Europäischer Gerichtshof Breites Datensammeln ist illegal
Berlin/Luxemburg · Der EuGH hat eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung gekippt. Die Bundesregierung prüft nun, ob das umstrittene deutsche Gesetz noch einmal geändert werden muss.
Der Europäische Gerichtshof hat weitreichende Vorratsdatenspeicherungen zur Terror-Bekämpfung in EU-Staaten als illegal erklärt. Persönliche Daten von Telefon- und Internetnutzern dürfen demnach nicht allgemein und unterschiedslos gespeichert werden, entschieden die Luxemburger Richter am Mittwoch (C-203/15 und C-698/15) und schoben damit vor allem entsprechenden Gesetzen in Schweden und Großbritannien einen Riegel vor. Die Bundesregierung prüft nun, ob die umstrittene deutsche Vorratsdatenspeicherung von dem Urteil berührt ist.
In einer ersten Reaktion teilte das Bundesjustizministerium mit, das Urteil werde sorgfältig ausgewertet. Man gehe aber davon aus, dass das deutsche Gesetz verfassungs- und europarechtskonform sei. Dieses sieht vor, dass Telekommunikationsanbieter spätestens ab Juli 2017 alle Nutzerdaten bis zu zehn Wochen aufbewahren müssen — unabhängig von Person und Anlass. Bei Anrufen sollen Zeitpunkt und Dauer der Gespräche gespeichert werden, im Internet sollen IP-Adressen sowie Details zu deren Vergabe vorgehalten werden. Der E-Mail-Verkehr ist ausgenommen. Im Kampf gegen Terror und schwere Verbrechen sollen Ermittler auf die Daten zugreifen können.
Die Richter am EuGH betonten, erlaubt sei nur eine gezielte Vorratsdatenspeicherung, die "auf das absolut Notwendige beschränkt ist". So muss die Überwachung auf Personenkreise begrenzt werden, "deren Daten geeignet sind, einen zumindest mittelbaren Zusammenhang mit schweren Straftaten sichtbar zu machen". Der Kampf gegen schwere Kriminalität oder die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit könnten Gründe für die Speicherung der Daten sein. Sie müssten zudem innerhalb der EU gespeichert werden.
Datenschützer, Netzaktivisten und Vertreter aus der Digitalwirtschaft freuten sich über das Urteil und forderten nun Konsequenzen. Auch in Teilen der SPD wird das so gesehen. Vor der Verabschiedung des Gesetzes 2015 hatte es in der Partei heftige Kontroversen zu der Frage gegeben, ob anlassloses Speichern rechtmäßig sei. Nun begrüßte der Vorsitzende der Parlamentarischen Linken in der SPD, Matthias Miersch, das Urteil. "Ich fühle mich in meiner kritischen Haltung gegenüber der anlasslosen Speicherung bestätigt", sagte er unserer Redaktion.
Gerade in diesen Tagen werde wieder in populistischen Forderungen suggeriert, dass man mit mehr Überwachung auch mehr Sicherheit bekäme. "Aber wenn wir unsere Grundwerte aufgeben, haben die anderen sich durchgesetzt", sagte Miersch. Der EuGH zeige Alternativen dazu auf. Miersch sprach sich dafür aus, dass auch seine Partei die in der Vergangenheit heftig geführte Debatte über die Vorratsdatenspeicherung wieder aufnimmt. "Die SPD wird in diesem Rahmen an einem angemessenen Ausgleich zwischen Freiheit und Sicherheit arbeiten", sagte Miersch. Auch der SPD-Netzpolitiker Lars Klingbeil sieht die anlasslose Speicherung kritisch und forderte nun eine sorgfältige Prüfung.
Begeistert über das Urteil zeigte sich Ex-FDP-Innenminister Gerhart Baum. "Damit ist auch die deutsche Regelung erledigt. Das ist ein Sieg für die Bürgerrechte", sagte er auf Anfrage. Es werde künftig nicht mehr erlaubt sein, unterschiedslos Daten aller Bürger zu sammeln. Sorge davor, dass man Terroranschläge künftig noch schwerer verhindern oder aufklären kann als bisher, hat Baum nicht: "Da nutzen die Sicherheitsbehörden ganz andere Methoden. In Frankreich haben wir eine extrem weitgehende Vorratsdatenspeicherung und es gab viel schlimmere Anschläge als in Deutschland", sagte er.
Arnold Plickert, stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und ihr NRW-Chef, begrüßt das Urteil ebenfalls, interpretiert es aber als Möglichkeit, die in Deutschland geltenden Gesetze noch auszuweiten. So lasse das Urteil in seinen Augen auch längere Speicherfristen zu, statt nur zehn Wochen. Aber das Urteil lasse laut Plickert auch das Missverständnis zu, dass nur Daten von bereits vorher bekannten Personen oder Gruppen erfasst werden dürfen. "Das kann man nur so interpretieren, dass zwar Telefondaten aller Bürger gesammelt werden, aber die Auswertung darf nur nach engsten Kriterien stattfinden — beispielsweise alle Smartphones, die am Montag in der Nähe des Anschlages waren", sagte er.