Flüchtlingspolitik Wie das Ausland uns sieht

Berlin · Ungläubigkeit, Bewunderung, aber auch Skepsis und Häme - die Reaktionen auf die deutsche Flüchtlingspolitik fallen weltweit unterschiedlich aus. Unsere Korrespondenten haben die Stimmungen zusammengetragen.

Betten für Flüchtlinge in einer deutschen Turnhalle.

Betten für Flüchtlinge in einer deutschen Turnhalle.

Foto: imago stock&people

Schweden

Die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel hat in Schweden sowohl vom regierenden rot-grünen als auch vom oppositionellen bürgerlichen Block viel Lob bekommen. Schweden hat mehr Flüchtlinge pro Kopf aufgenommen als Deutschland. In der EU sah sich Stockholm lange als Mitstreiter Berlins. Zum Jahreswechsel hat das Land seine Grenzen aber für Transitflüchtlinge geschlossen. Auch die großzügigen Regeln für Aufenthaltsstatus und Familienzusammenführung wurden verschärft. Im lange überaus flüchtlingsfreundlichen Land ist eine Mehrheit inzwischen der Meinung, Schweden, aber auch Deutschland habe genug getan. Nun müssten sich auch andere Staaten menschlich zeigen. Im Volk hat Deutschland aber wegen seines Beitrags zur Lösung der Krisen in Südeuropa durch seine humanitäre Haltung in der Flüchtlingsfrage erneut viel Respekt und Anerkennung erhalten. Das hat den deutschen Ruf deutlich verbessert. Die sexuellen Übergriffe von Köln haben im besonders stark auf Geschlechtergleichstellung erpichten Schweden Bestürzung ausgelöst. Kürzlich wurde enthüllt, dass es in Stockholm im Sommer zu ähnlichen Massenübergriffen gekommen war. Die Polizei hatte danach über die Vorfälle gelogen. Eine breit angelegte Aufklärungskampagne mit Kursen für alle Flüchtlinge hat gute Chancen, realisiert zu werden. André Anwar, Stockholm

Großbritannien

Die Ereignisse der Silvesternacht von Köln waren für Briten kaum weniger schockierend als für Deutsche. In Großbritannien läuft zur Zeit ein Gerichtsverfahren gegen pakistanisch-stämmige Männer, denen vorgeworfen wird, systematisch weiße Mädchen aus sozial schwachen Schichten sexuell missbraucht zu haben. Der Skandal von Rotherham, wo zwischen 1997 und 2013 mehr als 1400 Kinder missbraucht wurden, hatte eine ähnliche Konstellation wie in Köln, wenn auch in einem viel größeren Maßstab: junge Männer mit Migrationshintergrund, junge Britinnen als Opfer, Behörden, die weggeschaut oder vertuscht haben, seien es Polizisten, Sozialarbeiter oder Kommunalpolitiker. Kein Wunder also, dass jetzt in britischen Zeitungen zu lesen ist, dass der Zustrom junger Männer zu "Verbrechen und Unordnung" führe ("Times"), dass muslimische und arabische Männer in der Regel frauenfeindlich seien ("Daily Mail") oder dass mit der Flüchtlingskrise ein "Kampf der Kulturen" auf Europa zukomme ("Daily Telegraph"). Und für die Rechtspopulisten von der europafeindlichen Ukip-Partei sind die Vorfälle ein gefundenes Fressen. Man instrumentalisiert sie für die Kampagne, die EU zu verlassen. "In drei Jahren", warnte Ukip-Chef Nigel Farage, "werden alle diese Leute EU-Pässe haben und in der Lage sein, nach Großbritannien einzureisen." Jochen Wittmann, London

Israel

Angela Merkel steht, spätestens seit sie die Sicherheit Israels zur deutschen Staatsräson erklärte, hoch im Kurs bei den Israelis. Als Merkel die Tore für den Flüchtlingsstrom öffnete, erreichte die Sympathie, die man in Tel Aviv und Jerusalem für sie empfindet, neue Höhepunkte. Ausgerechnet Deutschland tat sich hervor mit der Hilfe für die Fremden in Not und brachte damit eine innerisraelische Debatte in Gang darüber, wie tatenlos man hier selbst der Tragödie beim syrischen Nachbarn zusah. Die sozialdemokratische Opposition riet dazu, Flüchtlingen Asyl anzubieten, was nicht passierte. Von Anfang an beschäftigte Israel aber auch die Frage, welche politischen Folgen die demografischen Veränderungen in Europa mit sich bringen werden. Die Sorge ist, dass die wachsende muslimische Gemeinde die antijüdische und antiisraelische Stimmung fördern werde, was umgekehrt den positiven Effekt haben könnte, dass sie mehr deutsche Juden zur Emigration nach Israel motiviert. Auch der große Zuspruch, den rechte bis rassistische Bewegungen in Deutschland genießen, wird in Israel sehr genau beobachtet. "Europa wirft langsam die Last der politischen Korrektheit ab", schreibt der Analyst Ben-Dror Yemini in der Zeitung "Jediot Achronot". "Die politische Korrektheit in ihrer extremen Form", so glaubt Yemini, werde zum "größten Förderer der radikalen Rechten". Susanne Knaul, Tel Aviv

Irak

Die wenigen noch in Bagdad verbliebenen Deutschen bekommen seit einigen Monaten vermehrt Telefonanrufe von ihren irakischen Bekannten, die die unkomplizierte Aufnahme von Syrern und Irakern in Deutschland bejubeln. "Danke, dass ihr uns aufnehmt", sagen sie, "danke für eure Gastfreundschaft." Als Druckmittel auf die eigene Regierung gebe die Einladung aus Deutschland den Menschen eine Perspektive, doch noch einen Ausweg aus ihrem Dilemma zu finden. Mit den pragmatischen Forderungen nach einer besseren öffentlichen Versorgung haben sich Menschen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten zusammengefunden, die sich als Volksbewegung organisieren. "Ich will mein Land zurück, oder ich gehe zu Mutti Merkel", rufen Demonstranten in Bagdad und meinen dabei nicht die Rückeroberung der vom IS besetzten Gebiete, sondern die Bewältigung ihres Alltags. Tausende sind schon nach Deutschland aufgebrochen; Abertausende wollen noch weg. Doch die irakische Botschaft in Berlin verzeichnet seit einigen Wochen auch einen gegenläufigen Trend: Immer mehr Iraker, die die beschwerliche Flucht geschafft haben, wollen zurück in den Irak. Mittellos und desillusioniert sitzen sie im Warteraum des Konsulats. Sie hätten sich das Leben in Deutschland anders vorgestellt, bekommt man zur Antwort, wenn man nach dem Grund fragt. Birgit Svensson, Bagdad

Polen

Angriff ist die beste Verteidigung: Nach dieser Devise geht die zuletzt viel kritisierte polnische Rechtsregierung in der Flüchtlingspolitik vor. "Es ist Deutschland, das sich diesem Problem stellen muss, nicht wir", erklärte Finanzminister Pawel Szalamacha kürzlich bei einem Besuch in Berlin. Die Regierung in Warschau, die erst seit November amtiert, stellt die EU-Quotenbeschlüsse vom September zwar nicht grundsätzlich infrage — Polen hatte sich verpflichtet, innerhalb von zwei Jahren 6100 Flüchtlinge aufzunehmen. Allerdings hat Ministerpräsidentin Beata Szydlo angekündigt, den Zeitrahmen auszuschöpfen und 2016 lediglich 400 Asylsuchenden Schutz zu gewähren. Polen beharrt zudem darauf, die Flüchtlinge, die ins Land kommen, auszuwählen. "Wir werden selbst in den Hotspot-Lagern aussuchen, wer zu uns kommt", hat Außenminister Witold Waszczykowski Anfang Januar angekündigt und hinzugefügt: "Wir akzeptieren Menschen, die nachweisen können, dass sie nicht aus wirtschaftlichen Gründen fliehen, die Papiere vorweisen können und die vor allem aus freiem Willen nach Polen einreisen." Die Zeitung "Gazeta Wyborcza" berichtete jetzt, in einer ersten Runde werde Polen 35 Flüchtlinge aus italienischen Lagern und 65 aus Griechenland aufnehmen. Beamte des Innenministeriums seien bereits vor Ort, um "geeignete Kandidaten auszuwählen". Ulrich Krökel, Warschau

Italien

Mit Staunen, Skepsis und Verwunderung blickte Italien in den vergangenen Monaten nach Norden. Die deutsche "Willkommenskultur" machte Eindruck, ihre Langzeitwirkung aber wurde schnell bezweifelt. Man weiß in Italien seit Längerem, wie es ist, Einwanderungs- oder zumindest Durchgangsland zu sein. Seit ein paar Tagen wird es unbequemer auf dem italienischen Beobachterposten. Der Blick geht in Richtung Brenner: Meinen die Österreicher und Deutschen es ernst, wenn sie mit der Aufhebung des Schengen-Systems und der Wiedereinführung der Grenzkontrollen drohen? Die Folgen für Italien wären verheerend.
"Deutschland platzt aus allen Nähten", schreibt die Tageszeitung "La Stampa". Die "Welle der Solidarität" sei zu Ende. Bei aller Skepsis gegenüber der Machtfülle der Kanzlerin in der EU weiß man in Italien doch, wie sehr die Geschicke der Länder voneinander abhängen. "Das Szenario einer politischen Krise in Deutschland verursacht Gänsehaut", schreibt "La Repubblica" mit Blick auf Merkels Machtverlust.
Und natürlich gibt es diejenigen, die die Notlage für ihre Zwecke ausnutzen. Matteo Salvini, Chef der fremdenfeindlichen Lega Nord, die sich anschickt, konservative Wähler zu gewinnen, schlug martialisch die "chemische Kastration" der Täter von Köln vor. "Du fasst eine Frau oder ein Kind an? Zack. Dann machst du es nicht mehr." Julius Müller-Meiningen, Rom

Russland

Man schüttelt den Kopf. Für Deutschlands Umgang mit den Flüchtlingen haben wenige Russen Verständnis. Nicht nur Putin-Anhänger wundern sich, selbst in der Opposition regen sich Zweifel. Deutschland sei naiv, wenn es glaube, es könne Millionen Muslime integrieren, ohne sein Wesen zu verlieren, so der Tenor. Dazu erschienen schon im Herbst im Boulevardblatt "Komsomolskaja Prawda" Aufzeichnungen einer in Deutschland lebenden Russin mit dem apokalyptischen Titel "Deutschlands Todeschronik". Seit dem Ansturm auf Europas Grenzen ist das Flüchtlingsthema medial allgegenwärtig. Statt Informationen zu vermitteln, werden Emotionen geschürt. Der Untergang Europas — des "faulenden" Westens — ist in Russland längst Teil einer nationalen Idee, ein Dauerbrenner seit dem 19. Jahrhundert. Auch dafür lässt sich der Exodus aus dem Nahen Osten trefflich nutzen. Der europäischen Zivilisation fehlten Kraft und Mumm zur Wehrhaftigkeit, heißt es. Kurzum, sie sei verweichlicht, da liberal. Köln kam da wie gerufen, bewies es doch angeblich die Weitsicht des Kreml. Aus der Ratlosigkeit der deutschen Politik wurde die These: Der Westen ist auch nicht besser als wir. Schadenfreude herrscht unter den staatlichen Medienschaffenden, die zu Hause die Überlegenheit des autoritären Systems zelebrieren und in der millionenstarken russischen Diaspora der EU Angst schüren. Klaus-Helge Donath, Moskau

Frankreich

"Die Falle der Flüchtlingsaufnahme ist mit den sexuellen Angriffen in Köln über ihr zugeschnappt", kommentiert die französische Zeitung "Le Monde" die Situation von Angela Merkel. Mit ihrer Entscheidung, Deutschland für die Flüchtlinge zu öffnen, hatte die Bundeskanzlerin im Herbst die Franzosen überrascht. Dass das Nachbarland die Flüchtlingspolitik Merkels nicht mitträgt, machte Regierungschef Manuel Valls im November deutlich. "Wir können nicht noch mehr Flüchtlinge in Europa aufnehmen", sagte der Sozialist in einem Zeitungsinterview. Frankreich, das vor allem durch die katastrophalen Zustände im Lager von Calais in Verruf geraten ist, zählte im vergangenen Jahr 79.000 Flüchtlinge. Die sozialistische Regierung hängt das Flüchtlingsthema aus Angst vor dem rechtsextremistischen Front National (FN) ganz niedrig. Dafür prescht die konservative Opposition von Nicolas Sarkozy vor: Der Ex-Präsident, der vor der Präsidentschaftswahl 2017 immer weiter nach rechts driftet, fordert eine "Neugründung" des Schengen-Raums — mit der Wiedereinführung der Kontrollen. Eine komplette Abschottung des Landes propagiert FN-Chefin Marine Le Pen, die sich als "Anti-Merkel" versteht. Sie wirft dem sozialistischen Präsidenten François Hollande vor, in der Flüchtlingspolitik "vor Merkel zu kuschen". Christine Longin, Paris

USA

Deutschland, ein Magnet für Migranten, vergleichbar mit der Anziehungskraft, die über Jahrhunderte von den USA ausging? Es gibt Stimmen in New York oder Washington, die einen so großen Bogen schlagen, die im Umgang mit den Flüchtlingen den Testfall dafür sehen, ob sich Deutschland dazu bekennt, was es längst ist: eine Einwanderungsnation. Das Magazin "U.S. News & World Report” hat die Bundesrepublik eben erst zum weltweit besten Staat gekürt. Die Begründung: wirtschaftliche Stärke und eine Konzentration auf zentrale globale Probleme, sei es die Flüchtlingskrise oder die Rettung der Euro-Zone. Trotzdem ist die Politik Angela Merkels im US-Diskurs vor allem ein heftig debattierter Streitfall. Grob skizziert, erweist die Demokratische Partei der Kanzlerin ihren Respekt, während die Republikaner von naiver Träumerei reden. Washington, verlangt Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton, sollte sich ein Beispiel an Berlin nehmen und die Quote für nahöstliche Asylbewerber deutlich erhöhen. Donald Trump dagegen prophezeit eine Revolte der deutschen Wählerschaft gegen Merkel, die zwangsläufig mit ihrem Sturz enden werde. Für Aufsehen sorgte neulich eine Kolumne des Bloggers Ross Douthat in der "New York Times": Die Kanzlerin müsse gehen, damit "ihr Land — und der Kontinent — keinen zu hohen Preis zu zahlen hat für ihre edelmütige Eselei". Frank Herrmann, Washington

Dänemark

Deutschlands nördlicher Nachbar ist in seiner Ausländerpolitik traditionell eines der restriktivsten Länder Europas. Sowohl die bürgerliche Minderheitsregierung als auch Sozialdemokraten, Konservative und Liberale wetteifern mit den mächtigen, die Regierung von Lars Løkke Rasmussen stützenden Rechtspopulisten um eine harte Linie in der Flüchtlingsfrage. Dementsprechend gibt es kaum Verständnis für die deutsche Willkommenspolitik. Die stürze auch Dänemark ins Chaos, hieß immer wieder, etwa als im vergangenen Jahr Hunderte Flüchtlinge aus Deutschland auf Dänemarks Landstraßen Richtung Schweden liefen. Seit Schweden seine Grenzen geschlossen hat, befürchtet Dänemark, dass nun mehr Flüchtlinge im Lande bleiben. Aufgrund seiner harten Politik war es bislang vor allem Transitland für die Flüchtlinge. Bislang ist ein großer Ansturm aber ausgeblieben. Dänemark hat seinerseits Grenzkontrollen nach Deutschland eingeführt. Aus Angst vor der deutschen Willkommenspolitik werden nun auch die Asylregeln noch weiter verschärft. Familienzusammenführungen für anerkannte Kriegsflüchtlinge sollen mit einer Wartezeit von drei Jahren belegt werden. Zudem werden Flüchtlingen Wertgegenstände wie Schmuck und Geld im Wert von mehr als umgerechnet 1340 Euro weggenommen. André Anwar, Stockholm

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