Interview mit Heiner Geißler "Es gibt keinen moralischen Zwang, Gauck zu wählen"

Berlin (RP). Heiner Geißler, von 1977 bis 1989 Generalsekretär der CDU und als Querkopf und "Herz-Jesu-Sozialist" in der Partei umstritten, wettert im Gespräch mit unserer Redaktion gegen das Sparpaket der Regierung und die FDP. Kanzlerin Merkel habe sich erpressen lassen, lautet die Analyse des CDU-Politikers. Die Wahl zum Bundespräsidenten ist entscheidend für die Koalition, sagt Geißler. Der schwarz-gelbe Kandidaten Christian Wulff wäre ein "überdurchschnittlich" guter Präsident.

 Der ehemalige CDU-Spitzenmann Heiner Geißler sieht in Christian Wullf einen guten Bundespräsidenten.

Der ehemalige CDU-Spitzenmann Heiner Geißler sieht in Christian Wullf einen guten Bundespräsidenten.

Foto: ddp, ddp

Das Sparpaket ist heftig umstritten. Wie fällt Ihr Urteil aus?

Geißler Es gibt unbestritten Konsolidierungsbedarf, aber das Sparpaket geht zu Lasten der Langzeitarbeitslosen und der Familien, die man nicht gerade als Verursacher der Finanz- und Schuldnekrise bezeichnen kann. Deswegen werden die Vermögenden, die Spitzenverdiener und Millionenerben verschont. Ganz offensichtlich hat sich die CDU gegen die FDP nicht durchgesetzt. Richtig ist der Einsatz für eine Finanzmarktbesteuerung, die Brennelementesteuer und die Lufverkehrsabgabe.

Hat sich die CDU über den Tisch ziehen lassen?

Geißler Für die CDU ist das Sparpaket kein Ruhmesblatt. Man kann nicht Volkspartei bleiben, wenn man FDP-Politik macht. Aber der Bundestag ist mit dem Sparpaket ja noch nicht am Ende.

Die FDP trägt die Hauptschuld an der Misere der Koalition?

Geißler Die FDP hat mit der Millionenspende von Mövenpick und der anschließenden Umsatzsteuerprivilegierung für die Hotelbranche, dem sturen Festhalten an der Kopfpauschale und an den Steuersenkungen, der Ablehnung einer Finanztransaktionssteuer und jetzt mit diesem Sparpaket die ganze Koalition auf die schiefe Bahn gebracht. Sie droht, die CDU mit in den Abgrund zu reißen.

Jetzt gilt die Wahl des Bundespräsidenten als Schicksalstag für Schwarz-Gelb. Ist der Oppositionskandidat Joachim Gauck ein guter Kandidat?

Geißler Joachim Gauck ist sicherlich ein guter Kandidat. Aber ich würde Christian Wulff wählen, er hat das Zeug, ein überdurchschnittlich guter Bundespräsident zu werden. Es gibt keinen moralischen Zwang, Wulff nicht zu wählen. Es ist doch selbstverständlich, dass Union und FDP mit einem eigenen Kandidaten ins Rennen gehen, der Vorschlag Gauck kam von Rot-Grün ja erst später. Die Wahl zum Bundespräsidenten war schon seit Theodor Heuss und Gustav Heinemann eine hochpolitische Wahl. Und wenn ein politisch erfahrener Mensch Bundespräsident wird, ist das vor dem Hintergrund des Rücktritts von Horst Köhler sicherlich nicht schlecht.

Sind die Mitglieder der Bundesversammlung frei in ihrer Entscheidung?

Geißler Natürlich. Die Wahl zum Bundespräsidenten ist eine geheime, freie Wahl. Es gibt keinen Fraktionszwang.

Und wenn Christian Wulff nicht gewählt wird?

Geißler Dann hat die schwarz-gelbe Koalition ein Problem. Anders herum ist das auch eine Chance für die Regierungskoalition. Wenn Christian Wulff Bundespräsident wird, kann die Kanzlerin dies als Stabilisierung ihrer Koalition werten und dies mit einem überfälligen Neuanfang verbinden. Kanzlerin Merkel muss die Kopfpauschale aus dem Verkehr ziehen, die Regulierung der Finanzmärkte vorantreiben und in der Steuerpolitik eine gerechte, intelligente Politik machen. Warum soll man nicht die Mineralöl- und die Tabaksteuer erhöhen und einen Großteil der Ausnahmen bei der Mehrwertsteuer streichen und im Gegenzug bei den mittleren Einkommen die Einkommensteuern senken?

Schafft Merkels Koalition die Legislaturperiode?

Geißler Es kommt jetzt entscheidend auf die Kanzlerin an. Sie muss den Charakter der CDU als Volkspartei bewahren und den Menschen, die in Europa verunsichert sind, eine Perspektive zum Beispiel mit den Inhalten einer internationalen sozialen Marktwirtschaft bieten. Sie ist intelligent und willensstark genug, um eine solche Wende durchzusetzen.

(felt)
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