Lehrerverband fordert neue Stellen 300.000 Schüler mehr durch Flucht

Berlin · Die Schulen stehen bei der Integration von Flüchtlingen vor einer Mammutaufgabe. Experten schlagen Alarm, der Lehrerverband fordert 25.000 neue Stellen. Die Bildungsminister geben sich optimistisch.

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Foto: dpa, fg nic

Mehr als 965.000 Flüchtlinge sind seit Januar nach Deutschland gekommen, die Millionenschwelle könnte bis Jahresende überschritten sein. Das geht aus neuen Daten des Bundesinnenministeriums hervor. Für die Schulen in der Bundesrepublik bedeutet das einen Kraftakt bei der Integration. Schätzungen, die auf der Altersstruktur der Flüchtlinge beruhen, gehen von 300.000 schulpflichtigen Kindern aus. Bildungsexperten schlagen Alarm, der Lehrerverband spricht von "restloser Überforderung". Es fehle an geeignetem Personal, um die Schüler vor allem im Fach Deutsch zu unterrichten.

"Allein für die Flüchtlingskinder, die in diesem Jahr in Deutschland angekommen sind, benötigen wir mindestens 20.000 Lehrer zusätzlich", sagte der Vorsitzende des Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger. Die Chefin der Lehrergewerkschaft GEW, Marlis Tepe, spricht von 25.000 neuen Stellen. Die große Zahl der Schüler werde aber erst im nächsten Jahr oder 2017 in den Schulen ankommen, so Meidinger. Er rechne damit, dass sich spätestens in der zweiten Hälfte des Jahres 2016 Lehrermangel bemerkbar machen werde, und hält die Zahl von 300.000 sogar für zu niedrig angesetzt. "Sie war auf der Basis berechnet, dass in diesem Jahr 850.000 Flüchtlinge kommen", sagte Meidinger. Bei einer Million Flüchtlinge in diesem Jahr müsse man sogar von 350.000 Kindern ausgehen, die in Deutschland eine Schule besuchen werden.

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Foto: dpa, rwe jai

Mit dieser Entwicklung beschäftigen sich längst auch die Bildungsministerien der Länder. In Bayern, das die größte Last der Flüchtlingsmigration trägt, rechnet man im Kultusministerium zu Beginn des neuen Jahres mit rund 60.000 schul- und berufsschulpflichtigen Kindern und Jugendlichen. Derzeit gebe es rund 530 Übergangsklassen, in denen Asylbewerber im Fach Deutsch unterrichtet werden, sowie 450 Berufsintegrationsklassen. Der bayerische Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) kündigte an, im Nachtragshaushalt "eine hohe dreistellige Millionensumme" 2016 zusätzlich zur Verfügung zu stellen. So solle die Zahl der Übergangsklassen und Berufsintegrationsklassen verdreifacht werden.

Philologen-Chef Meidinger sagte, dass zuerst die Berufsschulen sowie Grund- und Hauptschulen nachgefragt würden. "Sollten im kommenden Jahr abermals 150.000 Flüchtlingskinder nach Deutschland kommen, müssten weitere 10.000 Lehrer zusätzlich eingestellt werden, um das Lehrer-Schüler-Verhältnis von 1:15 beizubehalten", forderte er.

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Foto: Endermann, Andreas

In NRW spricht Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) von nachvollziehbaren Sorgen. In diesem Jahr rechne man mit 40.000 Flüchtlingskindern im schulpflichtigen Alter, ebenso viele werden für 2016 erwartet. Die Landesregierung habe in diesem und im nächsten Jahr 5.766 zusätzliche Lehrerstellen geschaffen. Außerdem komme dem Land zugute, dass es in der Lehrerausbildung längst ein Fach "Deutsch als Zweitsprache" gebe. "Ich bin überzeugt, dass wir die vor uns liegenden Aufgaben meistern werden", sagte Löhrmann.

Unterdessen ergab eine Umfrage unter 14- bis 21-jährigen Schülern, dass drei Viertel dem Bildungssystem nicht zutrauen, die wachsende Zahl von Schülern mit Zuwanderungsgeschichte zu verkraften. Das berichtet die "Süddeutsche Zeitung". Wie das Institut Forsa im Auftrag der Kinder- und Jugendstiftung ermittelte, gibt es jedoch kaum Konflikte wegen der Herkunft der Flüchtlinge. Fast 90 Prozent aller Befragten berichten vom guten Verhältnis zwischen Schülern mit deutschen und ausländischen Wurzeln.

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