Rede zum Tag der deutschen Einheit Steinmeier warnt vor Mauern aus Enttäuschung und Wut

Mainz · Zwei Wochen nach der Bundestagswahl sieht der Bundespräsident Fragen, Sorgen und Verunsicherung: "Abhaken und weiter so" dürfe es nicht geben, sagte Frank-Walter Steinmeier bei seiner Rede zum Tag der deutschen Einheit. Damit zielte er auch auf die Flüchtlingspolitik.

 Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit seiner Frau Elke Büdenbender in Mainz.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit seiner Frau Elke Büdenbender in Mainz.

Foto: rtr, KP/joh

Frank-Walter Steinmeier hat am Tag der Deutschen Einheit vor neuen Mauern in der Gesellschaft gewarnt und einen ehrlichen Umgang mit dem Flüchtlingsproblem angemahnt. Die große Mauer, die Deutschland geteilt habe, sei gefallen. Aber das Wahlergebnis vom 24. September habe gezeigt: "Es sind andere Mauern entstanden, weniger sichtbare, ohne Stacheldraht und Todesstreifen", sagte der Bundespräsident am Dienstag in Mainz laut vorab verbreitetem Redemanuskript.

Ohne den Wahlerfolg der AfD direkt anzusprechen, betonte er beim Festakt zum Tag der Einheit: "Mauern aus Entfremdung, Enttäuschung und Wut" seien bei manchen so fest geworden, dass Argumente nicht mehr durchdrängen. "Hinter diesen Mauern wird tiefes Misstrauen geschürt, gegenüber der Demokratie und ihren Repräsentanten." Steinmeier beklagte aber auch Mauern zwischen Arm und Reich, Stadt und Land, offline und online - "Mauern rund um die Echokammern im Internet, wo der Ton immer lauter und schriller wird."

Die Debatte über Flucht und Migration habe Deutschland aufgewühlt, sei aber auch Folge und Abbild einer aufgewühlten Welt. Viele Menschen sagten: "Ich verstehe die Welt nicht mehr." Dahinter stehe eine Sehnsucht nach Heimat und Orientierung, die nicht den Nationalisten überlassen werden dürfe. "Heimat weist in die Zukunft, nicht in die Vergangenheit."

Legale Zugänge, Steuerung und Kontrolle gefordert

Steinmeier verwies auf begrenzte Möglichkeiten zur Aufnahme von Flüchtlingen und forderte eine Unterscheidung zwischen Flucht aus Gründen der politischen Verfolgung und Armutsmigration. Es gehe darum, "die Wirklichkeit der Welt und die Möglichkeiten unseres Landes übereinzubringen", sagte er.

"Die Not von Menschen darf uns niemals gleichgültig sein", betonte Steinmeier. Auch aus historischen Gründen garantiere das deutsche Grundgesetz den Schutz vor politischer Verfolgung. "Doch wir werden den politisch Verfolgten nur dann auch in Zukunft gerecht werden können, wenn wir die Unterscheidung darüber zurückgewinnen, wer politisch verfolgt oder auf der Flucht vor Armut ist." Beide Gruppen könnten nicht die gleichen uneingeschränkten Ansprüche geltend machen.

Notwendig sei ein ehrlicher Umgang mit dem Thema. Dazu gehöre auch die Frage, "welche und wie viel Zuwanderung wir wollen und vielleicht sogar brauchen." Notwendig seien legale Zugänge, Steuerung und Kontrolle. Dann könne auch die Polarisierung der Debatte überwunden werden.

Kein "Abhaken und weiter so"

Nicht alle, die sich von den etablierten Parteien abgewendet hätten, seien Feinde der Demokratie, sagte Steinmeier. "Aber sie alle fehlen der Demokratie." Deshalb dürfe es kein "Abhaken und weiter so" geben.
Gefordert seien nicht zuletzt die Abgeordneten des neuen Bundestages.
"Sie können beweisen, dass Wut am Ende die Übernahme von Verantwortung nicht ersetzt. Sie können beweisen, dass durch den Tabubruch vielleicht der nächste Talkshowplatz gesichert, aber noch kein einziges Problem gelöst ist."

Mit Blick auf das Erstarken der Rechtspopulisten sagte er. "Viele schauen mit Fragen, mit Sorgen, mit Verunsicherung auf die innere Einheit unseres Landes". Das Deutschland von heute habe einen weiten Weg zurückgelegt - "vom entfesselten Nationalismus, der Krieg und Verwüstung über Europa brachte, von einer geteilten Nation im Kalten Krieg hin zu einem demokratischen und starken Land in der Mitte Europas."

Steinmeier forderte zugleich mehr Anerkennung für die Menschen in Ostdeutschland. Nach der Wiedervereinigung 1990 seien auch Fehler gemacht worden. Darüber dürfe nicht geschwiegen werden. Ostdeutsche hätten Brüche erlebt, die die Menschen im Westen nie kannten. "Wir sollten wieder lernen, einander zuzuhören: wo wir herkommen, wo wir hinwollen, was uns wichtig ist."

Merkel zeigt sich zuversichtlich

Bundeskanzlerin Angela Merkel erinnerte am Tag der Deutschen Einheit an die Herausforderungen im eigenen Land, in Europa und in der Welt. Die Aufgaben für Deutschland seien seit der Wiedervereinigung vor 27 Jahren "nicht weniger geworden", sagte die CDU-Politikerin vor dem Festakt. "Aber wir können auch zurückblicken und sagen: Vieles in der Deutschen Einheit ist uns geglückt. Und das sollte uns die Kraft geben, auch die ausstehenden Probleme zu lösen."

Die Kanzlerin zeigte sich zuversichtlich, dass Deutschland ausgehend von einem "wirtschaftlich starken Fundament" ein gerechtes und solidarisches Land sein könne. Als "große Aufgabe" wertete sie, dass sich ländliche und städtische Regionen gleichermaßen entwickeln. Außerdem erinnerte Merkel daran, dass Deutschland Verantwortung für Europa trage und dafür, "dass es in der Welt besser geht".

(vek)
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