Bundesparteitag der SPD in Leipzig Gabriel wirbt nur leise für Bündnis mit Union

Leipzig · Die SPD quält sich auf ihrem Parteitag Richtung Große Koalition – ohne große Sachdebatte. Zu groß ist die Sorge vor dem Mitgliederentscheid. Und so wirbt auch Parteichef Sigmar Gabriel nur leise für das Bündnis.

Die SPD quält sich auf ihrem Parteitag Richtung Große Koalition — ohne große Sachdebatte. Zu groß ist die Sorge vor dem Mitgliederentscheid. Und so wirbt auch Parteichef Sigmar Gabriel nur leise für das Bündnis.

Eine Szene aus dem eigenen Leben hat SPD-Parteichef Sigmar Gabriel die Augen dafür geöffnet, was falsch gelaufen ist im Wahlkampf. Er berichtet von seiner Frau, die in einem sozial schwierigen Stadtteil in Goslar eine Zahnarztpraxis übernommen hat.

Nach ein paar Berichten der örtlichen Medien, dass "Prominenz" nun im Viertel praktiziert, rief eine alte Frau besorgt in der Praxis an und fragte, ob "jetzt nur noch die Oberen" behandelt würden. "Nichts hat mich mehr erschreckt als dieser Anruf", sagt Gabriel und analysiert, dass die SPD-Führung den Kontakt zu den Menschen verloren hat, die sie für ihre Klientel hält. In seine Kritik bezieht er die Parteitagsdelegierten ausdrücklich mit ein.

Es ist seltsam still in der Leipziger Messehalle. Auch weil der Mann da vorne ungewohnt leise spricht. Der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel, sonst eher rhetorisch rustikal unterwegs, hält zur Eröffnung des Bundesparteitags eine, so sagt er selbst, nachdenkliche Rede. Und gleich zu Beginn macht er klar, dass er die politische Verantwortung für das schlechte Wahlergebnis übernehmen will. Viel Applaus bekommt Gabriel nicht. Die Delegierten klatschen noch nicht einmal zwei Minuten. Üblicherweise werden Reden des Parteichefs mit fünf bis zehn Minuten lauter Zustimmung bedacht.

Steinbrück: "An euch lag es nicht!"

Während Gabriel sein Erschrecken über die Ferne der Partei zu den Menschen zum Ausdruck bringt, positioniert er die SPD inhaltlich wieder stärker in der Mitte. Frei nach der Erfolgsstrategie des Ex-US-Präsidenten Bill Clinton "It's the Economy, stupid" ("Die Wirtschaft gibt den Ausschlag, Dummkopf") führt er den Genossen vor Augen, dass die Deutschen "Stabilität und Sicherheit" gewählt hätten. Und dafür stand eben die Kanzlerin. Selbst bei den Leiharbeitern würden 60 Prozent der CDU und nur 20 Prozent der SPD zutrauen, ihre Lage zu verbessern. Da klingt er ein bisschen wie einst Gerhard Schröder.

Schröder sei der letzte Sozialdemokrat gewesen, dem die Leute zugetraut hätten, dass die Schornsteine im Land rauchen, wenn er regiert, sagt ein Spitzengenosse am Rande des Parteitags. Da müsse die SPD wieder hinkommen. Gabriel spricht dies nicht so deutlich aus, es klingt aber durch bei ihm. Um die Parteifreunde nicht zu verschrecken, die auch den Schröder-Sound bei ihm hören, verspricht er eilig, dass es keine Basta-Politik mehr geben wird. Vielmehr will er die "Dialogorientiertheit" beibehalten.

Zu einer echten Abrechnung kommt es auf diesem Parteitag nicht. Der frühere Kanzlerkandidat Peer Steinbrück tröstet die Genossen: "An euch lag es nicht." Auch er übernimmt Verantwortung für das schlechte Ergebnis. Dann stimmt er seine Parteifreunde auf ein Regierungsbündnis ein, für das er eine eigene Beteiligung immer ausgeschlossen hat. "Wenn wir eine gute Chance zum Mitgestalten sehen, dann sollte die SPD Verantwortung übernehmen." Begeisterung klingt anders.

Für eine tiefschürfende und schonungslose inhaltliche Debatte ist die Sorge in der Parteiführung zu groß, dass der Mitgliederentscheid schiefgehen könnte. Am Rande des Parteitags äußern etliche Genossen die Sorge, die Briefwahl bei der Entscheidung über den Koalitionsvertrag könne dazu führen, dass viele Parteimitglieder ihr "Mütchen kühlen" könnten. Ähnlich sieht dies Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Es bestehe die Gefahr, "dass jeder Einzelne den Koalitionsvertrag aufschlägt und meint: Das habt ihr für mich nicht erzielt, dann sage ich Nein."

"Befristete Koalition der nüchternen Vernunft"

Gabriel versucht, die Basis auf Kompromisse einzustimmen: "Wer 100 Prozent des SPD-Wahlprogramms von uns erwartet, erwartet zu viel." Er kündigt eine "befristete Koalition der nüchternen Vernunft" an und verspricht: "Wir werden nur gute und keine faulen Kompromisse akzeptieren." Ohne das Prinzip "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" werde es keine Koalition geben.

Als Entgegenkommen für die möglichen Nein-Sager ist die SPD-Spitze in den vergangenen zehn Tagen zu dem Schluss gekommen, dass die Öffnung zur Linkspartei beschlossen werden soll. Am Abend stimmt der Parteitag zu. Doch auch in dieser Frage gibt es keine klare Richtung. In seiner Rede, die im zweiten Teil inhaltlich zerfleddert, schlägt Gabriel vor: "Sozial und liberal wäre ein gutes Profil für unseren Wahlkampf 2017." Die Partei-Linke Hilde Mattheis geht noch weiter als der Leitantrag: Spätestens 2017 gehe es um den "echten Politikwechsel, vielleicht auch schon auf der Strecke dahin", sagt sie.

Heiterkeit kommt nur am späten Nachmittag auf. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig erklärt die Funktion der elektronischen Geräte für die Wahl des Parteivorsitzenden unterhaltsam, ironisch und dennoch völlig unmissverständlich. Das heißt: Gabriels Wahlergebnis von für ihn enttäuschenden 83,6 Prozent darf als authentisch gewertet werden. Die Genossen wussten, was sie taten. Bei seiner ersten Wahl zum Parteichef 2009 hatte Gabriel 94,2 Prozent erhalten. Im Jahr 2011 waren es dann immerhin noch 91,6 Prozent gewesen. Der wiedergewählte Vorsitzende dankt den Genossen folgerichtig für ein "außerordentlich ehrliches Wahlergebnis".

(brö, qua)
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