Szenen eines bizarren Trips Fußball-Diplomatie in Nordkorea

(RP). Fußball, Führerkult und ein kleiner Eklat. Anlässlich der Frauenfußball-WM in Deutschland konnte erstmals eine große deutsche Delegation nach Nordkorea reisen. Szenen eines bizarren Trips in einen kommunistischen Zwangsstaat, der sich seit 60 Jahren international isoliert und seine Bevölkerung hungern lässt.

Michael Bröcker in Nordkorea
15 Bilder

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Der Weg zum "großen Führer" führt durch einen überdimensionalen Fön. Wer das Mausoleum von Nordkoreas Staatsgründer Kim Il-Sung, offiziell der "große Führer", auf einem Hügel über der Hauptstadt Pjöngjang besucht, muss seine Taschen entleeren, über eine Schuhreinigungsanlage laufen und durch eine Röhre gehen, aus der heiße Luft Staubkörner vom Körper fegt — Ehrbezeugungen für den 1994 verstorbenen früheren Herrscher der wohl mysteriösesten, verschlossensten und brutalsten Diktatur der Welt. Der Besuch der letzten Ruhestätte Kims gehört zum Pflichtprogramm für die wenigen, meist aus China kommenden Besucher Pjöngjangs. Der sozialistische Staat lebt isoliert vom Rest der Welt.

Doch an diesem Tag wandeln die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, DFB-Präsident Theo Zwanziger und eine 30-köpfige deutsche Delegation durch die imposante Halle aus Marmor. Das Protokoll des nordkoreanischen Parteiapparats wollte es so. Nur die mitreisenden Bundestagsabgeordneten Thomas Feist (CDU) und Patrick Kurth (FDP) verweigern den Besuch beim aufgebahrten Kommunistenführer. In der Delegation hatte es am Vorabend heftigen Streit über den Besuch gegeben. Ein kleiner Eklat zum Abschluss einer beispiellosen Geschäftsreise. Noch nie hat das abgeschottete Regime eine so große deutsche Delegation empfangen. Seit mehr als 60 Jahren, seitdem der sozialistische Revolutionsführer Kim Il-Sung die Macht in Nordkorea inne hat, verweigert sich das hochmilitarisierte Land allen demokratischen, westlichen Standards.

Auf heikle Fragen keine Antworten

Der Beschuss eines südkoreanischen Schiffes vor einem Jahr hat Nordkorea endgültig politisch und wirtschaftlich isoliert. Die Vereinten Nationen verhängten drastische Sanktionen, die USA drohen mit Militärschlägen, sollte Nordkorea weiter am Atomprogramm basteln. Eine heikle Lage also für den Deutschen Fußballverband (DFB), der als Gastgeber der diesjährigen Frauen-Weltmeisterschaft die Teilnehmerländer im Vorfeld des Turniers besucht. Und dazu gehört Nordkorea.

So bat DFB-Chef Theo Zwanziger schon im Herbst 2010 um politische Unterstützung bei den Mitgliedern des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Duzfreundin Claudia Roth willigte ein, organisierte Abgeordneter aller Parteien und die Begleitung von wenigen, auserwählten Journalisten. Das Außenministerium lehnte die Reise allerdings ab, weil es eine Aufwertung des nordkoreanischen Regimes befürchtete. Sport könne Türen öffnen, wo die Politik Mauern errichte, entgegnet Claudia Roth.

Die Ernüchterung folgt indes unmittelbar nach der Ankunft in Pjöngjang. Zwar nehmen sich führende Parteifunktionäre Zeit für das Gespräch mit Roth und ihrer Delegation, etwa Yang Hyong Sop, Vize-Präsident der nordkoreanischen Vollversammlung und hoher Parteimann. Doch auf heikle Fragen, zum Konflikt mit Südkorea, dem Streben nach Atomwaffen, der Feindschaft zu den USA, gibt es keine Antworten. Die Funktionäre lesen vorformulierte Texte aus der Parteizentrale ab. Schuld sind in den Konflikten jeweils die anderen. Meist die USA und die "Marionetten-Clique" aus Südkorea, wie der Regierungsbeamte Jo Chol Ryong deutschen Medienvertretern bei einem Abendessen erklärt. Nordkorea wolle "Frieden mit allen Ländern". Das Land müsse sich aber verteidigen dürfen, wenn es angegriffen werde. "Auch mit Atomwaffen", sagt Ryong. Ein offener Dialog, ein Nachdenken über die Öffnung zum Westen oder eine Friedensinitiative auf der koreanischen Halbinsel? Fehlanzeige. "Ein solches Eingemauertsein habe ich noch nicht erlebt", berichtet Claudia Roth über ihre Gespräche mit den Parteifunktionären.

Offen sind die Nordkoreaner, wenn es um Fotos mit der prominenten deutschen Delegation geht. Der Besuch lässt sich in den Parteizeitungen — andere gibt es nicht — als Propaganda ausschlachten. Im Rahmenprogramm werden den "deutschen Freunden" die wuchtigen, stalinistischen Bauwerke zur Huldigung der Kim-Dynastie gezeigt. Die blitzblanke U-Bahn aus alten DDR-Beständen darf nicht fehlen. Sie soll das Funktionieren eines vollkommenen Gemeinwesens vorgaukeln. Die 17 Stationen, sie tragen Namen wie "Triumph", "Sieg" oder "Paradies", zieren Mosaikgemälde und Statuen der Kims. Lautsprecher beschallen die Plätze mit Militärmärschen und Einheits-Radioprogramm.

In einer Grundschule, die für die Delegation geöffnet, oder besser gesagt, inszeniert wird, werden Kinder zu tüchtigen Kommunisten herangezogen. Junge Mädchen führen mit maschinell wirkender Disziplin und eingefrorenem Lächeln einen Tanz für die Besucher auf. Auf den Bildern in den Klassenzimmer stehen Kinder vor Panzern und Soldaten. Die tägliche sportliche Ertüchtigung ist hier keine Gesundheitsvorsorge, sie dient als Voraussetzung für die spätere, militärische Ausbildung. Man fühlt sich an Film über die "Napolas", die Eliteschule der Nazis erinnert. "Die Geschichte des großen und geliebten Führers", nennt die Lehrerin als wichtigstes Lernziel für ihre Schüler. Erst dann kommt Mathe und sogar Englisch. Es ist eiskalt in den Räumen, wieder einmal ist der Strom ausgefallen.

Bevölkerung leidet, die Elite lebt gut

Das Stadtbild wirkt gespenstisch, nahezu beklemmend. Heerscharen von dunkel gekleideten Menschen gehen scheinbar ziellos die kaum befahrenen Straßen entlang, in der Hand oft einen Sack Reis oder eine Schaufel. Stundenlang fegen Arbeiter eine Straßenecke oder bessern den Grünstreifen aus. Der ständige Strommangel macht der Bevölkerung zu schaffen, Ampeln fallen aus. Nur die überdimensionalen Plakate und Wandbilder der vergötterten Kims glänzen über dem tristen Stadtbild. Nordkorea hat den Führerkult perfektioniert. Während das Volk darbt. Schätzungen der Weltgesundheitsbehörde besagen, dass die Getreide-Ration, die Nordkoreas Führung pro Tag an einen Haushalt verteilt, weniger als die Hälfte des minimalen Kalorienbedarfs eines Menschen abdeckt. Reis wird inzwischen mit gespendetem Milchpulver vermischt an unterernährte Kinder gereicht.

Ein Ausweg ist nicht in Sicht. Nur 20 Prozent der Staatsfläche sind landwirtschaftlich nutzbar, die industrielle Produktion ist mangelhaft wie die wenigen verrotteten Schlote in der Hauptstadt vermuten lassen. Es gibt zwar Geld, aber die meisten Güter beziehen Nordkoreaner immer noch über Warenscheine. Mit dem Gehalt, umgerechnet fünf bis zehn Euro pro Monat, kaufen die Nordkoreaner meist irgendetwas Essbares auf den Schwarzmärkten, die sich gebildet haben. Die Marktwirtschaft im Illegalen belegt, wie die sozialistische Zuteilungswirtschaft versagt. Der Elite der Nuklearmacht und den rund 1,1 Millionen Soldaten — das Land leistet sich die fünftgrößte Armee der Welt — geht es derweil gut. Sie haben Autos, gerne auch Mercedes-Benz, importierte Waschmaschinen und Handys. Staatschef Kim Jong-Il, 69, sollen es besonders die amerikanischen Filme und französischer Cognac angetan haben. Frische Devisen bekommt die Führungsclique durch Zigarettenhandel, gefälschte Dollarnoten oder den Verkauf von Atomtechnologie, etwa in die Diktatur Burma oder nach Syrien.

Journalisten werden bewacht und abgehört

Die Paläste der Herrscher sieht die deutsche Delegation nicht. Auch nicht die armen Viertel vor den Toren der Stadt. Das Umland wird im Programm der Protokollchefs der Arbeiterpartei ausgespart. Alleine bewegen darf sich ein Ausländer nicht. Auch die Journalisten der Delegation werden ständig begleitet, offiziell von "Dolmetschern". In Wirklichkeit sind die höflichen Männer Parteikader, die sich in den Nebenzimmern der Medienvertreter eingebucht haben und vor großen Monitoren sitzen. "Die Zimmer sind verwanzt", erzählt ein Botschaftsmitarbeiter, der selbst schon mehrfach verhaftet wurde, weil er sich unbefugt irgendwo aufgehalten hatte. Als ein Journalist das Hotel verlassen will, rennt ein Parteifunktionär hinterher. "Ich gehe mit Ihnen spazieren", sagt der Mann mit dem roten Kim-Button am Revers und lächelt. Zu den rund 200000 politischen Häftlingen, die in Arbeitslagern im Landesinnern vor sich hin vegetieren sollen, kein Wort. Davon wisse er nichts, sagt einer der "Dolmetscher".

Immerhin: DFB-Präsident Zwanziger, der bei allen politischen Gesprächen dabei ist, unterzeichnet am Ende der bizarren Reise ein Partnerschaftsabkommen mit dem koreanischen Fußballverband. Schiedsrichterausbildung, Trainerausbildung, Jugendaustausch ist geplant. Vielleicht auch ein Länderspiel zwischen Juniorenteams. "Der Fußball ist Völkerverständigung. Wir führen Menschen zusammen. Das ist die Grundvoraussetzung, um totalitäre Staaten zu öffnen", sagt Zwanziger. Es klingt etwas verzweifelt. Ausgerechnet auf die USA trifft die nordkoreanische Frauen-Mannschaft in der Gruppenphase des Turniers in Deutschland. "Vielleicht lässt sich am Rande des Spiels eine Annäherung der beiden Lager finden", hofft Claudia Roth. Ein Delegationsmitglied fasst die Bilanz der Reise etwas skeptischer zusammen. "Es wird nach dem Besuch jedenfalls nichts schlechter in Nordkorea."

(RP)
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