Russland will Lieferungen wieder aufnehmen Durchbruch im Gasstreit

Berlin · Unter Vermittlung des deutschen EU-Kommissars Günther Oettinger einigen sich die Energieminister Russlands und der Ukraine in Berlin auf ein "Winterpaket" zur Wiederaufnahme der russischen Gaslieferungen. Auch Westeuropa kann jetzt aufatmen, denn die Chancen auf eine endgültige Lösung des Konflikts sind erheblich gestiegen. Beide Regierungschefs müssen das Paket kommende Woche aber noch absegnen.

Russland will Lieferungen wieder aufnehmen: Durchbruch im Gasstreit
Foto: ap

So groß ist der Andrang der internationalen Presse sonst nur bei Pressekonferenzen mit Angela Merkel oder Barack Obama in Berlin. Doch am Freitag trafen sich in der Hauptstadt der scheidende EU-Energiekommissar Günther Oettinger, der russische Energieminister Alexander Nowak und sein ukrainischer Amtskollege Juri Prodan.

Hunderte Journalisten warteten gespannt auf Ergebnisse. Zur Überraschung vieler konnten sich die drei Herren im monatelangen Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine tatsächlich einigen. Es seien Eckpunkte für ein "Winterpaket" erarbeitet worden, um die Gasversorgung Europas und der Ukraine über den Winter bis ins Frühjahr zu sichern, sagte EU-Energiekommissar Oettinger.

Darum ging es: Weil die Ukraine seit dem vergangenen November Gaslieferungen aus Russland nicht bezahlt hat, erhält sie seit Mitte Juni kein Gas mehr für den Eigenverbrauch. Sie schuldet Moskau nach russischen Angaben 5,3 Milliarden US-Dollar. Doch in dem Streit ging es nicht nur um Zahlungsrückstände, sondern vor allem um den Gaspreis für künftige Lieferungen. Nach einem 2009 abgeschlossenen Liefervertrag zwischen beiden Ländern, der noch bis 2019 gilt, hat Russland Anspruch auf 485 US-Dollar (354 Euro) je 1000 Kubikmeter. Doch die vom Bankrott bedrohte Ukraine wollte nur 268,50 US-Dollar bezahlen, weil sie den Vertragspreis für überzogen und politisch motiviert hielt. Noch am Donnerstag hatte der ukrainische Präsident Poroschenko erklärt, Russland nutze das Gas als politische Waffe gegen sein Land.

Darauf haben sich beide Seiten jetzt geeinigt: Russland gewährt der Ukraine einen Rabatt von 100 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter bis März 2015. Ab sofort gilt für alle Lieferungen Vorkasse, das heißt, die Ukraine erhält nur dann Gas, wenn sie es vorher bezahlt hat. Bis Ende Oktober erhält der russische Gazprom-Konzern eine Nachzahlung der Ukraine für bereits geliefertes Gas von zwei Milliarden US-Dollar, bis Ende des Jahres weitere 1,1 Milliarden US-Dollar. Die Rechtmäßigkeit der Forderungen Russlands wird allerdings noch von einem Schiedsgericht in Stockholm überprüft. Die Zahlungen der ukrainischen Nationalbank, die bereits 3,1 Milliarden US-Dollar vom Internationalen Währungsfonds (IWF) erhalten und auf einem Sonderkonto geparkt hat, werden vom IWF und der EU garantiert. Nowak zeigte sich zufrieden, obwohl sein land auf Nachforderungen von rund zwei Milliarden US-Dollar verzichtet. Russland hatte bereits im Frühjahr einen 100-Dollar-Rabatt angeboten, den die Ukraine bislang abgelehnt hatte. Für die Zeit ab April 2015 will Kiew neue Lieferverträge aushandeln.

Die Ukraine bezieht zwei Drittel ihres gesamten Gasbedarfs aus Russland. Noch sind ihre Gasspeicher gefüllt. Die Heizperiode dort beginnt offiziell erst am 15. Oktober. Doch bereits jetzt gibt es in vielen Kiewer Wohnblocks kein warmes Wasser mehr mit der Begründung, man müsse Gas sparen. Bürgermeister Wladimir Klitschko, der frühere Box-Weltmeister, hat die Bürger auf harte Zeiten eingeschworen, der Winter werde kalt. Die Heiztemperatur in Kiew werde um zwei auf 16 Grad gesenkt.

Die EU und Deutschland beziehen etwa ein Drittel ihres Gasbedarfs aus Russland, wovon wiederum die Hälfte durch Pipelines in der Ukraine fließt. Ohne die gestrige Einigung hätte im Winter die Gefahr bestanden, dass die Ukraine Teile des für die EU bestimmten Gases nutzt, um sich damit selbst zu versorgen. Für die EU war eine rasche Lösung des Gasstreits daher von größter Wichtigkeit. EU-Kommissar Oettinger setzte zu Recht darauf, dass Russland auf Zahlungen aus der EU und der Ukraine angewiesen ist: 56 Prozent des Staatsbudgets deckt Moskau mit den Einnahmen aus dem Energiegeschäft.

Der russische Energieminister Nowak warnte die EU vor den Verhandlungen gestern in Berlin vor einem Re-Export russischen Gases in die Ukraine: Kein EU-Land dürfe Gas, das es aus Russland bekommen habe, vom Westen in die Ukraine leiten, denn dies verstoße gegen die Verträge, sagte Nowak dem "Handelsblatt". Ungarn reagierte auf diese Warnung und stoppte gestern Gaslieferungen an die Ukraine. Im Gegenzug hat der russische Gas-Konzern Gazprom Ungarn höhere Liefermengen zugesagt. Der ukrainische Gas-Versorger Naftogaz protestierte und verlangte von Ungarn die Einhaltung der Abkommen.

(mar)
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