Reform der Energiewende Gabriel knöpft sich die Ökostrom-Branche vor

Berlin · Energieminister Sigmar Gabriel (SPD) will fast alle Neuanbieter zur Vermarktung ihres Stroms zwingen. Auch die Industrie soll Privilegien verlieren. Grüne bieten der Koalition Zusammenarbeit an.

Das ist Sigmar Gabriel
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Die Pläne von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) zur Reform der Energiewende gehen teilweise deutlich über den Koalitionsvertrag von Union und SPD hinaus: Gabriel will weit mehr Betreiber von neuen Windkraft- und Solaranlagen zwingen, ihren Strom selbst zu vermarkten, als bisher in der Koalitionsvereinbarung vorgesehen ist.

Ab 2015 solle es eine verpflichtende Direktvermarktung für alle Anlagen mit einer Leistung ab 500 Kilowattstunden geben, heißt es im zwölf Seiten langen Eckpunkte-Papier Gabriels für die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), das unserer Redaktion vorliegt.

Ab 2017 soll die verpflichtende Direktvermarktung für alle neuen Ökostrom-Anlagen ab einer Leistung von 100 Kilowattstunden kommen. Laut Koalitionsvertrag sollte die Selbstvermarktung nur für viel größere Anlagen ab fünf Megawatt (5000 Kilowattstunden) zur Pflicht werden.

Die Pflicht zur Vermarktung des Ökostroms ist Teil der großen Reform des EEG, die Gabriel bis zur Sommerpause unter Dach und Fach bringen will. Die Eckpunkte der Reform will der Minister kommende Woche bei der Kabinettsklausur in Meseberg vorstellen.

Gabriel und sein Staatssekretär Rainer Baake berieten sich am Freitagabend mit Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU). Die EEG-Reform soll am 9. April vom Kabinett verabschiedet und vor der Sommerpause Bundestag und Bundesrat passieren. Sie soll bereits am 1. August in Kraft treten.

Vor allem kleineren Unternehmen droht erheblich mehr Aufwand

Bisher haben Ökostrom-Anbieter wegen des Einspeisevorrangs eine automatische Abnahmegarantie: Sie müssen sich um die Vermarktung ihres Stroms nicht selbst kümmern. Sie erhalten für den automatisch eingespeisten Strom feste Vergütungssätze — und dies garantiert 20 Jahre lang.

Doch künftig sollen viel mehr Anbieter als bislang erwartet ihren Strom selbst über die Börse oder über Zwischenhändler verkaufen müssen. Dort erhalten sie deutlich weniger als die staatlich garantierten Abnahmepreise. Die Differenz zwischen dem Marktpreis und dem Vergütungssatz wird ihnen allerdings rückwirkend über eine Marktprämie ausgeglichen.

Die Selbstvermarktung bedeutet vor allem für kleinere Anbieter erheblich mehr Aufwand. Ziel der Umstellung auf Direktvermarktung in großem Umfang ist, die Ökostrom-Branche an den freien Markt heranzuführen. Über 80 Prozent des Windstroms werden allerdings bereits direkt vermarktet. Für neue Windräder sollen zudem die Vergütungssätze nach den Plänen Gabriels stark gekürzt werden — vor allem an windreichen Standorten im Norden.

Montag Termin beim Minister

Der Umfang der Ökostrom-Rabatte für derzeit gut 2100 stromintensive Industriebetriebe soll zudem deutlich um etwa ein Fünftel oder bis zu eine Milliarde Euro pro Jahr gekürzt werden. Die Vergütung für Windräder, Solar- und Biogasanlagen soll von derzeit durchschnittlich 17 Cent je Kilowattstunde bis 2015 für neue Anlagen auf nur noch 12 Cent im Schnitt sinken. Trotz der geplanten EEG-Reform könne die Umlage nach der Festlegung in den Unterlagen des Ministeriums bis 2020 auf 8,5 Cent steigen, berichten Branchenkreise.

Mehr darüber sollen Vertreter der Industrie am Montag bei einem Treffen mit Gabriel und Altmaier erfahren. Im laufenden Jahr werden insgesamt 2100 Industrieunternehmen durch eine Ausnahmeregelung von der Ökostrom-Umlage weitgehend befreit. Dies entlastet die Industriebetriebe um gut fünf Milliarden Euro.

Auch die Bahn muss wohl demnächst die volle Umlage zahlen

Gabriel wolle den Umfang der Rabatte um 700 Millionen bis eine Milliarde Euro jährlich reduzieren, hieß es in Branchenkreisen. Unternehmen, die nicht im internationalen Wettbewerb stehen — wie etwa die Futtermittelhersteller, die Fleischindustrie und die Braunkohle-Förder-Unternehmen — dürften demnach künftig keinen Nachlass mehr bekommen. Auch die Deutsche Bahn AG soll künftig die volle Ökostrom-Umlage bezahlen. Dadurch dürften Ticketpreise für Reisende spürbar steigen.

Viele Punkte des Reformpakets sind allerdings noch offen, etwa das Ausmaß der Kürzungen bei Windrädern an Land. Es soll weniger Förderung nach dem Gießkannenprinzip geben, sondern eine Mengensteuerung, mehr Wettbewerb statt auf 20 Jahre garantierter Festvergütungen und eine Anpassung des Ausbaus an das Tempo beim Stromnetzausbau.

Am 9. April soll das EEG im Kabinett beschlossen werden. Am 26. oder 27. Juni soll es der Bundestag beschließen, am 11. Juli der Bundesrat, damit die Novelle zum 1. August in Kraft treten kann. "Der Zeitplan ist knackig. Aber wir dürfen keine Zeit verlieren", sagte der Energiekoordinator der Unionsfraktion, Thomas Bareiß (CDU). Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) betonte: "Dadurch kommt die dringend notwendige Reform endlich voran."

Konzentration auf Solarenergie und Windkraft

Bisherige Förderzusagen sollen strikt eingehalten werden - das heißt, alle schon angeschlossenen Ökoenergie-Anlagen bekommen weiter für 20 Jahre garantierte Vergütungen. Die Gesamtkosten haben sich seit 2002 auf rund 120 Milliarden Euro summiert, dieses Jahr fallen rund 23,5 Milliarden Vergütungskosten an.

Der Ausbau soll sich vor allem auf Solarenergie und Windkraft an Land konzentrieren, sie seien am günstigsten. "Bei der relativ teuren Biomasse erfolgt eine Konzentration auf Abfall- und Reststoffe und damit eine deutliche Mengenbegrenzung", heißt es in Gabriels Papier, das sich an früheren Vorschlägen seines Staatssekretärs Rainer Baake orientiert, einem Grünen-Mitglied.

Am stärksten werden künftig Kosten für neue Windparks in Nord- und Ostsee zu Buche schlagen - hier gibt es bis 2019 eine hohe Anfangsvergütung von bis zu 19 Cent je Kilowattstunde. Aber das Ausbauziel wird gesenkt: Bis 2020 sollen 6500 Megawatt (MW) und bis 2030 nur noch 15 000 statt 30 000 MW installiert werden.

Warnungen vor einem Abwürgen

Bei Windkraft an Land wird ein jährlicher Zubau von bis zu 2500 Megawatt angestrebt. Automatische Förderkürzungen bei einem Überschreiten dieses Werts sollen Kostensteigerungen wie bei der Solarenergie verhindern. Hierfür gibt es das Instrument eines "atmenden Deckels" bereits: Aber der Solarboom gerade 2011 und 2012 wird die Stromrechnungen noch lange belasten. Bei Biomasse wird nur noch ein Zubau von 100 Megawatt im Jahr angestrebt.

An windstarken Standorten soll es bis zu 20 Prozent weniger Vergütung geben. Mit Blick auf Sorgen in Süddeutschland, künftig rechne sich nur noch der Bau neuer Windräder im Norden, soll sichergestellt werden, "dass an guten Binnenlandstandorten weiterhin ein wirtschaftlicher Betrieb möglich ist."

Die Präsidentin des Bundesverbandes Windenergie, Sylvia Pilarsky-Grosch, warnte wie die Grünen vor einem Abwürgen: "Ohne Windenergie an Land wird die Energiewende ein Traum bleiben." Die weitere Stilllegung von Atomkraftwerken erfordere mehr Windkraft.

Das Ausmaß der Kürzung der Industrie-Rabatte bei der Ökoenergie-Förderung ist noch unklar. 2014 kann das Volumen auf über fünf Milliarden Euro klettern. "Es wird eine zeitnahe Einigung angestrebt, damit die Unternehmen im dritten Quartal 2014 ihre Anträge für das Jahr 2015 stellen können", heißt es in Gabriels Papier. Die EU-Kommission fordert eine deutliche Begrenzung.

Grüne bieten Zusammenarbeit an

Die Grünen im Bund und in sieben Landesregierungen boten der großen Koalition bei der Reform der Energiewende einen "Energie-Pakt" an. Man sei nicht auf Konfrontationskurs, sagte NRW-Umweltminister Johannes Remmel in Berlin: "Wir brauchen diesen Konsens auch in unseren Ländern, um eine Ausbaustrategie (für die erneuerbaren Energien) dort weiter voranzutreiben", sagte er.

Allerdings gehen die Forderungen der Grünen noch deutlich weiter: Sie wollen die Industrierabatte um jährlich vier Milliarden Euro kürzen. Der Ökostrom-Anteil solle bis 2020 auf fast 50 Prozent verdoppelt werden. Die Regierung peilt dagegen bis 2025 maximal 45 Prozent an.

(mar)
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