Bilanz der vergangenen vier Jahre "Friedlichster" Bundestag seit 1949

Berlin · Friedlich wie noch nie, europäischer als alle anderen und zuletzt ganz schön lang. Rückblick auf die Legislaturperiode.

 Der Bundestag in Berlin. Die 17. Legislaturperiode ist vorüber.

Der Bundestag in Berlin. Die 17. Legislaturperiode ist vorüber.

Foto: AP, AP

Mechthild Heil nahm es mit Humor: "Hoffe, die Kollegen haben Zahnbürste und Kuschelkissen dabei", schrieb die CDU-Bundestagsabgeordnete am Donnerstag im Internet-Netzwerk Facebook. Zum Abschluss der 17. Legislaturperiode hatte sich der Bundestag noch einmal zu einer Mammutsitzung zusammengefunden.

Knapp 15 Stunden tagten die Parlamentarier, erst um 0.52 Uhr gestern früh war Schluss. Dann verabschiedeten sich die Parlamentarier in die "sitzungsfreie Zeit": Urlaub, Wahlkreisarbeit, Familienzeit. Rückblick auf eine rekordverdächtige Legislatur.

Gesetzgebung Das Kerngeschäft des Parlaments blühte. 837 Gesetze wurden bis zum jüngsten Gesetz für einen Fluthilfefonds in dieser Woche eingebracht, davon wurden 532 mit der schwarz-gelben Mehrheit verabschiedet. Fast alle Gesetze kamen aus der Regierung, 13 gingen auf eine Initiative des Bundesrates zurück, 73 kamen aus den Reihen des Bundestages.

Stil und Abstimmungen Der Bundestag in der 17. Wahlperiode war der friedlichste in der Geschichte des Parlaments. Die Sitzungsleitung musste nur 15 Ordnungsmaßnahmen verhängen, darunter nur einen Ordnungsruf. Den kassierte der Linken-Abgeordnete Jan van Aken am 18. März 2011 in der Debatte über den Kampfeinsatz der Nato in Libyen. Van Aken hatte Außenminister Guido Westerwelle (FDP) für die Stimmenthaltung im UN-Sicherheitsrat gelobt und von einem echten Fortschritt im Vergleich zu Rot-Grün gesprochen: "Sie von der SPD sind im Moment die größten Kriegstreiber im Bundestag", rief von Aken. Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) rief van Aken daraufhin zur Ordnung. Der erwiderte nur: "Ich nehme diesen Ordnungsruf mit Stolz an." Spitzenreiter bei den Ordnungsrufen ist weiterhin der frühere SPD-Fraktionschef Herbert Wehner mit 58 Ermahnungen. In Helmut Kohls erster Legislaturperiode wurde am meisten geschimpft, 226 Ordnungsmaßnahmen waren die Konsequenz. Die Zeiten, in denen sich Abgeordnete gegenseitig als "Lump" oder "Lümmel" bezeichneten, sind aber offenbar vorbei. 16 Mal mussten die Abgeordneten wegen unklarer Mehrheiten per Hammelsprung entscheiden. Zuletzt ließen die Linken eine Sitzung wiederholen, weil die Beschlussfähigkeit des Parlaments nicht festgestellt werden konnte. Fünf Sondersitzungen gab es, zwei folgen noch im September.

Petitionen 60 000 Petitionen, also Beschwerden, Bitten oder Ersuchen aus der Bevölkerung, wurden an das deutsche Parlament gerichtet. Wie viele davon tatsächlich zu Veränderungen oder neuen Gesetzen führten, ist unbekannt.

Längste Sitzung Die Sitzung vom vergangenen Donnerstag auf Freitag dauerte genau 15 Stunden, 49 Minuten und 39 Sekunden und war damit die längste Sitzung.

Anfragen Das Werkzeug der Opposition, um die Bundesregierung zu piesacken und unbequeme Informationen zu verlangen. 54 große Anfragen und 3348 kleine Anfragen an die Bundesregierung beschäftigten den Bundestag. Absoluter Spitzenreiter bei den kleinen Anfragen war die Linkspartei mit 1539 Anfragen aus der Fraktion.

Schnellstes Gesetz Das Meldegesetz, das Datenschützer scharf kritisierten, passierte im Juni 2012 in nur 57 Sekunden den Bundestag. Die meisten Abgeordneten saßen derweil gegenüber in der Parlamentarischen Gesellschaft und schauten das Fußball-EM-Halbfinalspiel Deutschland gegen Italien. Die Bedenken gegen die in letzter Minute in den Entwurf geschriebene Verringerung des Datenschutzes wurden nur "zu Protokoll" gegeben. Nach breiter Empörung wurde das Gesetz nachgebessert.

Premieren Ein Novum in der Parlamentsgeschichte: Bundestagspräsident Norbert Lammert setzte sich in einer Debatte über den Euro-Rettungsschirm über die zwischen den Fraktionen verabredeten Redezeitverteilungen und Rednerlisten hinweg und erteilte auch Euro-Skeptikern in der Koalition das Wort. Neuland betrat der Bundestag zum 50. Jahrestag des Elysée-Vertrages: Er tagte gemeinsam mit den Kollegen des französischen Parlaments.

Regierungserklärungen Mehr als jeder ihrer Vorgänger musste Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Politik im Bundestag erläutern. 24 Regierungserklärungen hielt die CDU-Kanzlerin, vor allem im Vorfeld von Gipfeltreffen zur Euro-Krise. Auch das ist ein Rekord in der bundesrepublikanischen Geschichte.

(brö / may- /angr)
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