Diskussion um Gauland-Äußerung über Boateng Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?

Düsseldorf · Alexander Gaulands Aussage über Jérôme Boateng provoziert. Studien belegen jedoch eine große Fremden-Angst in Deutschland.

 Was Alexander Gauland über Jerome Boateng gesagt hat, löste eine riesige Diskussion aus.

Was Alexander Gauland über Jerome Boateng gesagt hat, löste eine riesige Diskussion aus.

Foto: ap, MS; Montage: RP ONLINE

Das Echo war gewaltig: Nach der Aussage von AfD-Vizechef Alexander Gauland, die Deutschen würden den Fußball-Nationalspieler Jérôme Boateng zwar gern auf dem Feld sehen, ihn aber nicht als Nachbarn haben wollen, empörte sich die deutsche Politiklandschaft, im Netz war das Thema gestern eines der meistdiskutierten des Tages.

Unbeantwortet blieb dabei jedoch eine Frage: Wie sehr trifft Gauland mit seiner Aussage den Zeitgeist?

Denn dass ein nicht unerheblicher Teil der Deutschen ausländerfeindlich gestimmt ist, belegen auch wissenschaftliche Studien, wie etwa die jüngste "Mitte-Studie" der Universität Leipzig zu rechtsextremen Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft: Im Jahr 2014 — noch vor der Flüchtlingskrise — war danach jeder fünfte Deutsche ausländerfeindlich gestimmt. Fast 30 Prozent der Befragten stimmten Aussagen wie "Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet" zu.

In eine ganz ähnliche Kategorie fällt die Frage, die Gauland mit seiner Bemerkung über den dunkelhäutigen Sportler aufwirft: Wollen "die Leute", wie es in der Aussage des AfD-Politikers heißt, zwar einen dunkelhäutigen Spieler mit ghanaischen Wurzeln wie Boateng, wollen den sprichwörtlichen schwarzen Mann aber nicht zum Nachbarn? Die Antwort könnte dem Rechtsextremismusexperten Hajo Funke "Ja" lauten.

"Es gibt Studien, die nachfragen, ob man bestimmte Menschen, einen Türken oder einen Juden etwa, zum Nachbarn haben will — und die Antworten variieren", sagt er. Antisemitisch würden sich beispielsweise immer weniger Menschen äußern, bei den Herkunftsländern möglicher Nachbarn, etwa aus Afrika, könne das anders aussehen. Das treffe aber nur auf allgemeine Aussagen über Bevölkerungsgruppen zu.

Gehe es um konkrete Personen, die man sogar kenne und schätze, falle die Antwort anders aus. "Deshalb hat Alexander Gauland mit seiner Äußerung auch einen Fehler begangen: Er hat mit Boateng einen bekannten und geschätzten Bürger zum Beispiel für alle gemacht. Dem stimmt natürlich niemand zu", sagt Funke.

Jerome Boateng – Berliner, Abwehrchef, Weltmeister
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Hinter dem Phänomen der Ausländerfeindlichkeit steht nach Erkenntnissen der Wissenschaft immer zunächst die pure Angst. Angst vor dem Neuen. Angst vor dem Verlust. Das können mögliche finanzielle Nöte sein oder die Furcht vor dem Bedeutungsverlust in der Multikulti-Gesellschaft. Nicht die dunkle Haut des Afrikaners ist das Problem, sondern das Gefühl, dass dieser einem den Job, die Wohnung, die Frau wegnehmen könnte.

Das Rheingold-Institut in Köln, das mit tiefenpsychologischen Interviews regelmäßig die Stimmungen und Wertvorstellungen der deutschen Gesellschaft auslotet, hat diese Erkenntnisse in mehreren Befragungen nachweisen können. In einer Studie mit 11.000 Befragten kamen die Psychologen vor der Bundestagswahl 2013 zu dem Schluss, dass für viele Bürger die Schrecken der Zukunft die Gegenwart als das "bedrohte Paradies" erscheinen lassen. Es gebe eine Sehnsucht nach einer "permanenten Gegenwart". Künftige Bedrohungen kommen dabei immer von außen.

Vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise würden die Ergebnisse der Interviews heute wohl noch skeptischer ausfallen. "Die Angst vor dem Fremden ist einerseits überlebenswichtig, weil sie unsere eigene Existenz definiert", sagt Stephan Grünewald, Psychologe und Mitgründer des Instituts. "Das Fremde weckt Neugier, aber eben auch Skepsis. Wir haben Angst, uns darin zu verlieren."

Deutschland stehe im Vergleich zum Großteil der Länder ökonomisch und sozial als Paradies da, aber das Gefühl sei, dass die Krisen der Welt näher kommen. Die Flüchtlingskrise ist der Beleg für dieses Gefühl. "Es kann nur schlimmer kommen, das ist bei vielen Befragten ein dominierendes Gefühl", so Grünewald. Die Ereignisse der Kölner Silvesternacht seien ein Paradigmenwechsel gewesen: "Aus Opfern wurden in den Augen vieler Aggressoren. Das verstärkt die Unsicherheit."

Dass die Wahrnehmung von Ausländern aber auch variiert, zeigt die "Mitte-Studie". Oft sei ihre Anerkennung in der Bevölkerung davon abhängig, ob sie Deutschland einen Ertrag bringen oder kulturell nahe stehen. Das bestätigt auch Werner Patzelt, Politikwissenschaftler an der TU Dresden: "Asiaten etwa sind hoch angesehen, weil sie als Leistungsträger gelten. Das ist bei arabischen und afrikanischen Einwanderern anders. Sie gelten oft als integrationsunwillig."

Zudem werde zwischen zwei Klassen von Einwanderern unterschieden: zwischen jenen, die aus großer Not geflohen seien, und bloßen "Wirtschaftsflüchtlingen".

Deutsche sind noch auf "Suche nach sich selbst"

Die Frage, ob die Deutschen im internationalen Vergleich besonders von ausländerfeindlichem Gedankengut geprägt sind, ist dagegen schwer pauschal zu beantworten. Aber: "Die Deutschen haben keine geschichtlich fest verwurzelte Identität. Wir sind immer noch auf der Suche nach uns selbst. Das macht uns beim Umgang mit Fremden nicht gerade gelassener", sagt Stephan Grünewald.

Der im vergangenen Jahr verstorbene Kanzler Helmut Schmidt (SPD) hat in einem seiner Bücher die These vertreten, dass die Deutschen "innerlich weitgehend fremdenfeindlich" seien. In der aktuellen Situation haben die Deutschen die Gelegenheit, ihren Altkanzler zu widerlegen.

(RP)
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