Finanzminister Schäuble im Interview "Europa wird kein Superstaat"

Finanzminister Wolfgang Schäuble spricht im Interview mit unserer Redaktion über die Berliner Pläne zur Weiterentwicklung Europas, den schweren Weg aus der Krise, die Vorschläge des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück und seine ganz persönlichen Karriereträume.

Karlspreis 2012 für Wolfgang Schäuble
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Foto: dapd, Martin Meissner

Herr Schäuble, Helmut Schmidt glaubt nicht, dass es den europäischen Nationalstaaten noch in diesem Jahrhundert gelingen wird, sich zu einem übernationalen Staatenbund zu vereinigen. Sind Sie optimistischer?

Schäuble: Ich bin generell optimistisch. Das 21. Jahrhundert hat ja gerade erst angefangen. Die Bindung der Menschen an ihre nationalen Verfassungen wird noch lange wichtig bleiben in Europa und Europa steht ja auch für Vielfalt. Aber der Nationalstaat wird nicht mehr die alleinige Regelungsebene sein. Die europäischen Staaten werden weiter zusammenrücken. Schritt für Schritt. Aus meiner Sicht ist das unvermeidlich. Bestimmte Dinge wie beispielsweise ganz aktuell die Finanzmarktregulierung und die Fiskalpolitik können wir nicht mehr wirkungsvoll national entscheiden. Der europäische Einigungsprozess wird nie fertig sein. Die Europäische Währungsunion ist mit all ihren Schwächen aber auch Stärken ein gutes Beispiel dafür. Nichts ist perfekt. Deshalb werden immer wieder neue Fragestellungen auftauchen, gelöst werden und damit Europa verändern.

Ihre Vision von Europa ist die eines sich immer neu definierenden Gebildes?

Schäuble: Was wir jetzt brauchen ist die Stärkung der Institutionen, also der EU-Kommission, des EU-Ministerrats und des EU-Parlaments. Schrittweise werden die Nationalstaaten immer mehr Aufgaben an die europäischen Institutionen abgeben. Europa wird kein Superstaat sondern eine ganz moderne Form von Regierungsform, bei der die Kompetenzen da liegen, wo sie am effizientesten einzusetzen sind: je nachdem werden das die Kommunen, Regionen, Nationalstaaten und eben die EU-Ebene sein.

Sie gelten nicht als besonders geduldig. Derzeit erleben wir, dass Großbritannien sich aus der EU zurückzieht, Griechenland Verabredungen nicht einhält, Frankreich und Deutschland nicht immer einer Meinung sind. Verlieren Sie manchmal die Geduld mit Europa?

Schäuble: Ich bin gerade 70 geworden. Da ist man gelassener und entspannter. Machen Sie sich da mal keine Sorgen. Ich will aber immer noch die Dinge voranbringen. Und ein bisschen Druck durch die Krise hilft da schon — anders ist das in der Politik oft nicht möglich.

Sie haben die Direktwahl des EU-Ratspräsidenten empfohlen. Könnte sie schon 2014 bei der nächsten Europawahl Realität werden?

Schäuble: Je früher desto besser. Manchmal gehen die Dinge schneller als man glaubt. Die Europawahl 2014 wäre ein guter Zeitpunkt. Die integrative Wirkung der Direktwahl einer Persönlichkeit zum EU-Ratspräsidenten würde Europa sehr voranbringen. Und ich wiederhole: Gleichzeitig muss das EU-Parlament eine stärkere und einflussreichere Rolle bekommen.

Ihnen schwebt auch die Stärkung des EU-Währungskommissars vor, der zu einer Art EU-Finanzminister aufgewertet werden soll. Werden die Staats- und Regierungschefs das schon auf ihrem Dezember-Gipfel beschließen?

Schäuble: Ich hoffe das. Die Bundeskanzlerin unterstützt diesen Vorschlag und hat die Vorteile in ihrer Regierungserklärung ja auch präzise beschrieben. Man muss der EU-Kommission mehr Möglichkeiten geben, dafür zu sorgen, dass die Mitgliedsstaaten die verabredeten Haushaltsregeln einhalten. Wir brauchen eine Institution, die die Einhaltung der Regeln überwacht. Ich wundere mich, dass das auf Widerstand stößt. Europa beruht auf dem Prinzip der Herrschaft des Rechts. Wenn wir Verträge machen, müssen sie auch gelten und überwacht werden.

Was für Sanktionsmöglichkeiten hätte der Spar-Kommissar?

Schäuble: Wenn der Währungskommissar einen Verstoß des EU-Rechts feststellen würde, dürfte ein nationaler Haushalt gar nicht erst in Kraft treten. Das betroffene Land könnte dann noch vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. Für solche Fälle müßte man eine Regelung des vorläufigen Haushaltsrechts einführen.

Macht Frankreich da mit?

Schäuble: Warum nicht? Mein französischer Amtskollege Pierre Moscovici hat sehr nachdrücklich gesagt, dass Frankreich seine Verpflichtungen erfüllen werde. Dann ist es doch nur folgerichtig zu sagen: alle müssen ihre Verpflichtungen erfüllen. Darum geht es jetzt im Übrigen auch in Griechenland.

Die Achillesferse Europas. Die Reformen sind immer noch nicht umgesetzt, die Wirtschaft bricht ein. Warum wollen Sie Athen trotzdem mehr Zeit geben?

Schäuble: Wir warten den Bericht der Troika ab, dann entscheiden wir. Aber die Verschlechterung der wirtschaftlichen Entwicklung in Griechenland und der durch zwei Wahlen entstandene Zeitverzug sind eine Tatsache, an der wir nicht vorbeikommen. Nun muss die Troika mit Griechenland einen Weg finden, wie die Reformen umgesetzt und die vereinbarten Reformziele eingehalten werden können. Dass dieser Weg hart wird für Griechenland, wissen wir. Das ist aber kein böser Wille oder ein Mangel an Großzügigkeit. Man kann die Probleme nur bekämpfen, wenn man an die Ursachen rangeht.

Warum sagen Sie den Bundesbürgern nicht ehrlich, die Griechenland-Rettung wird noch Jahre dauern und mehr Geld kosten?

Schäuble: Nochmal: Die europäische Einigung ist ein Prozess. Niemand kann den Lauf der Geschichte exakt vorhersagen. Auch der Finanzminister nicht. Es bleibt dabei: Griechenland muss seine Verpflichtungen erfüllen. Wir können über zeitliche Streckungen der Programme reden, wenn sie Sinn machen und dazu beitragen, das Vertrauen in Griechenland zu stärken, aber die Anstrengungen und Reformen, um im Euro zu bleiben, muss Griechenland selbst umsetzen. Der Druck bleibt.

Auf dem Tisch liegt der Vorschlag eines Anleiherückkaufs durch die griechische Regierung mit Hilfe der EZB. Was wäre der Charme?

Schäuble: Die Überlegung liegt nahe. Wenn man die Anleihen, die zurzeit auf den Märkten sind, zu einem günstigen Kurs zurückkaufen könnte, könnte Griechenland mit begrenzten Mitteln eine Reduzierung der Schuldenlast erreichen. Man muss allerdings dazu wissen, dass der Spielraum dafür durch den Schuldenschnitt letztes Jahr begrenzt ist. Außerdem bräuchte man dazu jetzt zusätzliches Geld.

Das Geld bekäme Griechenland aus dem Euro-Rettungsschirm ESM. Auch dafür bräuchten Sie wieder eine Mehrheit im Bundestag.

Schäuble: Alles, was aus dem ESM freigegeben wird, muss der Bundestag beschließen. Ich sehe nicht, daß wir ein Ergebnis der Troika bekommen, mit dem wir nicht in den Bundestag müssen.

Und da haben Sie dann eine eigene Mehrheit der Koalitionsparteien?

Schäuble: Ich bin ziemlich zuversichtlich, dass die Bundesregierung im Bundestag die notwendige Mehrheit bekommt.

Schließen Sie einen Schuldenerlass der öffentlichen Gläubiger aus?

Schäuble: In den meisten europäischen Ländern ist das haushaltsrechtlich nicht möglich. Die Ablehnung eines Schuldenschnitts durch die öffentliche Hand ist kein spezifisch deutsches Problem. Einem Schuldner, von dem man weiß, dass er seine Schulden nicht bezahlen kann, dem kann man keine neuen Garantien oder Kreditbürgschaften geben.

Sie sind am Sonntag beim Koalitionsausschuss nicht dabei, weil Sie zum G20-Finanzministertreffen nach Mexiko reisen. Ist das ein schlechtes Omen für die deutschen Steuerzahler?

Schäuble: Nein. Im Koalitionsausschuss wird nichts Finanzwirksames beschlossen, das nicht vorher mit dem Finanzminister abgestimmt ist. Und so ist es auch dieses Mal.

Wie viel müssen Sie einsparen, um das neue Koalitionsziel erfüllen zu können, dass der Bundesetat 2014 strukturell ausgeglichen sein wird?

Schäuble: Wir müssen die Neuverschuldung 2014 gegenüber der bisherigen Planung um bis zu drei Prozent des Haushaltsvolumens reduzieren. Die Rückführung des strukturellen Defizits auf Null im Jahr 2014 ist ambitioniert, aber machbar, da bin ich mir mit Wirtschaftsminister Philipp Rösler einig.

Ihr Vorgänger, Peer Steinbrück, würde das strukturelle Defizit lieber beseitigen, indem die Steuern erhöht werden.

Schäuble: Früher hat Steinbrück mehr Wert auf ökonomische Seriosität gelegt. Als Kanzlerkandidat vertritt er jetzt das Gegenteil dessen, was er früher als Finanzminister vertreten hat. Vielleicht kann er diesen Widerspruch ja noch im Laufe des Wahlkampfs auflösen.

Am Montag nach dem Koalitionsausschuss wird es doch so aussehen: Die FDP bekommt etwas, die CSU auch. Und die CDU hat ihre Ruhe?

Schäuble (lächelt): Unsere Entscheidungen in der Koalition gehen nicht so: Du eins, Du eins und ich das. Wir ringen miteinander um die richtigen politische Lösungen. In manchen Fragen haben CDU, CSU und FDP nun mal unterschiedliche Auffassungen. Da muss man sich zusammenraufen. Das ist nichts schlechtes, sondern das gehört zur Demokratie. Man darf Kompromisse per se nicht diskreditieren. Ohne Kompromiss geht Demokratie nicht.

Herr Minister, Sie sind 70 Jahre alt, dienstältester Abgeordneter im Bundestag und werden bei der Bundestagswahl 2013 wieder kandidieren. Welches Amt streben Sie in der nächsten Legislaturperiode an?

Schäuble: Bundestagsabgeordneter! Alles Weitere sehen wir nach der Wahl.

Sie haben keinen persönlichen Karrieretraum mehr?

Schäuble: Träume schon. Dazu kann ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen. Vor zwei Wochen habe ich zu dem finnischen Obernsänger Matti Salminen gesagt, dass ich sehr gerne mal Beethovens einzige Oper "Fidelio" inszenieren würde. Das war natürlich nicht ernst gemeint. Aber wenn ich ihn wirklich inszenieren könnte, dann wäre für mich die zentrale Figur die Rolle des "Rocco". Matti Salminen hat sofort verstanden, was ich gemeint habe, weil er der beste lebende Sänger der Partie des "Rocco" im "Fidelio" ist.

(brö/mar)
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