Kampf gegen Kinderpornographie Experten zweifeln an Internet-Sperren

Düsseldorf (RPO). Die Zensur der Kinderpornographie im Netz ist ein sensibles Thema, das stark polarisiert. Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) unterzeichnete heute medienwirksam eine Vereinbarung mit den Internet-Providern, die sich verpflichten, den Zugang zu Kinderpornographie zu erschweren. Ob die Maßnahme der richtige Weg ist, daran haben viele Zweifel.

Internet: In diesen Ländern wird zensiert
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Fünf deutsche Internetanbieter unterzeichneten heute die Erklärung: Deutsche Telekom, Vodafone/Arcor, Alice/Hansanet, Kabel Deutschland und Telefonica/O2. Insgesamt decken sie 75 Prozent des Marktes ab. Ohne gesetzliche Grundlage verpflichten sie sich freiwillig, bestimmte Internetseiten für die Nutzer zu sperren. Dabei soll es es sich um Seiten handeln, auf denen kinderpornographisches Material zu sehen ist. Statt der betreffenden Seiten sollen die Nutzer ein rotes Stoppschild zu Gesicht bekommen.

Welche Seiten dabei gesperrt werden sollen, legt das Bundeskriminalamt (BKA) fest. Es soll rund 1.000 Internet-Adressen in einer täglich aktualisierten "schwarzen Liste" sammeln. Schweden und Norwegen haben solche Maßnahmen bereits beschlossen.

Ob die Maßnahme für die Bekämpfung für Kinderpornografie im Netz tatsächlich wirksam ist, daran gibt es Zweifel. Nach einer Studie der Computerzeitschrift "c't" hat sich die kriminelle Szene längst aus dem öffentlich sichtbaren Netz verabschiedet — und tauscht das Material lieber in nicht zugänglichen Bereichen des Netzes. Das Bundesfamilienministerin bestreitet das.

Die Maßnahme ließe sich außerdem sehr leicht umgehen, kritisiert der Chaos Computer Club. Die Seiten sollen über die Namensauflösung der Domains gesperrt werden. Das lässt sich relativ einfach durch die Eintragung eines alternativen DNS-Servers umgehen, der nicht vom jeweiligen Provider stammt. Im Internet gibt es lange Liste von alternativen DNS-Providern. "Es handelt sich tatsächlich nicht um eine Sperrung im Wortsinn, sondern lediglich um eine Zugangserschwerung. Diese ist leicht zu umgehen, und gerade bei regelmäßig klandestin agierenden Konsumenten von Kinderpornographie wird daher diese 'Sperre' nichts bringen", kritisierte CCC-Sprecherin Constanze Kurz im Gespräch mit unserer Redaktion.

Doch der CCC kritisiert die Maßnahme auch grundsätzlich: "Unsere grundsätzliche Kritik bezieht sich auf die mit der Sperrung einhergehende grundlegende Einschränkung von Freiheitsrechten, da die Zensurliste unter ausgesprochen fragwürdigen Umständen zustande kommen soll", so Kurz. "Dass tatsächlich ausschließlich Webseiten mit kinderpornographischen Inhalten auf dieser geheimen Liste stehen werden, halten wir für ausgeschlossen", so die CCC-Sprecherin — das zeige das Beispiel Australien.

Wirbel um australische Zensur-Liste

Die Website "Wikileaks.org" hatte eine Liste von Seiten veröffentlicht, die angeblich nach Plänen der australischen Behörde ACMA gesperrt werden sollte. Darauf befanden sich neben Seiten mit kinderpornographischen Material auch Websites mit politischen Inhalten. Selbst die Bundesregierung schließt offenbar nicht aus, dass auch legale Inhalte auf die Sperrliste geraten könnten. Nach einem Bericht der "Berliner Zeitung" von vergangener Woche heißt es in einem Arbeitsentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums zu einem Gesetz werde festgehalten, dass die Diensteanbieter keine Schuld treffe, wenn auch Seiten gesperrt würden, die keine Kinderpornografie enthalten. Die Haftung für solche Fälle übernehme das BKA. Die Kosten aus möglichen Schadenersatzansprüchen seien noch nicht abzuschätzen.

Die FDP meldete daher auch grundsätzliche Bedenken gegen den Entwurf an. "Ein solches Gesetz öffnet einer generellen Zensur im Internet Tür und Tor", sagte die innenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Gisela Piltz, dem Blatt. Sie halte die vorgesehenen Regeln für nicht verhältnismäßig, zumal legale Angebote betroffen sein könnten.

Proteste in Berlin

Der CCC hat für heute eine Protestkundgebung in Berlin gegen "Zensursula" organisiert, wie sie die Ministerin polemisch nennen. Mit plakativen Parolen wie "Von Laien regiert" protestieren sie gegen die aus ihrer Sicht sinnlose Zensur-Maßnahme.

Die Hacker werfen der Ministerin vor, die Provider zu erpressen, "um nicht in einem Atemzug mit Kinderschändern erwähnt zu werden". Statt Sperrlisten fordern sie eine bessere Ausstattung der Ermittler, um effektiv gegen die Produzenten von Kinderpornografie vorzugehen: "Statt also Beamte los zuschicken, welche die Straftäter festsetzen, wird die Webseite auf die Sperrliste gesetzt. Unsinniger könnte eine Maßnahme gegen solch abstoßendes Material kaum sein, die sich ausschließlich gegen Konsumenten, nicht aber gegen die Produzenten und Serverbetreiber richtet", kritisiert CCC-Sprecherin Kurz. Die Wurzel des Problems würde so nicht angepackt.

Das Bundesfamilienministerin wehrt sich gegen die Vorwürfe. Die Sperrung diene auch der Prävention: "Kinderpornographische Bilder im Internet werden gezielt eingesetzt, um potentielle neue 'Kunden' zu werben, Hemmschwellen abzubauen und die Nachfrage systematisch nach immer brutaleren Bildern anzuheizen", argumentiert der stellvertretene Pressesprecher Jens Flosdorff gegenüber unserer Redaktion.

Verfassungsrechtliche Bedenken

Nicht alle Internetprovider haben sich überzeugen lassen: Die 1&1 Internet AG, Versatel und Freenet verweigert sich der freiwilligen Unterzeichnung und fordert eine gesetzliche Regelung. Eine derart tief greifenden Eingriff in ein Grundrecht — die vom Grundgesetz garantierte Informationsfreiheit — erfordere dringend eine gesetzliche Grundlage, argumentiert auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD). Verträge zwischen Providern und Ministerin ohne gesetzliche Grundlage, könne sie nicht mittragen, schrieb sie ihrer Kollegin von der Leyen.

Michael Rotert, Vorstandsvorsitzender von des deutsche Verbands der Internetwirtschaft Eco, mahnte am Freitag eine gesetzliche Grundlage an: "Damit die Unternehmen Rechts- und Planungssicherheit haben, muss das Gesetzesvorhaben noch in dieser Legislaturperiode abgeschlossen werden", drängte er die Ministerin.

Auch der Chef des Internetanbieters 1&1, Robert Hoffmann, wirft der Ministerin laut "Handelsblatt" indirekt vor, die Sperrung für Wahlkampfzwecke zu missbrauchen: 1&1 habe von der Leyen Ende März schriftlich angeboten, die Vereinbarung zu unterschreiben, wenn diese einen Gesetzesvorbehalt enthalte, berichtet die Zeitung. Von der Leyen habe immer versichert, dass sich die Regierung in der Pflicht sehe, das Gesetz zu ändern. Nun verlange sie jedoch eine Unterschrift ohne Gesetzesvorbehalt, heißt es laut dem Bericht in dem Brief.

Danach kündigte Ursula von der Leyen an die drei Provider seien aus den Verhandlungen ausgestiegen und unterzeichnete heute medienwirksam den Vertrag mit den andere fünf Anbietern. Am Ende würden aber ohnehin alle Provider ungefähr gleichzeitig die Sperren umsetzen, zitiert das "Handelsblatt" einen 1&1-Sprecher, da die Umsetzung der Sperren aufrgund technisch notwendiger Umstellungen Monate dauere.

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