Zum Tag der Deutschen Einheit Geld alleine schafft noch keine Einheit

Meinung | Berlin · Das Unverständnis zwischen Ost und West war seit dem Mauerfall noch nie so groß wie heute. Seit der Wiedervereinigung fließen jährlich Milliarden von West nach Ost. Doch Geld allein lässt Deutschland nicht zusammenwachsen.

 Mit einem Feuerwerk am Brandenburger Tor in Berlin feierten rund eine Million Menschen in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990 die deutsche Wiedervereinigung.

Mit einem Feuerwerk am Brandenburger Tor in Berlin feierten rund eine Million Menschen in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990 die deutsche Wiedervereinigung.

Foto: dpa

Eine Mehrheit in Westdeutschland reibt sich die Augen und fragt, was eigentlich mit den Ossis los ist, die bei der Bundestagswahl in vielen Landstrichen die AfD zur Mehrheitspartei erhoben haben? Seit der Wiedervereinigung fließen jährlich Milliarden von West nach Ost. Doch Geld allein lässt Deutschland nicht zusammenwachsen. Die Einheit kann man nicht kaufen.

Die Wirtschaftsdaten sind im Osten immer noch deutlich schlechter als im Westen. So liegt die Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern bei rund sieben Prozent, während sie in den alten Ländern nur fünf Prozent beträgt. Die Löhne sind niedriger im Osten und die Menschen haben auch weniger Vermögen und damit weniger zu vererben. Allerdings sind die Renten im Osten höher und die Lebenshaltungskosten niedriger — insbesondere Mieten und Kauf-Immobilien.

Die Perspektive auf eine gute Zukunft fehlt

Doch diese Mischkalkulation geht nicht auf, weil den Ostdeutschen die Perspektive auf eine gute Zukunft fehlt. Auch wenn sich das Hier und Jetzt nicht so schlecht darstellt, erscheint die Zukunft düster. Junge, gut ausgebildete, aufstrebende Menschen verlassen den Osten — insbesondere die Frauen. In den Dörfern bleiben die Alten zurück und jene, denen Ehrgeiz, Fähigkeit oder Fantasie fehlen, ihren Wohlstand zu mehren und die soziale Gemeinschaft zu stärken — insbesondere Männer.

Die Folgen dieser Abwärtsspirale zeigen sich bereits: Aus den Dörfern verschwinden Ärzte, Apotheken, Einkaufsmöglichkeiten, Schulen, die Kneipe. Dort, wo es früher eine intakte Dorfgemeinschaft gab, übernehmen vielfach rechtsradikale Gruppierungen die Organisation des Gemeinschaftslebens.

Sie kommen als die Wölfe im Schafspelz: mit bürgerlicher Attitüde und einem offenen Ohr für die sozial Abgehängten. Dass aus dieser Mischung Wut auf das Establishment und die in Berlin entsteht, überrascht nicht. All diese Mechanismen gibt es auch im Westen — allerdings in deutlich geringerer Ausprägung.

Eine Nation kann große Mentalitätsunterschiede aushalten

Für den Osten ist der gärende Rechtsradikalismus eine schwere Hypothek. Einzelne große Firmen und Universitäten spielen bereits mit dem Gedanken, ihre Mitarbeiter abzuziehen. Für die weitere Entwicklung des Ostens als Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort wäre dies fatal.

Große Mentalitätsunterschiede kann eine Nation durchaus aushalten. Die gibt es auch zwischen den Bayern und den Berlinern. Schwierig wird es, wenn — wie im Fall von Ost und West — die Debatte stets mit dem Vorwurf begleitet wird, diese seien arrogant, während jene die Demokratie nicht verstanden hätten.

Es ist traurig, dass die Unterschiede in der Wirtschaftsleistung und in der Mentalität zwischen Ost und West auch mehr als ein Vierteljahrhundert nach der deutschen Wiedervereinigung noch so schwer wiegen. Dabei ist mittlerweile eine Generation herangewachsen, die mit den Begriffen Ossi und Wessi gar nichts mehr anfangen kann. Wahrscheinlich wird erst diese junge Generation die Einheit vollenden können, die Probleme anpackt, statt alte Vorurteile zu pflegen.

(qua)
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