SPD-Politiker wurde 93 Jahre alt Egon Bahr - der Architekt der Brandt'schen Ostpolitik

Berlin · Der frühere Bundeskanzler Willy Brandt gilt als Vater der neuen deutschen Ostpolitik ab 1969, doch Brandts Freund und Weggefährte Egon Bahr war ihr Architekt. Nun ist der SPD-Politiker im Alter von 93 Jahren gestorben.

Egon Bahr - Grandseigneur der SPD
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Foto: dpa, eis_gr cul axs tmk

Es gab kaum eine wichtige Verhandlungsrunde des damaligen Ost-West-Dialogs, an der Bahr nicht beteiligt war. Und er prägte auch ihren visionären Leitspruch "Wandel durch Annäherung" - bereits 1963 als Überschrift einer Rede an der Evangelischen Akademie Tutzing.

Bahr wandte sich schon in den 1960er Jahren gegen das bis dahin geltende Postulat einer "Politik der Stärke" des Westens gegenüber dem "Ostblock" unter Führung Moskaus. Er war überzeugt, Veränderungen auf der "anderen Seite" könnten nur langfristig in Form vieler kleiner Schritte und in einem Klima der Entspannung erfolgen, vor allem aber nur mit Billigung Moskaus.

Ab 1970 mündete diese Politik in den Verträgen der Bundesrepublik zunächst mit der Sowjetunion, dann mit anderen osteuropäischen Staaten und schließlich im Grundlagenvertrag mit der DDR. Viele Historiker sehen in dieser Politik, deren weltpolitisches Pendant die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) war, einen wichtigen Baustein für die spätere Perestroika-Politik Michail Gorbatschows in Moskau und dann die Wende in der DDR 1989 - von der sich Bahr selbst allerdings eher überrascht und zunächst beunruhigt zeigte.

Begonnen hatte die politische Karriere Bahrs, als 1960 der damalige Berliner Regierende Bürgermeister Brandt ihn zu seinem Senatssprecher machte. Mit dem Eintritt der SPD in die Bundesregierung 1966 als Partner von CDU-Kanzler Kurt Georg Kiesinger folgte Bahr seinem Mentor als Sonderbotschafter und de facto Leiter des Planungsstabs ins Auswärtigen Amt. Nach Brandts Wahl zum Bundeskanzler 1969 berief er Bahr zunächst zum Staatssekretär im Kanzleramt, 1972 dann zum Bundesminister für besondere Aufgaben.

Nicht mehr so eng war Bahrs Verhältnis zu Helmut Schmidt, der Brandt nach dessen Rücktritts wegen der Guillaume-Spionageaffäre als Kanzler nachfolgte. Zwar holte Schmidt den Vertrauten des Parteichefs erneut ins Kabinett, als Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit stand dieser jedoch nicht mehr im Zentrum des Geschehens.

Bahr war ein Mann der kritischen Worte

Dies hielt Bahr allerdings nie davon ab, sich auch kritisch immer wieder zu Wort zu melden, auch in seiner Zeit von 1976 bis 1981 als Bundesgeschäftsführer der SPD. Anfang der 1980er Jahre zählte er zu den Gegnern des von Schmidt vehement befürworteten Nato-Doppelbeschlusses.

Noch mit mehr als 90 Jahren versuchte Bahr vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts sein altes Konzept gegenseitigen Respekts auf das aktuelle Verhältnis zu Russlands zu übertragen, was ihm den Vorwurf unkritischer Nähe zu Russlands Präsident Wladimir Putin eintrug. Bahr argumentiere aus seinen Erfahrungen "in einer ganz anderen Situation", wies ihn der heutige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) zurecht. Heutzutage könne nicht mehr einfach hingenommen werden, wenn "Grenzen willkürlich verändert und Völkerrecht verletzt" werden.

Egon Bahr wurde am 18. März 1922 im thüringischen Treffurt an der Werra geboren. Die ursprünglich aus Schlesien stammende Lehrerfamilie zog 1928 zunächst nach Torgau und 1938 nach Berlin. Zuvor war Bahrs Vater aus dem Schuldienst entlassen worden, weil er sich nicht von seiner Frau, deren Mutter Jüdin war, trennen wollte.

Auch Bahrs beruflicher Werdegang wurde durch die jüdischen Wurzeln eines Teils seiner Familie beeinflusst. Nachdem ihm die Nationalsozialisten die Studienerlaubnis verweigerten, begann er zunächst eine Lehre als Industriekaufmann. Nach Kriegsende arbeitete Bahr in Berlin als Journalist für verschiedene Zeitungen sowie später den Sender RIAS, bis ihn dann Brandt - nach einer Zwischenstation als Presseattaché der deutschen Botschaft in Ghana - in die Politik holte.

(AFP)
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