Thomas Oppermann im Interview "Europa braucht Wirtschaftsregierung"

Düsseldorf · Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, hat im Gespräch mit unserer Redaktion ein europäisches Bündnis für Arbeit gefordert, um die hohe Arbeitslosigkeit in vielen Euro-Staaten wirkungsvoller zu bekämpfen.

Thomas Oppermann im Interview: "Europa braucht Wirtschaftsregierung"
Foto: dpa, Tim Brakemeier

Für den parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, werden Fiskalpakt und ESM nicht ausreichen, um den Euro zu retten. Ein europäisches Bündnis für Arbeit und der Mut für ein Komplettumbau der Europäischen Union müssen hinzukommen.

Herr Oppermann, gilt nach dem Erfolg von Hannelore Kraft in NRW der Grundsatz noch, dass derjenige SPD-Kanzlerkandidat wird, der die größten Chancen hat, Angela Merkel zu schlagen?

Oppermann (lacht) Ich ahne, worauf Sie hinaus wollen. Die Chancen unserer Kandidaten werden eine wichtige Rolle bei der Auswahl spielen. Am Ende wird es eine Vertrauensentscheidung sein. Eine Entscheidung darüber, wer uns am besten in den Wahlkampf führen, wer Deutschland am besten regieren und am meisten Vertrauen bei den Menschen gewinnen kann.

Erfolgreiche Wahlkämpfe haben Olaf Scholz, Hannelore Kraft und Torsten Albig geführt, nicht aber Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier oder Peer Steinbrück.

Oppermann Ihre sogar noch unvollständige Aufzählung zeigt, über wie viele absolute Spitzenpolitiker die SPD verfügt. Hannelore Kraft, Torsten Albig und Olaf Scholz regieren ihre Länder sehr kompetent und verantwortungsvoll. Alle drei werden bei der Frage, wer uns als Kanzlerkandidat in den Wahlkampf führt, ein gewichtiges Wort mitreden.

SPD und Grüne setzen fest auf einen Regierungswechsel 2013. Wieso sind Sie so überzeugt, dass es klappt?

Oppermann Es wird immer deutlicher, wie sehr Schwarz-Gelb abgewirtschaftet hat. Merkels Koalition hat keinen Plan gegen die Euro-Krise. Sie verstolpert die Energiewende. Sie führt gespenstische Debatten über ein bildungs- und gleichstellungspolitisch kontraproduktives Betreuungsgeld. Das Chaos ist die einzig verlässliche Konstante dieser Koalition.

Warum machen Sie dann den Plan der Regierung bei der Euro-Rettung mit und stimmen für ESM und Fiskalpakt, wenn sie meinen, der Plan sei gescheitert?

Oppermann ESM und Fiskalpakt helfen uns über die nächsten Monate, aber sie lösen die Euro-Krise nicht. Deshalb haben wir eine Besteuerung der Finanzmärkte durchgesetzt, damit langfristig die Fähigkeit der Euro-Staaten erhöht wird, auf Krisen zu reagieren. Und: Weil jetzt in gefährlicher Weise Schulden- und Konjunkturkrise zusammentreffen, haben wir dafür gesorgt, dass der Fiskalpakt durch ein Wachstumspaket ergänzt wird.

Aber das Wachstumspaket ist doch das Papier nicht wert, auf dem es steht: Mit ein paar Milliarden aus den EU-Strukturfonds werden Sie doch die Rezession in Europa nicht bekämpfen können.

Oppermann Es ist ein Riesenfortschritt, dass wir die Bundeskanzlerin, die anfangs weder Finanzmarktsteuer noch Wachstumsprogramm für notwendig hielt, dazu gebracht haben, unseren Weg zu gehen. Die in dem Paket enthaltene "Jugendgarantie" zum Beispiel verpflichtet die EU-Staaten, den Jugendlichen spätestens vier Monate nach einem Schulabschluss ein Angebot auf einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz zu machen. Wir müssen verhindern, dass eine ganze Generation ihren Glauben an Europa verliert, weil es für sie keine Zukunftsperspektiven gibt.

ESM und Fiskalpakt werden nicht ausreichen, um den Euro am Ende zu retten. Was muss noch geschehen?

Oppermann Sie haben recht: Frau Merkels Strategie des Zeitkaufens durch immer größere Rettungsschirme ist gescheitert. Wir werden den Euro am Ende nicht rein fiskalisch, mit Rettungsprogrammen oder einer Vergemeinschaftung von Schulden retten, sondern nur politisch: Wir brauchen eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzregierung in Europa. Das setzt voraus, dass wir einige Souveränitäts- und Entscheidungsrechte der Mitgliedsstaaten auf die Europäische Union übertragen. Es ist ökonomisch notwendig und politisch richtig, ein entscheidungsfähiges, föderatives Europa auf den Weg zu bringen.

Wäre auch ein europäisches Bündnis für Arbeit auf dem Weg dorthin notwendig?

Oppermann Ja. Ein mit den Partnern in Europa abgestimmtes Bündnis für Arbeit, unterlegt mit dem Wachstumsprogramm und ausgerichtet vor allem auf junge Menschen, wäre jetzt notwendig. Ich hoffe, dass der Wachstumspakt, den der EU-Gipfel am 29. Juni beschließen wird, die Grundlage dafür ist.

Bundespräsident Joachim Gauck will seine Unterschrift unter das ESM-Gesetz erst setzen, wenn es das Bundesverfassungsgericht geprüft hat. Wie angeschlagen ist Frau Merkel dadurch?

Oppermann Frau Merkel trägt jedenfalls die alleinige Verantwortung dafür, dass der ESM nicht rechtzeitig in Kraft treten kann. Wir hätten über den ESM schon vor drei Monaten abstimmen können. Aber weil sich die Koalition auch in dieser Frage nicht einigen konnte, hat die Kanzlerin einen Fahrplan festgelegt, der dem Bundesverfassungsgericht keine Zeit zum prüfen gibt. Das ist völlig unangemessen. Deshalb darf die Kanzlerin sich nicht wundern, wenn sie wieder einmal vom Verfassungsgericht zurecht gewiesen wird.

Macht es Spaß, Zeitpläne der Regierung durcheinander zu bringen? Beim Betreuungsgeld ist es Ihnen ja auch gelungen.

Oppermann Das war ein Akt der politischen Notwehr. Die Koalition wollte das Betreuungsgeld in zwei Wochen durchpeitschen. Das wäre angesichts der Unstimmigkeiten und gesellschaftspolitischen Gefahren des Betreuungsgeldes völlig unangemessen gewesen. Dass sich auch die Abgeordneten aus der Regierungskoalition gegen diesen engen Zeitplan gewehrt haben, kann man daran ablesen, dass über hundert von ihnen bei der Feststellung der Beschlussfähigkeit mit ihrer Abwesenheit still protestiert haben. Es ist gut, dass wir jetzt gründlich über das Betreuungsgeld diskutieren können. Ich wage die Prognose, dass es für die Regierung sehr schwer wird, diese unsinnige Sozialleistung noch durchzusetzen. Zumal die Steuereinnahmen nicht mehr steigen und das Betreuungsgeld auch noch mit Krediten finanziert werden müsste.

Der Bundesfinanzminister legt in dieser Woche den Bundeshaushalt 2013 vor, der erstmals seit der Vor-Krisen-Zeit wieder nahezu ausgeglichen sein wird. Ein Erfolg?

Oppermann Nein. Es ist fatal, dass Schäuble in 2012 trotz der höchsten Steuereinnahmen in der Geschichte der Bundesrepublik die Neuverschuldung verdoppelt. Wir haben in den vergangenen zwei Jahren in Deutschland ökonomisch gesehen in der besten aller Welten gelebt. Wenn nicht einmal in einer solchen Situation der Haushalt ausgeglichen werden kann, wann dann?

Schäuble sagt voraus, 2013 wird es so weit sein. Glauben Sie das?

Oppermann Ein formal ausgeglichener Haushalt ist mit Blick auf die vielen Schattenhaushalte und den enormen Risiken, die sich aus den Euro-Garantien für Deutschland ergeben, noch kein Zeugnis finanzpolitischer Kompetenz. Im Gegenteil: Schäuble frisiert den nächsten Haushalt so, dass er zwar auf dem Papier ausgeglichen, in Wirklichkeit aber wackelig konstruiert ist. In einer Zeit mit Niedrigstzinsen müsste Schäuble eigentlich langfristige Staatsanleihen ausgeben. Statt dessen werden überwiegend Kurzläufer auf den Markt gebracht, weil Schäuble auf kurze Sicht gut da stehen will. Das ist keine solide Haushaltspolitik. Außerdem führt die Regierung auch noch neue Ausgaben wie das Betreuungsgeld ein oder verspricht Steuersenkungen auf Pump.

Herr Oppermann, worauf tippen Sie? Wer wird im Finale der Fußball-EM stehen?

Oppermann Die deutsche Mannschaft hat den besten Trainer, den besten Kader und die besten Fans. Deutschland wird im Finale gegen Spanien stehen - und ich bin optimistisch, dass Deutschland dann auch Europameister wird. "Wenn unsere Mannschaft das Finale erreicht, braucht sie jede Unterstützung. Ich fände ich es gut, wenn Angela Merkel dann nach Kiew fährt. Sie sollte aber nicht ohne Julia Timoschenko zurückkommen."

Birgit Marschall und Gregor Mayntz stellten die Fragen.

(RP/jre/csi/jh-)
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