Flüchtlingspolitik Sicherheitsexperten auf Distanz zur Kanzlerin

Berlin · In der Debatte über die Ausrichtung der Flüchtlingspolitik verfolgt die Bundesregierung einen zunehmend härteren Kurs. Hochrangige Sicherheitsexperten wie Ex-BND-Chef Hanning warnen, dass durch den Zuzug von Flüchtlingen eine Instabilität des Landes drohe. Und im Streit zwischen Union und SPD über Transitzonen schwenkt SPD-Chef Sigmar Gabriel auf eine neue Wortwahl. Ein Überblick.

 Angela Merkel steht für ihre Flüchtlingspolitik weiter in der Kritik. jetzt gehen auch Sicherheitsexperten auf Distanz.

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Foto: afp, iw

Abschiebungen

Die Bundesregierung hat einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" zufolge das Ziel, mehr Afghanen abzuschieben. So soll sie sich beim EU-Gipfel am Sonntag in Brüssel dafür eingesetzt haben, dass Afghanistan ein Abkommen mit der EU zur Rücknahme von Staatsbürgern unterzeichnet. 7200 Afghanen, die sich in Deutschland ohne Aufenthaltsrecht befinden, könnten betroffen sein, schreibt die Zeitung. Der Plan stamme aus dem Ressort von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU).

Hintergrund: Seit 2012 gilt ein faktischer Abschiebestopp für Afghanen. Derzeit sind sie aber die Gruppe der Asylbewerber, die nach den Syrern am stärksten wächst. Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) stellten von Januar bis Ende September knapp 16.000 Afghanen einen Erstantrag auf Asyl. Bis Ende September waren etwas mehr als 4050 Anträge beschieden, rund zwölf Prozent wurden abgelehnt, bei weiteren zwölf Prozent der Fälle verhängte das BAMF ein Abschiebeverbot. Nach Ansicht des Ministeriums ist die Sicherheitslage in Afghanistan "regional sehr unterschiedlich", nach Kabul und in "stabile Stammesgebiete" könnten Menschen aber abgeschoben werden.

Unterstützung bekam de Maizière von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Dessen NRW-Amtskollege Ralf Jäger (SPD) sieht das anders. Er wies darauf hin, dass sich die Sicherheitslage zuletzt verschlechtert habe. "Was wir in Nordrhein-Westfalen nicht tun werden, ist, in den frühen Morgenstunden plötzlich bei irgendeiner Familie aufzutauchen, die Kinder aus dem Bett zu zerren und dann eine Abschiebung durchzuführen", sagte Jäger im Deutschlandfunk.

Was Sicherheitsexperten wollen

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Hochrangige Vertreter des Bundesnachrichtendienstes (BND), des Bundeskriminalamtes (BKA) und der Bundespolizei haben davor gewarnt, dass der Zuzug von Flüchtlingen zu einer "Instabilität unseres Landes" und zu einer "Abkehr vieler Menschen von diesem Verfassungsstaat führen werde". Das berichtete die "Welt am Sonntag" unter Berufung auf entsprechende Kreise.

Zudem legte der frühere BND-Chef August Hanning ein Zehn-Punkte-Papier vor, das sich deutlich vom "Wir schaffen das"-Kurs der Bundeskanzlerin distanziert. Angela Merkel (CDU) solle eine Erklärung abgeben, dass die Aufnahmekapazitäten in Deutschland bis auf Weiteres erschöpft seien, heißt es etwa in dem Papier. Zudem solle die Bundespolizei die Grenze für Migranten ohne Einreiseerlaubnis sofort schließen, und es solle keine Asylverfahren für Antragsteller geben, die aus sicheren Herkunftsstaaten nach Deutschland kämen. Hanning forderte ein "sofortiges Einfrieren der gegenwärtigen Migrationsströme auf der Balkanroute" sowie eine Beschränkung des Familiennachzuges von anerkannten Flüchtlingen.

Für Migranten müsse eine Residenzpflicht gelten, und es brauche ein Bauprogramm für Flüchtlingsunterkünfte in ganz Deutschland und im Nahen und Mittleren Osten. Neben Appellen an Merkel, Gespräche mit Wirtschaft und Landesregierungen zu führen, fordert Hanning erwartungsgemäß auch mehr Personal für die Sicherheitsbehörden. Justizminister Heiko Maas (SPD) sagte der "Bild"-Zeitung, man könne die Grenzen zwar schließen, sinnvoll sei das aber nicht.

Flüchtlinge machen Selfies mit Angela Merkel
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Unterstützung kam hingegen von Stephan Mayer, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. "In dem Zehn-Punkte-Papier von August Hanning steckt sehr viel Richtiges", sagte Mayer unserer Redaktion. Vieles davon sei aber mit dem letzten Asylpaket bereits umgesetzt worden. Gleichzeitig erhöhte er den Druck auf die EU-Gespräche: "Auf europäischer Ebene ist die Bundeskanzlerin nachdrücklich darin zu unterstützen, dass es ein Ende haben muss mit dem bloßen Durchleiten der Flüchtlinge durch die EU nach Deutschland", sagte Mayer.

Transitzonen

Der Streit zwischen Union und SPD zu den von CDU und CSU geforderten Transitzonen bekommt einen neuen Anstrich. Die Kommunikationsabteilung von SPD-Parteichef Sigmar Gabriel postete am Wochenende im sozialen Netzwerk Facebook ein Zitat des Vorsitzenden, man habe bereits im Sommer verabredet, dass offensichtlich unbegründete Asylanträge in den Erstaufnahmeeinrichtungen schnell bearbeitet und abgelehnt werden sollen, um von dort direkt abzuschieben. Und Gabriel weiter: "Auch sollten zwei große Wartezonen in Grenznähe entstehen, um dort die Registrierung und Verteilung der Flüchtlinge vorzunehmen." Weder das eine noch das andere werde bislang schnell und umfassend umgesetzt.

Die Bezeichnung "Wartezonen in Grenznähe" ist nun also der Duktus. Zwar müssen die Details zu den Einrichtungen noch geklärt werden, klar scheint aber: Es wird zwar keine von der SPD angeprangerten "Haftzonen für Flüchtlinge" geben, wohl aber zusätzliche Zentren, in denen Asylanträge von nicht anspruchsberechtigten Staatsbürgern an der Grenze im Schnellverfahren abgeschlossen werden sollen.

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(jd)
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