Linksfraktionschef Dietmar Bartsch "Es ist nicht alles heile Welt, wenn die Linke regiert"

Berlin · Linksfraktionschef Dietmar Bartsch kündigt "Realismus" in der Opposition und die Gründung einer Landesgruppe Ost an.

 Dietmar Bartsch (Archivbild)

Dietmar Bartsch (Archivbild)

Foto: dpa

Als eine Konsequenz aus dem hohen Wahlergebnis der AfD in Ostdeutschland plant die Linksfraktion im Bundestag, nun eine "Landesgruppe Ost" zu gründen. Linksfraktionschef Dietmar Bartsch sagte unserer Redaktion: "Ich habe im Wahlkampf immer wieder gehört: Ihr tut nichts für uns. Ich habe Euch immer gewählt, aber es gibt trotzdem weiter Hartz IV und keine Rentengerechtigkeit. Das sind Protestwähler, die wir nicht mehr an uns binden konnten", erklärte Bartsch. Zum Teil seien die zur AfD übergelaufen. Ihre Sorgen müssten ernstgenommen werden.

Er unterstütze Bestrebungen in seiner Fraktion für eine starke Landesgruppe Ost, sagte Bartsch. Die Linke hat zwar bei der Bundestagswahl mit 9,2 Prozent besser abgeschnitten als 2013 (8,6 Prozent) - aber eben mehrere hunderttausend Wähler an die AfD verloren. Bartsch will mit seiner Amtskollegin Sahra Wagenknecht erneut die Linken-Politikerin Petra Pau als Bundestagsvizepräsidentin vorschlagen, die seit 2006 dieses Amt innehat. Zur Wahl des AfD-Kandidaten Albrecht Glaser zum Bundestagsvizepräsidenten werde Linksfraktion nicht bereit sein. Glaser ist unter anderem gegen die Religionsfreiheit für Muslime.

Die neue Bundesregierung müsse ein Ministerium bilden, das sich speziell um den Osten und die Infrastruktur wie Breitbandausbau und den Ausbau des Verkehrswegenetzes in Richtung Osteuropa kümmert, sagte Bartsch weiter. Kulturell gebe es "die Ostdeutschen" nicht. Aber die Unterschiede zwischen Ost und West seien weiter zu groß, etwa in der Wirtschaftsleistung, bei Löhnen, Rentenwerten. "Es wird ein Tarifvertrag in der Pflege verabschiedet, in dem es unterschiedliche Mindestlöhne in Ost und West gibt. Das heißt, Pflege und Zuneigung im Osten sind weniger wert als im Westen. Das kann einfach nicht sein." Außerdem komme kein Verfassungsrichter aus Ostdeutschland und in elf von 14 Bundesministerien gebe es keinen gebürtigen Ostdeutschen als Abteilungsleiter.

Bartsch warnte vor weiterem Verdruss der Bürger, wenn Union, FDP und Grüne nicht bald zu Sondierungsgesprächen zusammenkämen. "Die sollen gefälligst zügig eine Koalition bilden und nicht so viel schachern. Das geht vielen Menschen jetzt schon auf den Geist. Herr Özdemir lässt sich schon die Anzüge schneidern, die er als Außenminister tragen will, und die FDP die Krawatten für das Finanzministerium aussuchen." Die Menschen erwarteten, dass die Herausforderungen im Land und in Europa angegangen werden.

Die eigene Partei warnte er davor, "Wolkenkuckucksheime und Schlaraffenländer" zu versprechen. "Es ist natürlich nicht so, dass alles heile Welt ist, wenn die Linke regiert. Da gibt es auch Enttäuschungen, und es ist harte Arbeit, Vertrauen wieder zurückzugewinnen."

Die Linke werde konsequenten Realismus mit deutlicher Kritik an der herrschenden Politik verbinden. Über eine Zusammenarbeit mit der SPD in der Opposition müsse man jetzt nicht sprechen. Chancen für rot-rot-grüne Mehrheiten in der vorigen Legislaturperiode habe die SPD nicht genutzt. "Wir würden uns freuen, wenn es ein gemeinsames Agieren geben könnte, aber der Worte sind genug gewechselt. Ich messe das nur noch an Taten." Ob sich SPD und Linke einmal zu einer großen Volkspartei vereinigen werden? Bartsch: "Das werde ich nicht mehr erleben."

(RP)
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