Berlin "Versammlungsverbot ist keine Dauerlösung"

Berlin · Der frühere Präsident des Verfassungsgerichts betont, dass ein Demo-Verbot wie in Dresden nur ausnahmsweise zulässig sei.

Dem französischen Philosophen Voltaire wird das Zitat zugeschrieben: "Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben darum, dass Sie sie sagen dürfen." Mit dieser Haltung haben gestern Politiker verschiedener Parteien auf das Demonstrationsverbot für die anti-islamische Bewegung "Pegida" reagiert. "So abstoßend die ,Pegida'-Demos auch sein mögen - es müssen auch solche Meinungsäußerungen und Versammlungen in einem demokratischen Staat möglich sein", sagte die Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Renate Künast (Grüne).

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) verwies darauf, Terrordrohungen dürften niemals dazu führen, "dass Meinungen unterdrückt werden - egal ob uns diese Meinungen gefallen oder nicht".

Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, mahnte, dass die Einschränkung eines Grundrechts wie das Versammlungsverbot gegen "Pegida" keinesfalls eine Dauerlösung werden dürfe. "Ein Versammlungsverbot wegen aktueller Bedrohungslage, wie dies für Montagabend für alle Versammlungen in Dresden erlassen worden war, ist nur ausnahmsweise zulässig", sagte Papier unserer Zeitung. Denn das Verbot sei nicht gegen die Gefährder oder Störer gerichtet, sondern gegen diejenigen, die von ihren Grundrechten der Versammlungs- und der Meinungsfreiheit in legaler Weise Gebrauch machen wollten.

Der Verfassungsjurist betonte: "Einen solchen Ausnahmefall würde ich für das Verbot am Montagabend bejahen, da dort offenbar ein Fall von schwerer konkreter Bedrohung vorlag, der den Schutz durch die Polizei unmöglich machte." Gegen ein dauerhaftes Versammlungsverbot habe er aber "schwere Bedenken". Die Verwaltungsgerichte und auch das Bundesverfassungsgericht hielten das Grundrecht der Versammlungsfreiheit sehr hoch, betonte Papier: "Die Polizei und die Sicherheitsbehörden sind nicht dazu da, Versammlungen zu verbieten oder sie aufzulösen, sondern vielmehr, sie zu schützen."

Die Organisatoren von "Pegida" kündigten an, am kommenden Montag wieder zu demonstrieren. Das Verbot für den gestrigen Abend hatten sie akzeptiert und auch ihre Anhänger davor gewarnt, sich zu spontanen Demos zu treffen. Im Kern gab es offenbar eine konkrete Gefahr für "Pegida"-Organisator Lutz Bachmann. Dies hatte die "Pegida"-Sprecherin Kathrin Oertel bei einem Auftritt in der ARD-Sendung "Günther Jauch" bestätigt. In der Sendung signalisierte die Organisation auch Dialogbereitschaft.

Kritik gab es an der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, die schon länger als Moderator zwischen "Pegida" und ihren Gegnern auftritt und "Pegida" ihre Räumlichkeiten für die Pressekonferenz zur Verfügung gestellt hatte. Man müsse sehr starke Zweifel haben, ob dies zum gesetzlichen Auftrag einer Landeszentrale für politische Bildung gehöre, kritisierte der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka.

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Foto: Christoph Reichwein

Die Meinungs- und die Versammlungsfreiheit gehören in Deutschland zu den Grundrechten. Sie sind auch zentraler Inhalt der Europäischen Menschenrechtskonvention. Das heißt, die Entscheidung der Dresdner Sicherheitsbehörden, die Demonstration von "Pegida" abzusagen, war sehr weitreichend. Zumal die Behörden eine "Allgemeinverfügung" ausgesprochen haben, die nicht nur "Pegida" ihren Protestmarsch untersagt, sondern auch den Gegendemonstranten. Am gestrigen Montagabend wäre mit dieser Verfügung auch eine mögliche Demo von Milchbauern verboten gewesen. Das Verbot galt aber nur für einen Tag. Die Polizei arbeite an einem Sicherheitskonzept, hieß es gestern aus Dresden.

Verfassungsjurist Papier macht die Tragweite des Versammlungsverbots für Dresden mit einem Vergleich deutlich, der ähnlich aktuell ist: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in Deutschland jemand akzeptieren würde, wenn Presseverlage aus Sicherheitsgründen geschlossen würden, nur weil sie Mohammed-Karikaturen veröffentlicht haben und deshalb konkret bedroht sind." Der Staat müsse die Wahrnehmung der Grundrechte schützen, betonte Papier.

Entsetzt über das Versammlungsverbot zeigte sich die Piratenpartei. Sie nannte es "erschütternd", dass Versammlungs- und Meinungsfreiheit durch eine Polizeibehörde außer Kraft gesetzt werden könnten. Eine Sicherheitswarnung, erhöhte Polizeipräsenz und gesonderter Schutz für einzelne Personen hätten ausgereicht, um jedem selbst die Entscheidung zu überlassen, welches Risiko er einzugehen bereit sei. "Wieder siegt das Bedürfnis nach Sicherheit über die Freiheit", bedauerten die Piraten.

Nach Einschätzung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat das Verbot hingegen das Vertrauen der Bürger in die Sicherheitsbehörden eher gestärkt. "Die Bürger halten eine solche Entscheidung aufgrund konkreter Hinweise auf Anschlagspläne für verantwortungsbewusst", sagte GdP-Chef Oliver Malchow. Die Dresdner Entscheidung sei eine "absolute Ausnahme, die nur einer außergewöhnlichen Bedrohungslage geschuldet sein kann". Die Polizei sei nach wie vor "sehr wohl in der Lage, die Versammlungsfreiheit uneingeschränkt zu gewährleisten".

(RP)
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