Asyl in Deutschland Das Abschiebe-Roulette

Berlin · Über 200.000 Ausländer müssten eigentlich Deutschland verlassen. Ihnen fehlt eine Aufenthaltsgenehmigung. Allerdings besteht für sie je nach Bundesland ein unterschiedlich hohes Abschieberisiko.

 Des öfteren kommt es bei Abschiebungen zu erschütternden Szenen.

Des öfteren kommt es bei Abschiebungen zu erschütternden Szenen.

Foto: dpa, dm lof dna bwe

Seit Monaten diskutiert die große Koalition über Vereinfachungen bei Abschiebungen, mehrere Gesetze sind dazu bereits erlassen worden, weitere werden folgen. Dabei ist die erzwungene Rückführung von zumeist mittellosen Menschen in ihre Heimat ein hoch umstrittenes Instrument. Angesichts der extrem hohen Migrationszahlen von mehr als einer Million im vergangenen Jahr gewinnen Abschiebungen jedoch mehr und mehr an Bedeutung. Recherchen unserer Redaktion haben nun ergeben, dass es dabei jedoch eklatante Unterschiede zwischen den dafür zuständigen Bundesländern gibt - ein Roulette.

Große Unterschiede zwischen den Ländern

Insgesamt wurden im vergangenen Jahr bundesweit 22.836 Menschen abgeschoben, das sind doppelt so viele wie 2014. Im gleichen Zeitraum stieg indes die Zahl der Ausländer, die ohne Aufenthaltstitel eigentlich ausreisen müssten, laut Bundesinnenministerium um rund 50.000 auf mehr als 200.000. Und angesichts Hunderttausender Flüchtlinge, deren Asylantrag entweder noch nicht gestellt oder über den noch nicht entschieden wurde, wird diese Zahl weiter steigen.

Der Umfang, in dem die Bundesländer abschieben, wird also immer wichtiger - gleichzeitig herrscht aber eine Schieflage. So ermittelte unsere Redaktion, dass etwa in Bayern und in Hessen die Abschiebungen 2015 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 300 beziehungsweise 200 Prozent gestiegen sind. Im Gegensatz zu Berlin, wo knapp 50 Prozent mehr Menschen abgeschoben wurden. In Bayern und Hessen ist gleichzeitig auch das Risiko am höchsten, abgeschoben zu werden. Fast 4200 Menschen mussten Bayern zwangsweise verlassen, während zum Stichtag Ende November weitere 16.481 ausreisepflichtige Ausländer im Freistaat lebten - das entspricht einem Verhältnis von 1 zu 4. Zudem reisten 13.400 Menschen freiwillig aus, das ist der mit weitem Abstand höchste Wert im Bund.

Jeder vierte Fall in NRW

Äußerst gering ist das Risiko einer Abschiebung in Bremen mit 52 Abschiebungen gegenüber 3177 Ausreisepflichtigen Ende November. 1 zu 62 ist hier die Relation, dahinter folgt Rheinland-Pfalz. Auch das von Malu Dreyer (SPD) geführte Land schiebt verhältnismäßig wenig ab, es bleibt eine Relation von einer Abschiebung zu 18 Ausreisepflichtigen. Allerdings ist in Rheinland-Pfalz die Zahl von mehr als 6000 freiwilligen Ausweisungen dafür überproportional hoch. "Die Landesregierung gibt der freiwilligen Ausreise stets Vorrang vor dem Zwangsmittel einer Abschiebung", erklärte eine Sprecherin des Landsinnenministeriums unserer Redaktion.

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Nordrhein-Westfalen hat mit 4395 Abschiebungen so viele wie kein anderes Bundesland durchgeführt, und die 8420 freiwilligen Ausreisen sind bundesweit nach Bayern der zweithöchste Wert. Allerdings leben in NRW auch rund ein Viertel aller Menschen ohne ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht: 54.416 insgesamt. Damit liegt in NRW das Verhältnis zwischen Abschiebungen und Ausreisepflichtigen bei 1 zu 12 und damit deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 1 zu 9.

Erschütternde Szenen gehören dazu

Beim Vergleich der zuständigen Regierungsparteien wird deutlich, dass vor allem die unionsgeführten Bundesländer mehr abschieben. Dazu gehören neben Bayern und Hessen auch Sachsen-Anhalt und das Saarland. Allein Mecklenburg-Vorpommern, das von einer großen Koalition und einem SPD-Ministerpräsidenten regiert wird, bildet hier eine Ausnahme. Die Bundesländer mit einer geringen Abschiebequote werden zumeist von SPD und Grünen regiert: Das sind Bremen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Baden-Württemberg und NRW. Nur Berlin, wo ebenfalls relativ wenige Abschiebungen erfolgten, wird von einer großen Koalition unter CDU-Beteiligung regiert.

In diesem Zusammenhang hat die Wochenzeitung "Die Zeit" aus einem internen Bericht der "Unterarbeitsgruppe Vollzugsdefizite" zitiert, der von sieben Bundesländern, darunter Bayern und NRW, und der Bundespolizei erstellt wurde. Demnach gebe es durchaus einen "mangelnden politischen Abschiebewillen" einzelner Länder. Der entstehe dadurch, dass Abschiebungen ein hartes Geschäft seien, mit teils erschütternden Szenen menschlichen Leids. Der Bericht beklagt jedoch ein "gesellschaftliches Klima der Ächtung und Ablehnung" von Abschiebungen.

Auslegungsssache

Gleichzeitig gibt es sehr reale Hemmnisse, die es Ländern häufig schlicht nicht möglich machen, Menschen zurückzuführen. So werden oft ärztliche Atteste etwa mit posttraumatischen Belastungsstörungen herangezogen oder die Menschen sind zum Zeitpunkt der Abschiebung abgetaucht. Hinzu kommt, dass nach Angaben aus Regierungskreisen die Polizeigesetze der Länder teils so strikt ausgelegt werden, dass Polizeibeamte bei einer Abschiebung die Wohnung des Betroffenen nicht betreten dürfen.

(jd / joh)
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