Analyse Familie als Luxus

Düsseldorf · Während Kinder früher Alterssicherung bedeuteten, werden sie heute oftmals als Erlebnis betrachtet, das man sich leistet oder nicht. Dabei ist Familie ein ganz eigenes Universum - in einer zunehmend ungreifbaren Welt.

Analyse: Familie als Luxus
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Wer Ende 20 ist und keine Kinder hat, der kann jede Nacht durch- und jeden Morgen ausschlafen. Er kann verreisen, wann und wohin und so lange er will - und sich denken: Das könnte ewig so weitergehen. Es sei denn, er möchte eine Familie gründen, Mutter oder Vater werden, dem Eltern-Dasein frönen. Doch Kinderkriegen bedeutet auch: viel Verantwortung, Autonomieverlust, Jobängste.

Immer mehr Menschen sagen, dass Kind und Karriere sich nicht vereinbaren lassen. Zumindest nicht so, wie sie es gerne hätten: Richtig viel Zeit mit den Kleinen verbringen, gleichzeitig jedes Jahr ein bisschen mehr verdienen, sich mehr verwirklichen. Während Kinder früher Alterssicherung bedeuteten, werden sie heute oftmals als Erlebnis betrachtet, das man sich (natürlich mit dem richtigen Partner an der Seite) leistet oder nicht. Dabei erlaubte die Einführung der Pille Anfang der 60er Jahre eine viel bewusstere Wahl für oder gegen Kinder. Heute entscheiden sich Paare so häufig für Nachwuchs wie für ein Auto, eine Weltreise oder ein Eigenheim. Familie und Kinder sind plötzlich optional geworden.

Die Folge ist schon heute statistisch belegt: Nach Berechnungen einer Studie des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts hat Deutschland die niedrigste Geburtenrate der Welt - noch hinter Japan. In den Jahren 2009 bis 2013 betrug die sogenannte Bruttogeburtenziffer demnach 8,28 Geburten je 1000 Einwohner, Japan kommt auf einen Wert von 8,36.

Dabei ist Familie ein ganz eigenes Universum, ein sozialer Raum. Ist dieser einigermaßen intakt, kann sich jeder angemessen entwickeln und wachsen; kann Geborgenheit, Vertrauen, Nähe und Intimität erfahren. Familie ist auch eine Antwort auf die Globalisierung, es ist die kleinste regionale Einheit. Mit dem Rekurs auf sie beruft man sich wieder auf das Körperliche, das Sichtbare, das Verwandte - in einer zunehmend körperfernen, ungreifbaren Welt.

Und trotzdem gibt es sie: Junge Frauen aus der Mitte der Gesellschaft, die in Panik verfallen, weil sie sich nicht vorstellen können, wie sie das schaffen sollen: ein Kind haben, einen Job ausüben und nicht unter die Räder kommen . Und das in einem der reichsten und sichersten Länder der Erde, mit einem Sozialstaat, der Betreuungsgeld, Kindergeld, Elterngeld bereitstellt - alles Wohltaten, von denen drei Viertel der Menschheit noch nie etwas gehört haben.

Unbestritten ist, dass die Bildungsexpansion und die damit einhergehende lange Studiums- und Ausbildungszeit zur Folge hat, dass sich die Jugend verlängert, dass sich der Eintritt in die Phase der Verantwortlichkeit auf einen späteren Zeitpunkt verlagert. Auch deshalb sagen viele "Bald-Eltern" , dass die Politiker bessere Bedingungen schaffen sollen - also noch mehr Kindergeld, noch mehr Home-Office, noch mehr Kita-Plätze. Dem Familienreport aus dem Jahr 2013 können sich darauf mehr als 90 Prozent der Deutschen einigen. Noch dazu wollen viele Frauen keine Mütter sein, die das gerahmte Bild von Mann und Kindern auf dem Schreibtisch im Büro stehen haben, weil sie ihre Familie so selten zu Gesicht bekommen.

Viel zu tun also für unsere Bundeskanzlerin. Eine Frau. Kinderlos. Angela Merkel (CDU) regiert mit größtmöglicher Anzugneutralität und fast schon minimaler Fraulichkeit. Das ist, was ein starkes weibliches Rollenmodell in Deutschland ausmacht. Und was - verrückterweise - "Mutti" genannt wird.

Dabei sind berufstätige Frauen inzwischen das vorherrschende Rollenideal. 76 Prozent der Männer können sich eine Frau, die nicht berufstätig ist, nicht an ihrer Seite nicht vorstellen. Das ergab eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Auch deshalb darf es nicht falsch sein, wenn eine Frau für sich entscheidet, dass sie nach der Geburt so schnell wie möglich arbeiten möchte. Es darf aber ebenso wenig falsch sein, wenn eine Frau sich entschließt, nach der Geburt längere Zeit zu Hause zu bleiben, wenn die finanziellen Möglichkeiten es erlauben. Oder wenn das ein Mann tut, was statistisch gesehen recht unwahrscheinlich ist. Inzwischen nimmt jeder dritte Vater Elternzeit - in der Regel allerdings nicht länger als zwei Monate, was auch zeigt, welches Männerbild in Deutschland immer noch vorherrscht: Der Mann muss arbeiten, aufsteigen und funktionieren - außerdem noch, so viel es geht, Vater sein. Die prinzipielle Bereitschaft einiger Männer, sich auf ihre Kinder einzulassen, hat zugenommen. Das ist gut für das gesellschaftliche Klima.

Dennoch nehmen fast 90 Prozent aller Väter die alte Arbeit uneingeschränkt wieder auf. Damit wird die männliche Beschäftigungsquote vor der Geburt auch hinterher nahezu wieder erreicht. Das Leben der Mütter wurde hingegen binnen eines Jahres auf den Kopf gestellt: Während 55 Prozent von ihnen vor dem ersten Kind in Vollzeit beschäftigt waren, rutscht die Quote danach in den Keller. Nur 14 Prozent kehren in die Vollbeschäftigung zurück; nach zwei Kindern sind es nur noch sechs Prozent. Auch das ergab die Berliner Studie.

In einem Haushalt, in dem niemand mehr eine Hausfrau ist, muss die Arbeit trotzdem erledigt werden. Nur von wem? Die Statistik zeigt: Auch bei Paaren, bei denen beide Vollzeit arbeiten, übernimmt die Partnerin den größeren Teil der Familienarbeit. Das geben die Männer laut einer Studie zum Thema Gleichberechtigung des Allensbach-Instituts offen zu. Mehr als 60 Prozent der 2014 befragten Männer glauben, dass Frauen für Hausarbeit ein besonderes Talent besäßen, und über 80 Prozent der 18- bis 44-Jährigen meinen, sie könnten besonders gut bügeln.

Frauen würden am liebsten alles können: Kinder erziehen, jobben, haushalten. Wenn man sie fragt, wie sie das schaffen wollen, heißt es oft: Das weiß ich nicht. Schlimm? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Und wenn ein Kind da ist, verblasst die Gespensterschar verpasster Möglichkeiten hoffentlich schnell.

(RP)
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