Wahlkampf-Termine in Deutschland abgesagt Eine Botschaft an die Erdogan-Anhänger

Meinung | Berlin · Gaggenau in Baden-Württemberg sagt eine Veranstaltung mit Erdogans Justizminister ab. Köln verweigert dem Wirtschaftsminister ein Bezirksrathaus. Es lässt sich ahnen, was gesteuerte türkische Medien aus diesen Meldungen machen. Umso wichtiger ist es, ein deutliches Zeichen zu setzen.

 Ein Blick in die leere Veranstaltungshalle von Gaggenau am Donnertagabend.

Ein Blick in die leere Veranstaltungshalle von Gaggenau am Donnertagabend.

Foto: dpa, cdt fpt

Wenn der Journalist Deniz Yücel in Deutschland vor seiner Verhaftung in der Türkei öffentlich rassistische Hassmails an seine Adresse verlesen hat und türkische Medien das Foto davon nun als Beleg für seine (angebliche, aber erfundene) Teilnahme an einer Veranstaltung der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK verwenden, dann zeigt das, wie sehr Wahrheit und Rationalität im deutsch-türkischen Verhältnis unter die Räder gekommen sind. Und es lässt ahnen, was die gesteuerte türkische Öffentlichkeit aus den abgesagten Propagandaveranstaltungen türkischer Minister in Deutschland machen wird.

Um so mehr kommt es nun auf die deutschen Diplomaten in der Türkei an, die Begründungen der lokalen Verantwortlichen von Gaggenau und Köln am Bosporus zu verbreiten. Wer ein Vereinstreffen oder ein Theaterstück anmeldet und tatsächlich öffentlich türkische Regierungspropaganda machen will und dabei ein Aufpeitschen der Stimmung mit Folgen für die örtliche Sicherheit im Sinn hat, dem muss eben mit den Mitteln des Ordnungs- und Veranstaltungsrechts Einhalt geboten werden. Auch ein Erdogan-Anhänger dürfte verstehen, dass man den Staat nicht hinter die Fichte führen darf.

Gabriel könnte Erdogan einen Handel anbieten

Natürlich ist es eine schwierige juristische und politische Abwägung, wie tief in das Grundrecht der Meinungs- und Versammlungsfreiheit eingegriffen werden darf. Im Zweifel muss der Staat auch mit dem Einsatz massiver Polizeipräsenz das Grundrecht schützen. Sonst verschwinden die Grenzen zwischen Rechts- und Unrechtsstaat. Die Befürchtung möglicher Eskalationen kann in einem freiheitlichen Staat niemals alleine ausreichen, um eine Kundgebung zu verbieten. Das wäre zynische Willkürherrschaft und nicht mehr Schutz der Freiheit. Es müssen weitere objektive Umstände dazu kommen, um einen solchen schwerwiegenden Schritt zu rechtfertigen. Das Vortäuschen einer gänzlich anderen Veranstaltung mit anderen Inhalten und anderen Teilnehmern als dann tatsächlich geplant ist und publik gemacht wird, gehört sicherlich dazu.

In der Vergangenheit war die Bundesregierung großzügig damit umgegangen, wenn türkische Politiker unter der Tarnung eines "Privatmenschen" nach Deutschland kamen, um ihre ganz persönliche Meinung dann einem plötzlich immer größer werdenden Kreis von türkischen Wahlberechtigten zu verkünden. Diese Großzügigkeit muss es nicht immer geben. Bei ihrem letzten Türkei-Besuch hat Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits die aktuellen Missstände klar benannt und Verbesserungen gefordert — allen vermuteten Rücksichtnahmen auf das EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen zum Trotz.

Außenminister Sigmar Gabriel sollte daran anknüpfen und Merkels Kurs mit Blick auf die aktuellen Konflikte konkretisieren: Einerseits auf die Yücel-Inhaftierung in der Türkei und anderseits auf den laufenden Versuch, den Propaganda-Feldzug für den Umbau der Türkei in ein Erdogan-Sonnenkönig-System auf Deutschland auszuweiten. Er könnte Erdogan auch einen Handel anbieten: Er darf in Deutschland öffentlich für die Verfassungsänderung werben, wenn Gabriel gleichzeitig in der Türkei mit prominenten Gegnern dagegen auftreten darf — deren vorherige Entlassung aus den Gefängnissen inbegriffen.

(-may)
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