Fragen und Antworten Was Sie über die Asyl-Debatte wissen müssen

Düsseldorf · Die Tränen der 14-jährigen Einser-Schülerin Reem Sahwil rühren die Menschen. Wann droht derart perfekt integrierten Flüchtlingen die Abschiebung? Wer bekommt Asyl? Und wie werden die Schutzsuchenden in Deutschland untergebracht? Zehn Fragen und Antworten.

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Flüchtlinge – erschütternde Bilder aus aller Welt

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Foto: afp, MM

Warum gibt es so viele Flüchtlinge?

Kriege, Terror, Unterdrückung, Katastrophen, Hungersnöte und Armut haben seit Menschengedenken die Menschen zum Aufbruch aus ihrer Heimat gebracht. Mit annähernd 60 Millionen Menschen auf der Flucht verzeichnen die Vereinten Nationen derzeit jedoch mehr als je zuvor. Allein in Syrien sind vier Millionen Menschen dem Tod entronnen.

Die meisten Flüchtlinge bleiben in ihrer Nachbarschaft, 1,6 Millionen allein in der Türkei. Manche haben jedoch wegen phantastischer Verlockungen gewissenloser Schlepperorganisationen die Hoffnung, aus Armut und Perspektivlosigkeit in den reichen Ländern Europas eine bessere Zukunft zu finden.

Woher kommen die meisten Flüchtlinge?

Im ersten halben Jahr 2015 kamen 32.472 Syrer, 28.672 Kosovaren und 21.806 Albaner nach Deutschland. Auf den weiteren Plätzen folgen 10.126 Serben, 8.331 Iraker, 7.932 Afghanen, 4.182 Mazedonier, 3.582 Eritreer, 2.805 Nigerianer und 2.701 Pakistaner. Von den insgesamt 160.000 Menschen, die erstmals Asyl in Deutschland beantragten, stammten also mehr als 60.000 vom Balkan.

Wie funktioniert Asyl?

Deutschland gewährt politisch Verfolgten Asyl. Wer das beantragt, kommt zunächst in eine Erstaufnahmeeinrichtung, wo er registriert, untergebracht und über den Gang des Verfahrens informiert wird. Erfahrene Sachbearbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge versuchen mit Hilfe von Dolmetschern durch Anhörung des Flüchtlings sowie anhand von Dokumenten und weiteren Informationen dessen Gründe zu klären und herauszufinden, ob er zu Recht schutzbedürftig ist.

Die (im Klageweg anfechtbare) Entscheidung sieht grundsätzlich vier Möglichkeiten vor: Anerkennung als Flüchtling für zunächst höchstens drei Jahre, sogenannter "subsidiärer Schutz" (wenn er zwar die Voraussetzungen für Asyl nicht erfüllt, ihm aber in seinem Heimatland Schaden droht), Ablehnung seines Antrages mit Verpflichtung zur Ausreise oder Ablehnung seines Antrages mit gleichzeitig verfügtem Abschiebeverbot.

Die Anerkennungsquote schwankt sehr stark und liegt in den letzten Jahren zwischen 17 und 36 Prozent, die Ablehnungsquote zwischen 56 und 37 Prozent, subsidiären Schutz erhalten zwischen 0,6 und 11 Prozent der Antragsteller und von einem Abschiebestopp profitieren 0,8 bis 4,4 Prozent.

Wer darf also bleiben?

Grundsätzlich jeder, der politisch verfolgt ist oder dem durch eine Rückkehr in seine Heimat schwerer Schaden droht. Auch während des laufenden Asylverfahrens sind die Antragsteller und ihre Familien geduldet. Darüber wird alle sechs Monate neu entschieden.

Geduldete haben keinen direkten Zugang zum Arbeitsmarkt und nur eingeschränkte Bewegungsfreiheit. Nach 18 Monaten kann unter bestimmten Auflagen die Duldung in eine Aufenthaltserlaubnis umgewandelt werden.

Weil aber auch das zeitlich befristet ist, erwächst daraus keine dauerhafte Perspektive. Gleichwohl leben rund 200.000 Geduldete in Deutschland, fast die Hälfte davon seit mehr als zehn Jahren.

Trifft das neue Bleiberecht auf Reem zu?

Die Bleiberechtsnovelle wird im übernächsten Monat gute Integration in Deutschland belohnen, schlechte bestrafen. Wer mindestens acht Jahre in Deutschland lebt (bei Familien mit minderjährigen Kindern: mindestens sechs Jahre), gut Deutsch spricht und seinen Lebensunterhalt sichern kann und keine schweren Strafen begangen hat, der kann auf Dauer bleiben.

Wer aber bei der Aufklärung seiner Identität nicht mitwirkt und in Straftaten verwickelt ist, muss gehen. Reem ist seit fünf Jahren in Deutschland, und das Asylverfahren läuft derzeit noch. Die örtliche Ausländerbehörde will die Familie bis auf weiteres nicht ausweisen. Hinzu kommt, dass gut integrierte Flüchtlinge künftig auch während ihrer Ausbildung nicht ausgewiesen werden sollen.

Was sind Drittstaaten?

Diese Definition ist mit den so genannten Dublin-Verfahren in das europäische Asylrecht eingeführt worden und besagt, dass Asylbewerber nicht durch Europa reisen und das Asyl in einem Land ihrer Wahl aussuchen dürfen. Stellt sich bei dem Start des Asylverfahrens heraus, dass der Asylbewerber zuvor bereits in einem anderen EU-Mitgliedsstaat hätte Schutz finden können, kann das Verfahren dahin abgegeben werden.

Was steckt hinter sicheren Herkunftsstaaten?

Die Qualifizierung eines Landes als sicheren Herkunftsstaat soll die Asylverfahren beschleunigen, weil damit die gesetzliche Vermutung verbunden ist, dass dort weder politische Verfolgung herrscht noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung stattfindet.

Das entbindet die Prüfer jedoch nicht von der Verpflichtung, den Antrag daraufhin zu überprüfen, ob im Einzelfall nicht doch politische Verfolgung bestehen könnte. Als sichere Herkunftsstaaten definiert sind alle EU-Mitglieder sowie Bosnien, Ghana, Mazedonien, Senegal und Serbien.

Wie werden die Flüchtlinge in Deutschland verteilt?

Die Verteilung geschieht anhand der Wirtschaftskraft und der Bevölkerungszahl der Bundesländer. Der dafür zugrunde gelegte "Königsteiner Schlüssel" wurde ursprünglich 1949 entwickelt, um unter den Bundesländern ein Einvernehmen darüber zu erzielen, welche Beträge jedes einzelne zur Finanzierung wissenschaftlicher Forschungseinrichtungen zu bezahlen hat.

Inzwischen wird damit auch der Anteil an Einnahmen, an weiteren Zahlungsverpflichtungen und eben auch an der Zahl der aufzunehmenden Asylbewerber ermittelt. Der Schlüssel setzt sich zu zwei Dritteln aus dem aktuellen Steueraufkommen und zu einem Drittel aus der Bevölkerungszahl zusammen und wird jedes Jahr neu berechnet.

Von 100 Prozent entfallen aktuell etwa auf NRW 21,21010 Prozent, auf Bayern 15,51873 Prozent, auf Rheinland-Pfalz 4,83710 Prozent und auf Berlin 5,04927 Prozent.

Wie viele Flüchtlinge nehmen andere Länder in Europa auf?

Das ist sehr unterschiedlich, da es sich im Wesentlichen um eine freiwillige Leistung handelt und das Schutzniveau sowie die Rechtsgrundlagen stark voneinander abweichen. Deutschland leistet überproportional viel und hat zum Beispiel in den ersten vier Monaten 110.350 Asylbewerber registriert, gefolgt von Ungarn mit 40.235, Frankreich mit 21.810 und Italien mit 20.020.

Legte man eine Berechnungsmethode wie den Königsteiner Schlüssel auf die europäischen Länder an, dann müssten die Briten (9.455) mehr, die Schweden (16.985) weniger aufnehmen. Manche Länder fallen regelrecht aus dem Rahmen, so wie Polen (2.590), Portugal (260) oder die baltischen Staaten mit nur 70 bis 100 Asylbewerbern in den ersten vier Monaten.

Braucht Deutschland ein neues Einwanderungsrecht?

SPD, Grüne und Linke plädieren dafür, um die Willkommenskultur und alle damit zusammenhängenden Regelungen leichter nachvollziehbar zu machen und ein klares Zeichen als Einwanderungsland zu setzen. Eine Minderheit in der Union denkt ebenfalls daran.

Derzeit verweist eine Mehrheit aber darauf, dass die Rechtslage jetzt bereits eine der liberalsten Zuwanderungsregelung der Welt enthalte und sich daran durch eine Zusammenfügen der Paragrafen nichts ändere. Die Arbeit an einem Einwanderungsgesetz würde jedoch dazu führen, alle Bestimmungen, die derzeit noch nebeneinander existieren, erneut auf den Prüfstand zu stellen.

Derzeit müssen hochqualifizierte Flüchtlinge zum Beispiel erst wieder in ihr Bürgerkriegsland zurück und sich dort registrieren lassen, wenn sie etwa über eine "bluecard" sofort als Fachkräfte Aufenthalt und Arbeit erhalten wollen. Hier könnten bürokratische Hürden fallen, wenn die Koalition zu der Einschätzung kommt, dass damit nicht falsche Anreize gesetzt werden.

(may)
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