Offene Fragen nach dem Fall Hoeneß Wie gerecht ist unser Steuersystem?

Berlin · Warum können Steuerhinterzieher bei wirksamen Selbstanzeigen straffrei ausgehen? Warum werden auch Zinserträge besteuert? Warum zahlen viele gar keine Steuern? Der Fall Hoeneß wirft viele Fragen auf.

Der Unterschied zwischen Steuertrick und Steuerbetrug
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Foto: dpa, fz

Der Ehrliche ist immer der Dumme. Sagt der Volksmund. Im Fall Hoeneß war nun aber auch einmal der Unehrliche der Dumme. Hoeneß, ohne den es die beste Fußballmannschaft der Welt nicht geben würde, muss ins Gefängnis.

Ist das gut für die Steuermoral der Deutschen? Viele Experten glauben: Ja. Denn die Angst, wie Hoeneß entdeckt zu werden, werde zunehmen; die bereits stark gestiegene Zahl der Selbstanzeigen der großen und kleinen Steuerhinterzieher werde weiter nach oben schnellen. Michael Meister etwa, der Parlamentarische Staatssekretär der CDU im Bundesfinanzministerium, sagte unmittelbar nach dem Hoeneß-Urteil: "Das wird die Steuermoral der Bürger stärken. Es zeigt, dass es sich nicht lohnt, Steuern zu hinterziehen."

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Foto: Jens Schierenbeck, gms

Nach dem Ankauf von nunmehr zehn Datenträgern mit Kontoinformationen von deutschen Staatsbürgern bei Schweizer Banken seit 2010 ist die Zahl der Selbstanzeigen bei den Finanzämtern im vergangenen Jahr auf etwa 26 000 gestiegen — das waren mehr als doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen waren es 2013 mehr als 4500. Die Abgaben, die Steuerhinterzieher zurückzahlten, um einer Strafe zu entgehen, bescherten den Ländern einen Geldsegen: Die höchsten Mehreinnahmen verbuchte Hessen 2013 mit 588 Millionen Euro. Im Durchschnitt hat jeder Steuerhinterzieher nachträglich fast 58 000 Euro bezahlt — deutlich weniger also als Uli Hoeneß, der inklusive aller Strafzinsen den rekordverdächtigen Betrag von 50 Millionen Euro nachzahlen muss.

Der Gesetzgeber rechtfertigt die Möglichkeit der Strafbefreiung bei der Selbstanzeige damit, dass er ohne sie den allermeisten Steuerhinterziehern niemals auf die Schliche gekommen wäre. Auch bei der Kronzeugenregelung gebe es ja Strafnachlässe. Andere Länder in der Welt würden die strafbefreiende Selbstanzeige ebenfalls kennen, die Schweiz etwa oder Österreich, lautet das Argument. Viele steuerehrliche Bürger empfinden es allerdings als ungerecht, dass einer, der dem Fiskus viel Geld vorenthält, sich hinterher gewissermaßen von Schuld freikaufen kann — aber jeder Dieb oder Kleinbetrüger nichts tun kann gegen eine Gefängnisstrafe.

Auch Kapitalerträge werden in Deutschland mit 25 Prozent besteuert. Der Fiskus verdient also mit, wenn das Ersparte Zinserträge abwirft. Ist das gerecht? Ja, sagen Ökonomen, denn andernfalls hätte allein der Faktor Arbeit die gesamte Steuerlast zu tragen, kein Land könne das verkraften, denn Arbeiten lohnte sich dann wohl kaum. Der Faktor Kapital müsse im Grunde genauso wie der Faktor Arbeit besteuert werden. Der Abgeltungsteuersatz sei mit 25 Prozent auf die Kapitalerträge deshalb viel zu niedrig, argumentieren manche. Denn der Steuersatz für die Arbeitseinkünfte liege individuell oft viel höher. "Der Steuersatz von 25 Prozent war ein politischer Kompromiss: Er durfte nicht höher liegen, damit das Kapital nicht aus dem Land flüchtet", sagt Thilo Schäfer, der Steuerexperte des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft.

Bei der Vermögensbesteuerung wird die Sache noch verzwickter, denn oft entstand das Vererbte aus bereits zweifach versteuerten Einkünften. Allerdings hat der profitierende Erbe selbst noch keine Steuern bezahlt, und darauf beruft sich der Fiskus, wenn er auch die Erbschaften besteuert. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland bei den Vermögensteuern am untersten Ende. Nicht nur SPD, Grüne und Linkspartei meinen, hier könne der Fiskus beherzter zugreifen.

Gegenfinanzieren ließe sich so eine leichte Senkung der Einkommensteuer. Denn inzwischen sind auch die Gewerkschaften der Meinung, der Staat solle endlich die ungerechten und heimlichen Erhöhungen der Einkommensteuer ausgleichen, die jedes Jahr wegen der kalten Steuerprogression anfallen.

Ungünstig wirkt dieser Mechanismus im Einkommensteuertarif vor allem dann, wenn die Löhne genauso stark steigen wie die Preise — was in jüngster Zeit häufiger vorkam. Dann stagniert das reale Einkommen eines Arbeitnehmers in Wirklichkeit, trotzdem muss er aber wegen der Progression immer höhere Steuern zahlen. Nach einer Faustformel wachsen die Mehreinnahmen durch den Mechanismus jedes Jahr um drei Milliarden Euro — zulasten der Netto-Einkommen.

(mar)
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