Flüchtlingskrise Wer Stopp sagt, will eigentlich einen Zaun

Meinung | Berlin · So mancher Spitzenpolitiker hat angesichts der Flüchtlingskrise von "begrenzten Aufnahmekapazitäten" in Deutschland gesprochen. Wer aber davon spricht, die Kapazitätsgrenze sei nahezu erreicht, der muss auch sagen, was daraus folgt.

Was ist was - Begriffe zum Thema Flüchtlingsunterkünfte
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Foto: dpa, rwe lof

Spitzenpolitikern kommt in der Flüchtlingsdebatte eine verantwortungsvolle Rolle zu. Sie sollten mit Meinungsbildern umgehen können, Sorgen ihrer Wähler ernst nehmen und darauf reagieren, politische Debatten führen und Lösungswege aufzeigen können. Was nicht zu ihren verantwortungsvollen Aufgaben gehört, ist, vorhandene Ressentiments zu schüren, um daraus Vorteile für die eigene Person oder die eigene Partei zu schöpfen.

Wer erklärt, dass "unsere Aufnahmekapazitäten begrenzt" sind, spricht eine Selbstverständlichkeit aus. Unsere Kapazitäten sind begrenzt, ja sicher. Aber auch die Kapazitäten der Türkei, Griechenlands, Österreichs, Jordaniens, des Libanons und aller anderen betroffenen Länder sind begrenzt. Trotzdem strömen die Flüchtlinge weiter. Wer nun noch weiter geht und behauptet, unsere "Kapazitäten sind nahezu ausgeschöpft" , der meint wie SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel zu wissen, wo die Kapazitätsgrenze liegt.

Bundespräsident Joachim Gauck, der ebenfalls von "begrenzter Aufnahmefähigkeit" sprach, hat wohlweislich offen gelassen, wo genau er diese Grenze erreicht sehen will. Dies, so Gauck, werde im politisch-gesellschaftlichen Diskurs erst noch ausverhandelt werden müssen. Doch selbst Gauck muss sich vorwerfen lassen, nicht zugleich zu sagen, was passieren müsste, sollte die gesellschaftlich definierte Grenze der Kapazität tatsächlich erreicht sein. Verantwortungsvolle Politik sieht anders aus. Wer in dieser Situation als Spitzenpolitiker in verantwortungsvoller Position A sagt, muss auch B sagen.

Wer also davon spricht, die Kapazitätsgrenze sei nahezu erreicht, muss auch sagen, was daraus folgt. Muss Deutschland dann seine Grenzen dichtmachen und das Schengen-Abkommen aufkündigen? Soll Deutschland das individuelle Grundrecht auf Asyl doch infrage stellen, indem es schon vor der Einreise in 48-stündigen Schnellverfahren entscheidet, welche Flüchtlinge eine Bleibeperspektive in Deutschland haben und welche nicht?

Die Kanzlerin beweist an dieser Stelle deutlich mehr Verantwortung als die SPD mit Gabriel und Oppermann oder die CSU mit Seehofer und Söder. Allerdings versäumt es auch sie, den Menschen ehrlich zu sagen, dass ihre Politik kurzfristig nicht dazu führen wird, den Marsch der Millionen nach Deutschland aufzuhalten. Diese Krise lasse sich nur lösen, indem Asylverfahren beschleunigt, die Außengrenzen Europas besser geschützt und die Fluchtursachen bekämpft werden, sagt die Kanzlerin. Alles sehr richtig — nur dürfte es, sollte es überhaupt gelingen, viele Jahre dauern, die Fluchtursachen zu verringern. Die Menschen werden auf absehbare Zeit also weiter nach Deutschland strömen.

Realistisch ist allenfalls, die Asylverfahren in Deutschland zu beschleunigen. Hier müsste endlich auch Schritt zwei folgen: die konsequente Rückführung derer, die nicht bleiben dürfen. Dieses Versprechen wird bisher von vielen Bundesländern aber noch nicht eingelöst.

(mar)
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