Innenleben der Bundeswehr Ministerin von der Leyen hat viele Baustellen

Berlin · Das Doppelleben des Oberleutnant Franco A. als Schein-Asylant und mutmaßlicher Rechtsterrorist hat eine schlagzeilenträchtige Debatte über das Innenleben der Bundeswehr ausgelöst. Nun geht es um die Konsequenzen.

 Ein Offizier unter Terror-Verdacht, Wehrmacht-Fans und 1000 Schuss Munition, die fehlen: Ursula von der Leyen muss eine Reihe offener Fragen klären.

Ein Offizier unter Terror-Verdacht, Wehrmacht-Fans und 1000 Schuss Munition, die fehlen: Ursula von der Leyen muss eine Reihe offener Fragen klären.

Foto: dpa, fis vge tba

Am Ende einer Woche mit sich überstürzenden Nachrichten über einen Bundeswehroffizier unter Terrorverdacht und einer Verteidigungsministerin im Konflikt mit der eigenen Truppe stellen sich Fragen nach der Zukunft der Bundeswehr und wie sie aus den Problemen wieder herauskommt.

Hat die Justiz die Pläne von Oberleutnant Franco A. vereitelt?

Ja. Der 28-Jährige sitzt in Haft. Der Generalbundesanwalt hat den Fall übernommen und klärt mit dem Bundeskriminalamt, gegen wen A. Anschläge plante, wie er vorgehen wollte und welche Vorbereitungen er mit möglichen Komplizen bereits getroffen hatte. Durchsuchungen liefen auch bei diesen, dabei wurden rund 1000 Schuss Munition für Pistole, Gewehr und Maschinengewehr sichergestellt.

Was ist mit seinem Asylverfahren?

Er muss die als falscher syrischer Flüchtling erhaltenen Sozialleistungen zurückerstatten. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat die an seinem Verfahren beteiligten Dolmetscher suspendiert, denn der angebliche Syrer sprach kein Wort Arabisch. Sämtliche Fälle der an A.s Verfahren beteiligten Entscheider werden neu aufgerollt, dazu stichprobenartig weitere Verfahren zum selben Zeitraum.

Wie geht die Bundeswehr mit dem Einzelfall um?

Wegen der strafrechtlichen zivilen Ermittlungen läuft das disziplinarrechtliche Verfahren nachrangig. Warm anziehen müssen sich jedenfalls der Rechtsberater, der seinerzeit die Empfehlung gab, Franco A. die Masterarbeit überarbeiten zu lassen, obwohl sie eindeutig rassistisch und völkisch war, und der Chef des Streitkräfteamtes, der dieser Empfehlung folgte, es bei einer Ermahnung beließ und nicht einmal einen Vermerk in der Personalakte oder eine Meldung an den Militärischen Abschirmdienst veranlasste.

Was ist mit den weiteren Verfehlungen im Umfeld?

Derzeit versucht der Heeresinspekteur genau nachzuvollziehen, wie die 1000 Schuss Munition unterschlagen wurden, wer daran beteiligt war und welche Sicherungssysteme versagt haben. Die in A.s Einheit in Illkirch entdeckten Wehrmachtsdevotionalien müssen mit den seit 2010 dafür Verantwortlichen aufgeklärt werden.

Wird das Meldewesen umgekrempelt?

Die Verteidigungsminister beklagen sich immer wieder, dass Schilderungen von unten nach oben "geschönt" werden oder völlig versanden. Die Bundeswehr ist jedoch stolz darauf, dass ihre "Auftragstaktik" der "Befehlstaktik" anderer Armeen überlegen sei, weil damit den untersten Ebenen genügend Flexibilität gelassen werde, um Kleinigkeiten selbst zu entscheiden, und den Führungsebenen mehr Zeit für die wichtigeren Entscheidungen bleibe. Es wird jedoch nötig sein, die Sensibilität für nach oben zu meldende Ereignisse zu schärfen. Der Fall Franco A. ist dafür nur bedingt geeignet. Die örtlichen und fachlichen Vorgesetzten waren sensibel genug, das dem Streitkräfteamt zu überlassen.

Wie lassen sich die Missstände wirklich abstellen?

Bekanntlich stinkt der Fisch vom Kopf. Daher war es richtig, dass Verteidigungsministerin von der Leyen 100 Generale und Admirale zum Gespräch ins Ministerium einbestellte. Nur wenn die obere Führungsebene bereit ist, Verstöße gegen die Menschenwürde, gegen die sexuelle Selbstbestimmung und rechtsradikale Tendenzen konsequent zu ahnden, kann die Botschaft, dass solche Umtriebe nicht Teil der Bundeswehr sein dürfen, auch auf den unteren Ebenen ankommen. Dementsprechend klar ging es hinter den verschlossenen Türen zur Sache. Konkret vereinbarten die Militärs, ihre Führungsstruktur auf den Prüfstand zu stellen und das Disziplinarrecht zu reformieren, um schneller und transparenter auf Fehlverhalten reagieren zu können.

Wie groß ist das Potenzial von Rechtsextremisten in der Truppe?

Der Zentralrat der Juden hat die "Sorge, dass Franco A, kein Einzelfall ist, sondern möglicherweise die Spitze eines Eisbergs". Zentralratsvorsitzender Josef Schuster verweist auf eine Umfrage des Ministeriums von 2007, wonach sich vier Prozent der befragten Soldaten vorstellen konnten, rechtsextremistische Parteien wie NPD oder DVU zu wählen. Eigentlich sei zu erwarten, dass die Bundeswehr ein Auge darauf habe, wen sie als Soldaten verpflichtet. "Jeder Beamte wird auf seine Verfassungstreue überprüft, vielleicht muss sich auch die Bundeswehr intensiver um diesen Nachweis kümmern", so Schuster.

Ist die Rückkehr zur Wehrpflicht eine Chance?

Zumindest müsste eine Berufsarmee die Vorzüge der Wehrpflichtarmee bei der Aufsicht der jungen Männer imitieren. Viele Auswüchse hängen nach Einschätzung des Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels auch damit zusammen, dass anders als früher die Mannschaftsdienstgrade abends alleine in den Kasernen seien. Die bessere Auswahlmöglichkeit qualifizierten Nachwuchses ist ein bleibendes Argument. Allerdings: A. startete 2008 auch als Wehrpflichtiger bei der Bundeswehr.

Kann "Korpsgeist" noch ein Argument für den Zusammenhalt sein?

Den Verantwortlichen dämmert, dass in den Stuben vielfach ein falsch verstandener Korpsgeist herrscht. Perverse und brutale Rituale für Neulinge und sexuelle Übergriffe zählen zu nicht tolerierbarem Fehlverhalten. Wer einem Kameraden hilft, der vorübergehend eine Anforderung nicht erfüllt, stärkt bestimmt den Zusammenhalt. Doch wer schlimme Verfehlungen nicht weitermeldet, der sorgt für Zersetzung. Die Bundeswehr wird ihre Ausbilder künftig so schulen müssen, dass sie diesen Unterschied vermitteln. Es geht darum, in der Struktur von Befehl und Gehorsam den gesunden Menschenverstand wachzuhalten. Wenn das gelingt, dann kann Korpsgeist sehr positiv sein.

(may-)
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