Bundestag jahrelang falsch informiert? Drohnen-Debakel: Neue Vorwürfe gegen de Maizière

Berlin · Drohnen und kein Ende: Verteidigungsminister de Maizière soll dem Bundestag falsche Angaben zur Zahl der Unfälle mit unbemannten Flugkörpern gemacht haben. Tatsächlich sei fast jede siebte Maschine abgestürzt, meldet die Opposition.

Thomas de Maizière – Kanzleramtschef, Verteidigungsminister, Innenminister
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Das ist Thomas de Maizière

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Foto: dpa, nie pil his

Neue Vorwürfe gegen Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU): Sein Ministerium soll den Bundestag über Jahre falsch über das Ausmaß von Drohnen-Unfällen bei der Bundeswehr informiert haben.

Die Opposition beruft sich auf eine Regierungsantwort auf eine Anfrage aus der Linksfraktion. Laut dem Papier, das der Linken-Abgeordnete Andrej Hunko auf seiner Internetseite veröffentlichte, hat die Bundeswehr von 871 betriebenen Drohnen 124 durch Flugunfälle verloren.

Das Verteidigungsministerium wies die Vertuschungsvorwürfe zurück.
Die von der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" zitierte Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion sei von der Zeitung und Oppositionsvertretern verkürzt dargestellt worden, hieß es in einer am Samstag in Berlin veröffentlichten Stellungnahme.

Ministerium dementiert

So seien unter den genannten 124 verlorenen Drohnen auch solche, die bei einer "systemkonformen Landung" so beschädigt worden seien, dass eine Reparatur nicht wirtschaftlich war. "In solchen Fällen löst automatisch ein Fallschirm aus und das Fluggerät kommt kontrolliert zur Landung." Die überwiegende Anzahl der in der parlamentarischen Antwort genannten Fälle beziehe sich zudem auf kleine Systeme, etwa die Drohne Luna. "Den Vorwurf, dass das Verteidigungsministerium den Bundestag im Unklaren gelassen bzw. Abgeordnete falsch informiert hätte, weise ich deutlich zurück", erklärte der Sprecher.

Die Zeitung hatte berichtet, dass das Ministerium im März 2011 den Absturz von lediglich 12 Drohnen gemeldet habe, im Februar 2012 seien insgesamt 17 Abstürze aufgelistet worden. Zu diesem Zeitpunkt habe die Bundeswehr jedoch schon 116 Unfälle verzeichnet.

Hunko sagte der Zeitung: "Ich muss davon ausgehen, dass das Parlament wissentlich belogen wurde. Der Untersuchungsausschuss zum Euro Hawk muss sich deshalb auch mit der Informationspolitik des Verteidigungsministeriums zu den übrigen Drohnen befassen."

Der Grüne Omid Nouripour (Grüne) kritisierte: "Es ist eindeutig, dass Thomas de Maizière das Parlament und die Öffentlichkeit wieder hinter die Fichte geführt hat." Rainer Arnold von der SPD äußerte "den Verdacht, dass der Minister alle Informationen unterdrückt hat, die seiner Absicht zuwiderliefen, zügig Kampfdrohnen zu beschaffen."

De Maizière ist seit Wochen unter Druck, weil er Schwierigkeiten bei der Beschaffung der Aufklärungsdrohne "Euro Hawk" vertuscht haben soll. SPD, Grüne und Linke werfen dem Verteidigungsministerium vor, das Drohnen-Projekt zu spät gestoppt und so Steuergelder in dreistelliger Millionenhöhe verschleudert zu haben.

Zudem beschuldigen sie den Minister, widersprüchliche Aussagen zu seiner eigenen Einbindung in die Vorgänge gemacht zu haben. De Maizière räumte zwar handwerkliche Fehler ein, einen Rücktritt lehnt er aber ab. Noch vor der Bundestagswahl soll ein Untersuchungsausschuss die Affäre unter die Lupe nehmen.

Seit 2004 sind allein von der Bundeswehr-Aufklärungsdrohne des Typs "Luna" 52 Exemplare "abgestürzt", darunter 40 in Afghanistan, wie das Verteidigungsministerium dem Linken-Abgeordneten Paul Schäfer auf eine entsprechende Anfrage vom 30. Mai 2013 mitteilte. Als Gründe nannte das Ministerium technisches Versagen, Bedienungsfehler und schlechtes Wetter. Im Jahr 2011 hatte das Ministerium laut "FAS" lediglich vier, 2012 acht Verluste von Luna-Drohnen eingestanden. Der Stückpreis dieser Drohnen liege, je nach Ausstattung, bei mehreren hunderttausend Euro.

"Diese Differenz lässt sich nicht mit schlampiger Datenerfassung oder langen Meldewegen begründen", monierte Schäfer auf seiner Internetseite. "Der Verdacht liegt nahe, dass die Drohnenbefürworter um Verteidigungsminister de Maiziere ihre Illusion der Lösbarkeit von Problemen nicht öffentlich hinterfragt sehen wollten."

Die Zeitung meldete unter Berufung auf Industriekreise, bei den Herstellern würden die Angaben des Ministeriums skeptisch bewertet: Die Bundeswehr gebe aufgrund ihrer Einsatzregeln in Afghanistan Drohnen früher auf als notwendig. Weil die Drohnen bei Abbruch der Datenverbindung nicht per Autopilot zurück zu ihrem Stützpunkt flögen, landeten sie im unwegsamen Gelände, wo sie aus Sicherheitsgründen nicht geborgen, sondern zerstört würden.

SPD kritisiert weiteren Rüstungsdeal

Die SPD kritisiert de Maizière (CDU) nun zudem auch wegen eines anderen Rüstungsprojekts. SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels wirft dem Minister vor, er habe bei der Verkleinerung eines Großauftrags für neue Bundeswehr-Hubschrauber einen "lausigen Deal" für den Steuerzahler verhandelt. "Trotz einer massiven Reduzierung der Stückzahlen für neue Hubschrauber ist die Ersparnis minimal", sagte Bartels "Spiegel Online". "Der Minister hat sich von der Industrie offenkundig über den Tisch ziehen lassen."

Im Zuge der Neuausrichtung der Streitkräfte hatten sich Verteidigungsministerium und Rüstungsindustrie darauf geeinigt, eine ursprüngliche Bestellung von NH-90-Transporthubschraubern und Tiger- Kampfhubschraubern von 202 Exemplaren auf 139 zu reduzieren. Das Ministerium hatte Mitte März mitgeteilt, durch die Kürzung um gut 30 Prozent würden im Verteidigungshaushalt erhebliche Mittel frei - eine Höhe wurde nicht genannt.

Aus einer Vorlage für den Haushaltsausschuss des Bundestages geht nun laut "Spiegel Online" hervor, dass der Preis des Gesamtpakets lediglich um rund zwei Prozent von 10,3 Milliarden Euro auf 10,1 Milliarden sinkt. Insgesamt würden 224 Millionen Euro gespart.

(dpa/jco)
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