Planspiele Wenn Angela Merkel scheitert...

Berlin · . . . kommen mehrere Spitzenpolitiker für die Kanzlerschaft in Frage. Einige dürften aber lediglich Übergangskandidaten sein.

Bundeskanzlerin Angela Merkel in Grimmen (Mecklenburg-Vorpommern) auf einem CDU-Kreisparteitag.

Bundeskanzlerin Angela Merkel in Grimmen (Mecklenburg-Vorpommern) auf einem CDU-Kreisparteitag.

Foto: dpa, jbu

Noch vor einem halben Jahr - es kamen bereits viele Hundert Flüchtlinge täglich - stand Angela Merkel unangefochten an der Spitze von Regierung und Beliebtheit. Die Wiederwahl 2017 schien ein Selbstläufer zu sein. Doch jetzt schmilzt ihr Ansehen von Woche zu Woche, werden vor allem Unionsabgeordnete immer nervöser und tragen wachsende Kritik aus ihren Wahlkreisen in die emotional aufgeladenen Fraktionssitzungen.

Kann Merkel die Flüchtlingsdynamik nicht stoppen, droht auch die Dynamik der Zweifel an ihrer Kanzlerschaft außer Kontrolle zu geraten. Wenn in einem halben Jahr die Flüchtlingswelle erneut ansteigt, die Union in den Landtagswahlen massiv verliert, die Gewalt eskaliert und die AfD zweistellig in die Parlamente einzieht, werden die Fragen nach personellen Alternativen aktuell werden.

Auf der Liste möglicher Nachfolger der 61-jährigen Kanzlerin steht Finanzminister Wolfgang Schäuble (73) auf Platz eins. Nicht nur, weil er momentan der beliebteste Politiker ist. Er hat es zudem verstanden, sowohl als loyaler und verlässlicher Vertrauter der Kanzlerin zu agieren als auch hinreichend deutlich zu machen, dass er anders könnte, wenn man ihn ließe. Etwa beim Grexit, dem Ausstieg Griechenlands aus dem Euro. Und jetzt auch wieder beim Einfordern von mehr Augenmaß im Umgang mit Flüchtlingen.

Als absoluter Antipode zur CDU-Vorsitzenden inszeniert sich seit Anfang September CSU-Chef Horst Seehofer (66). Wer nach dem Scheitern Merkels eine Alternative braucht, kommt an ihm kaum vorbei. Zweimal haben die Christsozialen vergeblich auf die Kanzlerschaft gehofft. Sie wären mal dran. Auch wenn Seehofer nach 2017 eigentlich aus der Regierungsverantwortung in Bayern ausscheiden wollte, so hat er doch schon angedeutet, sich zur Not auch noch einmal in die Pflicht nehmen zu lassen.

Merkel selbst hat hohes Zutrauen in die saarländische Regierungschefin Annegret Kramp-Karrenbauer (53), die mehr als einmal Mut bewies, etwa beim Wechsel von der Koalition mit Grünen und FDP zur großen Koalition. Die Kanzlerin gab auch einer anderen ambitionierten Politikerin die Chance, sich für das höchste Regierungsamt zu qualifizieren: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (57). Die hat es sich zwar mit der Fraktion verscherzt, kann aber in schwierigen Situationen telegen die Menschen überzeugen. Für einen Neuanfang in Krisenzeiten nicht die schlechteste Qualifikation. Perspektivisch wird zudem Julia Klöckner (42) gehandelt. Sie müsste dafür jedoch zunächst einmal Rheinland-Pfalz gewinnen. Und wenn sie das nächsten März schaffen sollte, käme dieser Erfolg auch Merkel zugute - und die Kanzlerin wäre im Amt stabilisiert.

Andererseits hätte die aktuelle Merkel-Koalition ohne Merkel ihr Fundament verloren. SPD-Chef Sigmar Gabriel (56) würde in dem Fall auch Alternativen erwägen. Er könnte selbst Bundeskanzler werden, wenn sich SPD, Grüne und Linke dazu entschlössen, und zwar unabhängig davon, ob es erst zähe rot-rot-grüne Koalitionsverhandlungen gäbe oder die Linken ein rot-grünes Übergangsbündnis lediglich tolerierten.

Für Merkel selbst käme, so wird von interessierten Kreisen in Berlin kolportiert, auch der Posten des Generalsekretärs der Vereinten Nationen in Betracht. Der Job wird 2016 vakant, und wenn die Bewältigung der Flüchtlingskrise eine globale Aufgabe ist, könnte man argumentieren, dass dies eine Persönlichkeit vom Gewicht Merkels erfordere. Doch die Kanzlerin strebt dieses Amt nicht an.

Freilich sind diese Spekulationen vor allem Reserve-Szenarien. Realistischer ist, dass sich beim CSU-Parteitag im November, beim CDU-Parteitag im Dezember und in den Wahlkämpfen bis März die Reihen schließen, und zwar hinter Merkel.

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(may-)
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