Analyse Ein Fall von Staatsräson

Düsseldorf · Haben die USA die Bundesregierung erpresst, um zu verhindern, dass der NSA-Whistleblower Edward Snowden nach Deutschland kommen darf? Die Debatte zeigt, wie unaufrichtig Politiker mit dem Fall umgehen.

Die Chronologie des Falles "Edward Snowden"
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Die Chronologie des Falles „Edward Snowden“

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Der Name von Philipp Jakob Siebenpfeiffer dürfte den allermeisten Deutschen völlig unbekannt sein. Schließlich starb der Jurist und Journalist bereits 1845 in geistiger Umnachtung. Siebenpfeiffer war einer der Initiatoren des Hambacher Fests 1832, das als Höhepunkt der damaligen bürgerlichen Revolte gegen die fürstliche Restauration in Deutschland gilt. Nach ihm ist seit 1989 ein Preis benannt, der laut Statut an Journalisten verliehen wird, die "das demokratische Bewusstsein in unserer Zeit fördern".

Vor Kurzem nahm der amerikanische Enthüllungsreporter Glenn Greenwald im saarländischen Homburg die Auszeichnung entgegen. Ein exzellenter Journalist, aber in Wirklichkeit, so darf man wohl vermuten, galt die Ehrung nicht ihm, sondern Edward Snowden, dem amerikanischen Whistleblower, der Greenwald 2013 ganze Festplatten voller streng geheimer Dokumente des US-Geheimdienstes NSA zugesteckt hatte.

Edward Snowden, dieser Name ist den meisten Deutschen sehr vertraut. Viele halten den jungen Mann für einen Helden, weil er die Überwachungs-Exzesse der NSA ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt hat und deswegen jetzt im russischen Exil sitzt, wo er vor dem Zugriff der US-Behörden sicher ist, die ihn wegen Geheimnisverrats vor Gericht stellen wollen. Auch Wirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) gehört zu den Bewunderern. Er hielt in Homburg die Laudatio auf Greenwald, die er mit warmen Worten für Snowden ausschmückte. Mehr allerdings könne man nicht für den Mann tun, führte Gabriel aus. Ein Asyl in Deutschland oder auch nur eine Befragung vor dem NSA-Untersuchungsausschuss komme leider nicht infrage, weil man Snowden dann umgehend an die USA ausliefern müsse. Was viel aussagt über die deutsche Schizophrenie im Umgang mit dem Fall Snowden und auch einiges über Gabriels persönlichen Hang zum Herumeiern.

Denn eine Woche nach der Preisverleihung hat Greenwald nun nachgelegt und ausgeplaudert, was Gabriel ihm am Rande der Veranstaltung anvertraut haben soll: Dass nämlich die Amerikaner "aggressiv" gedroht hätten, die Bundesregierung von allen Geheimdienstinformationen über mögliche Terrorbedrohungen in Deutschland abzuschneiden, sollte Snowden nach Deutschland einreisen dürfen. Sollte also ein Anschlag bevorstehen, würden die US-Behörden keine Warnung mehr nach Berlin übermitteln.

Dies würde die Weigerung der großen Koalition erklären, Snowden im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages befragen zu lassen, wie es die Opposition fordert. Knallharte Erpressung also. Aber warum eigentlich, wenn doch Snowden aufgrund der geltenden Rechtslage angeblich ohnehin nicht nach Deutschland kommen könnte?

Auch die Frage, ob Greenwald das Gespräch mit Gabriel wahrheitsgetreu wiedergegeben hat, muss zunächst offenbleiben. Gabriels Sprecherin mochte auf Medienanfrage nur erläutern, was ihr Chef im öffentlichen Teil der Veranstaltung gesagt hat. Nach einem harten Dementi klingt das nicht. Zumal Gabriel ja kein blutiger Anfänger im Umgang mit Medien ist. Dass amerikanische Journalisten nicht dazu neigen, sich an kontinentaleuropäische Usancen der Vertraulichkeit im Gespräch mit Politikern zu halten, dürfte ihm bekannt gewesen sein. Hat er Greenwald also bewusst "geimpft", um sich von der offiziellen Linie der Bundesregierung im Fall Snowden abzusetzen? Wollte er sich gar als Amerika-Skeptiker profilieren? Nicht ganz auszuschließen, wenn man weiß, unter welchem Druck Gabriel derzeit in der SPD wegen seines Einsatzes für das in der Partei höchst umstrittene Freihandelsabkommen TTIP mit den USA steht. Die politischen Folgen eines solchen Manövers sind freilich nicht abzuschätzen. Die Grünen im Bundestag sollen die Bundesregierung bereits um Aufklärung gebeten haben. In den kommenden Tagen soll das Kanzleramt erklären, ob Washington tatsächlich mit einem Ende der Weitergabe von Geheimdienstinformationen gedroht hat.

Die Amerikaner haben das gestern bereits dementiert. In der Tat muss man sich die Frage stellen, ob eine solche nackte Erpressung überhaupt nötig war. Dass von den USA massiver politischer Druck ausgeübt wurde, und zwar nicht nur auf Berlin, um die Aufnahme Snowdens in einem Drittland zu verhindern, ist schließlich kein Geheimnis. Jedem politisch Verantwortlichen in Berlin musste klar sein, dass eine Einreiseerlaubnis für den Ex-NSA-Mitarbeiter das Verhältnis Deutschlands zur Weltmacht USA aufs Schwerste ramponieren würde.

Nicht umsonst haben auch alle anderen Staaten, die zeitweise als Aufnahmeland für Snowden gehandelt wurden, einen Rückzieher gemacht. Hätte es in Moskau mit Wladimir Putin nicht jemanden gegeben, dem jedes Mittel recht ist, um die Amerikaner zu ärgern - Snowden säße womöglich längst in US-Haft.

Die Abwägung war am Ende eine Frage der Staatsräson: Was hat Deutschland zu gewinnen, wenn es Snowden aufnimmt, was hat es zu verlieren? Auf welche Weise ist am ehesten Schaden vom deutschen Volke abzuwenden, wie es das Grundgesetz fordert? Die Bundesregierung hat sich - trotz großen Unmuts über die Kaltschnäuzigkeit der Amerikaner in Sachen Spionage gegen enge Partner - dazu entschlossen, der Konfrontation auszuweichen.

Pech für Edward Snowden, der sicherlich lieber in Berlin leben würde als in Moskau. Gute politische Beziehungen zu Washington sind wichtiger als sein persönliches Schicksal. Aber das traut sich hierzulande niemand offen auszusprechen. Stattdessen erhält Snowden Ehrendoktorhüte und Auszeichnungen in Abwesenheit, und Politiker lassen durchblicken, dass sie Opfer einer politischen Erpressung geworden sind.

(RP)
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