Fraktionssitzung SPD will Personaldebatte abwenden

Berlin · In der ersten Fraktionssitzung seit Wochen gab es eine lange Aussprache zur miserablen Lage der Partei. Das Fazit: Weitermachen.

 Sigmar Gabriel im Kreise seiner Minister.

Sigmar Gabriel im Kreise seiner Minister.

Foto: dpa, bvj tba

Sigmar Gabriel ist sein längerer Osterurlaub in Spanien noch anzusehen. Braun gebrannt traf er gestern zum ersten Mal seit Wochen wieder auf die Abgeordneten seiner Partei — zum ersten Mal seit den schlechtesten Umfragewerten der SPD seit Jahren. Auf gerade einmal 19,5 Prozent kommt die Volkspartei noch laut aktuellster Umfrage des INSA-Instituts. So miserabel stand die SPD bundesweit noch nie da. Würden die Abgeordneten in einer solchen Lage noch die Füße stillhalten? Würde Gabriel entnervt das Handtuch werfen und die quengelige Partei sich selbst überlassen?

Weit gefehlt, die Fraktion demonstrierte am Dienstag Geschlossenheit. Jeder Abgeordnete, der nach rund zwei Stunden vorzeitig den Saal verließ, blies in dasselbe Horn: Gabriel ist und bleibt der Vorsitzende, die Partei müsse einfach noch mehr für die Leute tun. Und: Bei der Union laufe es doch auch nicht besser. Tatsächlich rutschten auch CDU und CSU in Umfragen ab, der Fingerzeig auf andere hilft den Sozialdemokraten aber nicht weiter. Das weiß auch Gabriel.

Offene Kritik üben

Er schwor die Abgeordnetendarauf ein, offene Kritik zu üben. "Keiner ist SPD-Vorsitzender, weil er seine eigene Rolle zu wichtig nimmt", sagte Gabriel nach Angaben von Sitzungsteilnehmern. "Es ist nichts Unehrenhaftes, über die Rolle des Vorsitzenden zu reden. Schlimmer ist, wenn man einander umschleicht", sagte Gabriel und rief die SPD zu einer konstruktiven Auseinandersetzung mit den schlechten Wahlergebnissen und dem Sinkflug in den Umfragen auf.

Sogar von Gelächter und gelöster Stimmung berichteten einige Sozialdemokraten. Etwa, als der Hagener Abgeordnete René Röspel Gabriel dazu aufrief, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die er am besten könne. Nämlich mit Herz und Verstand zu agieren und — sinngemäß — nicht mit dem Hinterteil das wieder einzureißen, was man mit den Händen lange aufgebaut habe.

Damit spielte Röspel auf Gabriels mitunter viel zu sprunghaften Kurs an - etwa beim Thema Steuern oder dem Verbleib Griechenlands in der Eurozone. Dabei ist Gabriel ein begnadeter Redner, einer, der feine Antennen für die Befindlichkeiten der Menschen und seiner Genossen hat. Als analytisch und strategisch scharfsinnig beschreibt ihn ein anderer Abgeordneter. Und auch NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat plötzlich viel Lob für Gabriel übrig. Etwa für die fünf Milliarden Euro, die er noch in den Haushalt für die Integration hineinverhandelt hat. Dennoch bleibt Ratlosigkeit. Fraktionsvize Axel Schäfer fasste das so zusammen: "Die Frage, was wir falsch gemacht haben, haben wir uns schon 100 Mal gestellt. Das zündende Gegenmittel kennt niemand."

Personaldebatte fällt aus

Und so gilt Gabriel weiter als alternativlos, die große Personaldebatte fiel aus. Gabriel ist sicher nicht überall beliebt. Sein Job ist es derzeit aber noch weniger. Niemand will aufstehen und Gabriel beerben und sich als Kanzlerkandidat im Rennen gegen Angela Merkel verbrennen lassen.

Zwar gibt es durchaus Anwärter, eine realistische Option ist aber nicht darunter. Arbeitsministerin Andrea Nahles hat Ambitionen, ist machtbewusst, polarisiert aber sehr stark in ihrer Partei. Viele stoßen sich an der Parteilinken aus Rheinland-Pfalz und ihrer Art, wie sie lange als Generalsekretärin im Willy-Brandt-Haus die Strippen zog. Noch wichtiger: Nahles will nicht, der Zeitpunkt ist nicht reif. Gleiches gilt für Olaf Scholz, Hamburgs Ersten Bürgermeister.

Gabriel bleibt am Ruder

Er steht derzeit nicht zur Verfügung. Martin Schulz hingegen gilt als einer, der gut ankommt. Er polarisiert, hat sich aber als Europaparlamentspräsident seine Sporen verdient. Und er bekam auch in Sozialen Netzwerken viel Zustimmung, als er kürzlich einen rechtsextremistischen, griechischen Europaabgeordneten aus dem Parlament werfen ließ. Aber Schulz würde nicht gegen seinen Freund Gabriel kandidieren — und gilt in seiner Partei als jemand, der in einer Koalition zu wenig integrativ arbeiten könnte. Bleibt noch Heiko Maas, der Justizminister. Er ist auf allen Kanälen präsent, ist beliebt. Parteifreunde sehen eine große Zukunft für ihn — aber nicht jetzt.

Vorerst bleibt Gabriel also am Ruder und zeigt sich selbstkritisch. Er wolle an sich arbeiten, hieß es. Und er schwor seine Partei darauf ein, die zahlreichen Erfolge selbstbewusster zu verkaufen. Auch beim Koalitionsausschuss heute Abend will die SPD klare Kante zeigen. Aus Fraktionskreisen hieß es, man werde auf der Schaffung eines Einwanderungsgesetzes bestehen, wenn die Union ein aus SPD-Sicht zu weitreichendes Integrationsgesetz vorlegt.

(jd/qua)
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