SPD-Parteichef zu Gast beim Grünen-Parteitag Gabriel ruft Grüne zu neuem Aufbruch auf

Berlin · Die Kontroversen beim Grünen-Parteitag um die Steuerpolitik bleiben aus. Stattdessen erklärt SPD-Parteichef Sigmar Gabriel den Grünen, warum sie die neuen Liberalen sind und bringt als Gastgeschenk Bionade in rot-grünen Rucksäcken mit.

Frosch und Rucksäcke: Parteitag der Grünen
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Für einen kurzen Augenblick ist SPD-Parteichef Sigmar Gabriel sprachlos: "Ich bin jetzt die arme Sau, die nach ihr reden muss", sagt er. "Liebe Claudia, es ist alles gesagt, so machen wir das." Nach einer kämpferischen und umjubelten Rede von Grünen-Chefin Claudia Roth ist Sigmar Gabriel Gastredner bei den Grünen. Er ruft zu einem neuen Aufbruch auf und klingt dabei stark nach altem rot-grünen Projekt. "Wir wollen nicht regieren, um nur eine Reihe von Themen abzuarbeiten und ein paar Ministerien aufzuteilen", sagt er. "Bei Rot-Grün geht es um mehr: Es geht darum, wieder grundsätzlich in diesem Land, auch grundsätzlich in Europa wieder etwas zu ändern."

Nach den vielen giftigen Tönen zwischen SPD und Grünen in den vergangenen Wochen zeigt sich Gabriel an diesem Nachmittag in Berlin von seiner nettesten Seite. Er lobt den Wunschkoalitionspartner dafür, mit seinem Engagement für Frieden, Gleichberechtigung und Umwelt die Gesellschaft entscheidend verändert zu haben. Zugleich erklärt er den Delegierten, warum er die Grünen als die neuen Liberalen bezeichnet: "Liberalität ist eine Haltung und die ist zu gut, um sie der FDP zu überlassen." Mit "Glück auf" und Bionade in rot-grünen Rucksäcken verabschiedet Gabriel sich folkloristisch in einen "fröhlichen Wahlkampf".

Roth weckt die Grünen auf

Die Rede von Claudia Roth, der sich der SPD-Parteichef anerkennend und unumwunden anschließt, weckte zuvor den vor sich hin plätschernden Parteitag auf. Roth wettert gegen die "Teflonkanzlerin" und wünscht den "Amigos" in der CSU, es möge ihnen das Kruzifix von der Wand fallen. "Erst kommt das Fressen, dann die Moral — bei der CSU kommt die Moral nicht einmal mehr nach dem Fressen", erregt sie sich. Erst 24 Stunden nach Start des Wahlprogrammparteitags trifft eine Rednerin den Ton, den die Parteibasis zum Start in den Wahlkampf braucht. Roth reklamiert sogar für die Grünen, sie seien die eigentliche Wirtschaftspartei, "weil wir die Verbindung schaffen zwischen Ökonomie und Ökologie und das ist die materielle Basis für das 21. Jahrhundert."

Mit einem Seitenhieb auf die Streitpunkte zwischen SPD und Grünen bekennt sie sich zur Koalition mit den Sozialdemokraten. "Und Sigmar, du weißt es, ich nutze meine Kraft doch tausdenmal lieber, um der SPD die Kohlekraft auszureden, als falsche Hoffnungen zu setzen auf eine Union der Entsolidarisierung."
Inhaltlich findet sich auf dem Parteitag der Grünen im Berliner Velodrom viel Rauch und wenig Feuer. Die Parteitagsregie hat die 2600 Änderungsanträge auf ein paar marginale Streitfragen zusammenschnurren lassen. Damit die Grünen sich dennoch von den Zustimmungsparteitagen der Konkurrenz absetzen, sind allein für den Samstag 17 Stunden Debatte angesetzt.

Wenig Streit um Finanzpolitik

Während die Steuerpolitik der Grünen im Vorfeld des Parteitags für reichlich Wirbel sorgte, wird der Aufstand am Samstag abgesagt. Statt der geplanten zwei Stunden debattieren die Grünen nur eine Stunde über ihre Finanzpläne. Sowohl der linke wie auch der Realo-Flügel zogen zuvor ihre Anträge zurück. Nur noch fünf strittige Punkte werden abgestimmt. 53 Prozent Spitzensteuersatz lehnen die Grünen ab nach dem Hinweis des EU-Abgeordneten Sven Giegold, dass bei 50 Prozent die symbolische Schwelle liege. Im Wahlprogramm bleibt es bei dem Vorhaben, den Spitzensteuersatz von derzeit 42 auf 49 Prozent zu erhöhen. Beschlossen wird auch die Vermögensabgabe für Vermögen von mehr als eine Million Euro, befristet auf zehn Jahre.

Hinter den Kulissen macht sich weiter Unmut gegen den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und den Tübinger OB Boris Palmer breit. Sie beiden warnten im Vorfeld vor einer Überlastung von Bürgern und Wirtschaft durch das Wahlprogramm der Grünen, beim Parteitag gehen sie für ihre Überzeugungen in Sachen Steuerpolitik dann aber doch nicht in die Bütt.

Palmer sorgt aber bei der Arbeitsmarktdebatte für einen kleinen Tumult. "Ich bin stolz auf die Hartz-IV-Gesetze", ruft er in den Saal und erntet Buh-Rufe. Mit dem Satz will er für seinen Antrag werben, dass gleicher Lohn für gleiche Arbeit in der Leiharbeit erst nach einer Frist von sechs Monaten gelten solle. Eine Mehrheit bekommt er dafür nicht. Die Realos kassieren seit Jahren Niederlagen bei Parteitagsabstimmungen. Mittlerweile hat sich das Realo-Lager, in die Mahner für eine ausgewogene Wirtschafts- und Finanzpolitik aus dem Südwesten der Republik und den Rest der Realos in der Partei geteilt, die mit dem starken linken Flügel stimmen. Palmers Warnung, das Gesamtpaket der Belastungen im Wahlprogramm sei nicht ausgewogen, verhallt auf dem Parteitag.

(qua)
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