Erfahrungsbericht einer Reporterin Annäherungsversuch an die AfD

Düsseldorf · Parteitage, Pressetermine, Hintergrundrecherchen - unsere Autorin berichtet über ihre Erfahrungen als AfD-Reporterin. Und das Verhältnis der Partei zur Presse.

Am Schaltpult der NRW-AfD: Der Landesvorsitzende Marcus Pretzell (43).

Am Schaltpult der NRW-AfD: Der Landesvorsitzende Marcus Pretzell (43).

Foto: dpa, ve soe

Februar 2016 Eine neue Stelle führt mich zur Rheinischen Post. Zwei Wochen in der Politikredaktion vergehen, bis die AfD für mich alternativlos wird, beruflich betrachtet. Es ist die Zeit der Enttäuschten, der Merkel-muss-weg-Rufer, der Wutwähler. Das Flüchtlingskrisenjahr ist noch spürbar, die Überforderung von Behörden jetzt sichtbar. Pegida-Anhänger marschieren, Gegner demonstrieren, und während sich die Flüchtlingsdebatte an deutschen Frühstückstischen weiter hochschaukelt, zieht die AfD wenige Wochen später mit satten zweistelligen Prozentzahlen in drei Landtage ein. Zeit, dass sich jemand dieser Partei annimmt, befindet die Redaktion, mit dem Grundsatz: so sachlich, sorgsam und verantwortungsbewusst wie bei jeder anderen Partei.

"Visionen für Europa" heißt die erste Veranstaltung am 13. Februar 2016, für die ich mich akkreditiere - wie es für Journalisten bei Parteiterminen üblich ist, was meint: eine E-Mail an den Veranstalter (AfD) mit Anliegen (Teilnahmewunsch) und Absender (Politikredakteurin, Rheinische Post). NRW-Chef Marcus Pretzell und seine (damals noch) Lebensgefährtin Frauke Petry, die meinen Namen heute sofort zuzuordnen wissen, fordern in der Düsseldorfer Messe vor johlendem Publikum: Grenzen schließen, Anreize für Asylbewerber abschaffen, das Asylrecht nach Artikel 16 A im Grundgesetz streichen.

Mein erster Eindruck ist befremdlich, inhaltlich wie personell. Parteimitglieder sind freundlich, aufgeschlossen - bis ich mich als Journalistin vorstelle. Hochgezogene Augenbrauen, skeptische Mienen, ein halblustig gemeintes "achja, Lügenpresse". Das schreckt mich nicht ab, es spornt mich an. Professionell bleiben, denke ich, beobachten, zuhören, nachfragen, beschreiben. Ich bin jung, die Partei ist jung, wir sollten uns erst mal kennenlernen.

April 2016 Der AfD-Bundesparteitag in Stuttgart steht an, die Partei will ihr Grundsatzprogramm verabschieden. Ein Interview mit dem NRW-Vorsitzenden Marcus Pretzell soll als Vorbericht dienen. Doch das kommt nicht zustande, genauer gesagt: nie. Nach insgesamt zwölf Emails zwischen seiner damaligen Sprecherin gibt es einen Termin für den 28. April in Düsseldorf - den diese einige Tage zuvor absagt, ohne Angabe von Gründen. Ein Telefoninterview biete sie stattdessen an, die kommen für uns aber nur in Ausnahmefällen infrage.

Dass Spitzenpolitiker Termine grundlos absagen - sei es aus Höflichkeit, persönlichem oder politischem Interesse - ist grundsätzlich selten. Doch die AfD ist die Ausnahme, die die Regel bricht. Das steht schon so in ihrer Parteistrategie. Sie sind gegen das Establishment, halten sich für die einzig echte Opposition - provozieren aus Prinzip.

Auf die Texte vom Parteitag gibt es viele Leserbriefe von empörten AfD-Anhängern. Zum Beispiel: "Sie als Medienvertreter sind mit Ihrer regierungsfreundlichen propagandistischen Berichterstattung mitverantwortlich für bürgerkriegsähnliche Zustände, die ich in Deutschland erwarte! Seien Sie fair!"

August 2016 In unserer Sommerserie "Kurs halten" interviewen wir Spitzenpolitikern an ihren Lieblingsgewässern. Mit Marcus Pretzell soll es an den Rhein gehen. Ein Treffen für den 5. August verschiebt er drei Tage vorher, sagt es einen Tag vorher ab. Ort und Zeit sind diesmal kein Problem, sondern ein Kollege, der dabei sein soll. Es ist üblich, Interviews mit Spitzenpolitikern zu zweit oder auch zu dritt zu führen, im Gegenzug bringen die oft ihre Sprecher oder Assistenten mit. Pretzell passt das nicht: "Entweder Sie oder Ihr Kollege, sonst gibt es kein Interview", sagt er in scharfem Ton am Telefon. Es gibt kein Interview.

September 2016 Marcus Pretzell rückt in den Fokus der Medien. Er wird Spitzenkandidat für die NRW-Wahl. Seine Gegner wehren sich, gründen Initiativen, lancieren Geschichten in der Presse: Die Wahl sei manipuliert, Stimmzettel seien vernichtet worden, es habe unerlaubte Absprachen gegeben. Der NRW-Chef sagt auf Anfrage zu alldem: nichts. Immer mehr Mitglieder wenden sich an Medien, auch an mich. Die AfD in NRW sei eine Beutegemeinschaft gesteuert von Pretzell, heißt es immer wieder. Er sei ein "machtbesessener Hütchenspieler und Ober-Gigolo" kommentieren Mitglieder in Facebookgruppen; er habe seine Handlanger, "die Munition sammeln, um seine Gegner mundtot zu machen". Von Erpressungen reden manche.

Pretzell ist ein Rhetorik-Ass. Er kann jede noch so trockene Wahlveranstaltung in wenigen Minuten zum Kochen bringen, die Stimmung mit einer Rede komplett wenden. "Er ist hochintelligent", sagt einer, der lange mit ihm zusammengearbeitet hat und nicht mehr Parteimitglied ist, "aber er nutzt sein Talent nur für Schlechtes. Er giert nach Macht um jeden Preis und ohne jede Moral." Um Inhalte gehe es Pretzell selten. Ihn als rechts oder rechtsradikal zu bezeichnen sei schlicht falsch, sagt der Ex-Parteikollege, "er hat politisch ja überhaupt keine Meinung, sondern nur die, die gerade gefragt ist."

Pretzell, 1973 geboren in Rinteln bei Bielefeld, studierter Jurist und Mitglied einer schlagenden Studentenverbindung, war von 2004 bis 2009 auch FDP-Mitglied in Wiesbaden. Doch weder der Fraktionsgeschäftsführerin noch dem Kreisverbandsleiter ist sein Name je untergekommen. In der Kanzlei, in der er sein juristisches Referendariat gemacht hat, kann man sich zwar an ihn erinnern, über ihn sprechen will niemand. Ebenso die Alten Herren der Heidelberger Verbindung, die politische Neutralität wahren will, ihn aber um Austritt aus dem Corps gebeten hat - ohne Erfolg.

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Foto: dpa/Kay Nietfeld

Marcus Pretzell ist niemand, der sich Vorschriften machen lässt. "Er ist unreflektiert, unbelehrbar und unberechenbar", sagt ein ehemaliger Geschäftspartner aus seiner Zeit als Immobilienentwickler. Er sei Mitarbeiter hart angegangen, zu Terminen gar nicht oder unaufgefordert erschienen. Nach sechs Monaten trennten sich die Wege.

Auch sonst blieb er beruflich eher erfolglos: Seinen nach dem Studium gegründeten Firmen (eine Kanzlei und eine Immobilienfirma) gibt das Geschäftsportal "Creditreform" katastrophale Bewertungen. "Von Geschäftsbeziehungen wird abgeraten", heißt es, "es liegen schuldnerregisterliche Eintragungen vor". Drei "Offenbarungseide" soll er zwischen November 2014 und Juli 2015 leisten. Das ignoriert Pretzell ebenso wie Ordnungs- und Zwangsgelder.

Das Finanzamt Bielefeld-Innenstad pfändet das Parteikonto der NRW-AfD, "nach unseren Erkenntnissen war er völlig pleite", sagt ein damaliger Vorstandskollege. Der Bundesvorstand mahnt Pretzell ab, ein parteiinternes Gutachten attestiert ihm "privat chaotische Zustände". Pretzell spricht zu der Zeit von Schulden, wie sie jeder Bürger mal habe. Mahnungen hätten ihn wegen der Trennung von seiner Frau nicht erreicht. Verschuldet, zahlungsunfähig oder -unwillig sei er nie gewesen, ließ er einst seinen Anwalt dem "Spiegel"mitteilen.

Dezember 2016 An mehreren Wochenenden geht es um die Landesliste, also um gutdotierte Mandate im Landtag. Die NRW-AfD ist gespalten: Pretzells Gegner wollen eine Neuwahl der Liste, er habe durch Tricks fast ausschließlich seine Leute durchgebracht. Sie sind wütend. Pretzell sitzt in der Stadthalle Euskirchen auf dem Gang, er wirkt angespannt. "Herr Pretzell, was sagen Sie zur Unterschriftensammlung für eine Neuwahl?" Er starrt in seine Unterlagen. "Schreiben Sie, was Sie wollen, tun Sie doch sowieso", sagt er. Und geht.

Januar 2017 Die Lage spitzt sich zu. Der Landesvorstand um Pretzell will seinen Widersacher, Ko-Chef Martin Renner, offenbar loswerden und auf einem Parteitag abwählen, heißt es in einem Internetforum. Für ein kurzes Statement rufe ich Pretzell an. Ich komme nicht dazu, die Frage auszuformulieren. Als er ahnt, worum es geht, wird er laut: "Sie schaffen es, aus allem eine Kampagne zu machen, alles, was Sie schreiben, sind sowieso nur Lügen, sie brauchen nie wieder anzurufen!", schallt es aus dem Hörer. Ich stelle auf Lautsprecher, Kollegen drei Tische weiter hören mit. "Sie sind ja auch zu blöd, einen Juristen zu fragen, der Ihnen die Rechtmäßigkeit dessen bestätigt", schreit er weiter, bis er auflegt. Grußlos.

Die Abwahl seines Widersachers scheitert. Auf dem Parteitag in Oberhausen ist Pretzell noch dünnhäutiger als sonst; will keine Interviews geben. Als ihn ein ZDF-Team zu seinem Wohnsitz befragen will, lässt er die Kollegen von zwei Sicherheitsmitarbeitern rausdrängen. Ein Kollege vom Recherchenetzwerk "Correctiv", der ebenfalls zu der ungeklärten Wohnsitzfrage des Spitzenkandidaten forscht, wird bei der nächsten Veranstaltung gar nicht erst reingelassen. Erst zwei Stunden später, "aus Gnade" des Pressesprechers, wie der dann sagt.

Februar 2017 Die Vorwürfe von Mitgliedern an Pretzell mehren sich. Viele wenden sich an mich: Der inzwischen mit der schwangeren Frauke Petry verheiratete Pretzell habe keinen rechtmäßigen Wohnsitz in NRW, zahle für seine vier Kinder aus erster Ehe keinerlei Unterhalt. Ich schreibe der Ex-Frau einen Brief, mit der Bitte um ein Gespräch. Die Antwort bekomme ich von ihrem Ex-Mann in Münster, auf dem AfD-Neujahrsempfang: "Nehmen Sie als schlechtestes Beispiel für Journalismus die Rheinische Post, die Berichterstattung der Redakteurin ist unterirdirsch. Sie gehen soweit, meiner Exfrau Briefe zu schreiben." 400 AfDler sind außer sich.

Seine neue Ehefrau, Frauke Petry, entgegnet auf die Interviewanfrage von RP-Chefredakteur Michael Bröcker bei einer Medienkonferenz in Berlin einige Tage darauf so: "Ist bei Ihnen nicht diese Frau Rathcke?", lacht sie höhnisch. "Nein, danke."

April 2017 Dem Pressesprecher der NRW-AfD reicht es. Erst wenige Wochen im Amt fiel er bisher nicht durch Beantworten meiner Anfragen auf, sondern mit Einladungen zum Essen. Wie geht man damit um? Ein AfD-Funktionär begrüßte mich mal mit den Worten: "Ich habe Sie gleich an Ihren schönen Augen erkannt." Ein anderer schrieb mir nach einem Interview: "Sie wirken in natura noch weitaus attraktiver als auf Ihrem Bild bei Facebook und das ist wirklich selten."

Der NRW-Sprecher jedenfalls bittet mich am Rande des Parteitags in Köln zum Gespräch. Er habe sich das lange genug angeschaut. "Sie schreiben nur Lügen! Sie wollen Ihre Ideologie verbreiten und Dreck über die Partei auszukübeln", sagt er. Ob er das an Beispielen festmachen könne? "Da können Sie jeden Text nehmen", sagt er. Konkreter wird er nicht. Wenn ich ab jetzt nicht objektiv berichte, gebe es für mich keine Akkreditierungen und Informationen mehr.

Bilder vom AfD-Parteitag 2017 im Maritim Hotel in Köln
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Der AfD-Bundesparteitag im Maritim Hotel in Köln

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Foto: dpa, ve gfh

Unterdessen hält Pretzell eine Rede vor den Delegierten: "Wir sind die vielleicht letzte Partei, die sich für die Meinungsfreiheit intensiver einsetzt, als alle anderen." Die Presse berichte falsch, weil sie es nicht besser wisse. Er bietet an: Politische Bildung für Journalisten.

(jra)
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