchen Ansichten die Bundesrepublik auf höchster Ebene in der Finanzwelt vertrete. "So geht es nicht weiter", bekräftigte Graumann.

Sarrazin: Bleibe SPD-Mitglied

Bundesaußenminister Guido Westerwelle warf Sarrazin vor, Rassismus oder gar Antisemitismus Vorschub zu leisten. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) zieht seine Eignung für das Amt in der Spitze der Bundesbank ebenfalls in Zweifel.

In der "Welt am Sonntag" hatte Sarrazin nicht nur erneut muslimische Einwanderer kritisiert. Für Empörung sorgte vor allem seine Äußerung: "Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen." Am Montag erscheint sein in Auszügen bekanntes Buch "Deutschland schafft sich ab". Darin geißelt der 65-jährige Notenbanker die Einwanderungspolitik in Deutschland und warnt vor Überfremdung. Die Zuwanderung wertete er indirekt als Bedrohung der genetischen Struktur der deutschen Bevölkerung und damit der deutschen Identität.

Zugleich verteidigte sich das SPD-Mitglied gegen die massive Kritik auch aus der eigenen Partei und lehnte einen Austritt kategorisch ab. "Ich bleibe SPD-Mitglied bis an mein Lebensende", sagte der im Deutschlandfunk. Führende SPD-Vertreter hatten den Bundesbanker aufgefordert, aus ihrer Partei auszutreten. Der Vorsitzende von Sarrazins Kreisverband Charlottenburg-Wilmersdorf, Christian Gaebler, sagte dem "Spiegel": "Das Maß ist voll. Für den Fall, dass Herr Sarrazin nicht freiwillig aus der SPD austritt, bereiten wir ein Parteiausschlussverfahren vor."

Koch: Sarrazin geht es nur noch um Verbalradikalismus

Vertreter aller Bundestagsparteien warfen Sarrazin Fremdenfeindlichkeit vor und verwiesen auf die Verdienste der Immigranten für Deutschland. Vizekanzler Guido Westerwelle (FDP) sagte in der "Bild am Sonntag": "Wortmeldungen, die Rassismus oder gar Antisemitismus Vorschub leisten, haben in der politischen Diskussion nichts zu suchen". Der CSU-Politiker zu Guttenberg wird mit den Worten zitiert: "Jede Provokation hat ihre Grenzen. Diese Grenze hat der Bundesbankvorstand Sarrazin mit dieser ebenso missverständlichen wie unpassenden Äußerung eindeutig überschritten."

Auch der scheidende hessische Ministerpräsident Roland Koch nannte die jüngsten Äußerungen Sarrazins unerträglich. Er nannte Sarrazins Thesen zu den Erbanlagen im Hessischen Rundfunk zynisch, rückwärtsgewandt und pessimistisch. "Wer glaubt, dass die Biologie und die Erbanlagen nahezu alles sind, und dass sich Migranten oder sozial im Augenblick schwache Menschen sozusagen immer in diesen Gruppen bewegen werden, der gibt sie auf." Zwar spreche Sarrazin Probleme an, denen die Gesellschaft nicht ausweichen dürfe. "Ihm selbst geht es aber offenbar nur noch um Verbalradikalismus und Tabubrüche", fügte Koch hinzu. "Damit stellt er sich völlig ins Abseits", sagte der CDU-Politiker.

Zentralrat der Juden: Sarrazin unterliegt Rassenwahn

Der Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland, Stefan Kramer, reagierte ebenfalls entsetzt. "Wer die Juden über ihr Erbgut zu definieren versucht, erliegt - auch wenn das vermeintlich positiv gemeint ist - einem Rassenwahn", sagte er am Sonntag der Nachrichtenagentur DAPD. Sarrazin versuche erneut, Minderheiten zu polarisieren und gegeneinander aufzubringen. Die Juden in Deutschland würden ihm dabei aber nicht auf den Leim gehen.

Der ehemalige Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman schrieb in einem Gastbeitrag für "Bild am Sonntag": "Es kann keine Toleranz mehr für diese Intoleranz geben. Wir brauchen Brückenbauer und keine Hassprediger, schon gar nicht im Vorstand der Deutschen Bundesbank." Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, rief in derselben Zeitung zu "massenhaften Strafanzeigen wegen Volksverhetzung" gegen Sarrazin auf.

Die erste türkischstämmige und muslimische Ministerin in Deutschland, Niedersachsens Sozialministerin Aygül Özkan (CDU), kritisiert Sarrazins Aussagen scharf. In der "Bild am Sonntag" warf sie ihm vor, Migranten mit seinen umstrittenen Thesen zu verletzen und pauschal zu diskreditieren. "

Gauweiler verteidigt Sarrazin

Der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler hingegen verteidigte Sarrazin. Dieser sei "nicht irgendein hergelaufener Polemiker, sondern hat in wichtigen Staatsämtern Herausragendes geleistet", sagte er. Auch wenn man ihm nicht in allen Punkten folgen müsse, hätten sich zum Thema Überforderung Deutschlands durch Einwanderung Helmut Schmidt, Oskar Lafontaine und auch Rudolf Augstein schon härter geäußert.

Auch der Publizist Henryk M. Broder hält die Kritik an Sarrazin für ungerechtfertigt. Broder sagte der Zeitung: "Es ist der erste Fall von Hexenjagd in Deutschland seit Mitte des 17. Jahrhunderts." Broder fügte hinzu: "Ich bezweifle, dass alle, die Thilo Sarrazin jetzt so voreilig kritisieren, sein Buch überhaupt gelesen haben."

Die Soziologin Necla Kelek, die Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab" am Montag in Berlin vorstellen wird, sagte: "Thilo Sarrazin leistet einen wichtigen Beitrag, indem er uns Muslime auffordert, über unsere Rolle in Deutschland zu reflektieren. Ihm Rassismus vorzuwerfen, ist absurd, denn der Islam ist keine Rasse sondern Kultur und Religion. Ich teile Sarrazins Sorge um Deutschland."

(apd/RTR/ddp/das)
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